Josh Ritter - Spectral lines
Pytheas / Cargo
VÖ: 28.04.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Der Empathieträger
Was macht einen guten Menschen aus? Einen, von dem die anderen unisono sagen: "Das ist ein guter Typ!" Geht es neben Empathie und Rücksichtnahme eventuell darum, eine gewisse Naivität zu behalten und den Glauben nicht zu verlieren? Das Positive zu sehen? Josh Ritter scheint genau einer dieser Menschen zu sein, die man von außen betrachtet für lieb und nett hält. Und mit seinem elften Album "Spectral lines" lässt er keinen Zweifel daran, dass das Glas halb voll ist. Stattdessen füllt er ungefragt noch mal nach und stellt es einem mit einem warmen Lächeln auf dem akustischen Untersetzer vor die Nase.
Schon im eröffnenden Monolog im Opener "Sawgrass" drückt der US-Amerikaner Knöpfe, von denen man gar nicht wusste, dass sie noch angeschlossen sind und eine Funktion haben. Er sorgt mit kitschigen Zeilen für Tränchenmomente: "And you'll know her at first sight / And she'll know you too / Cause she's one in a billion / But then so are you." Schon nach dem ersten Song glaubt man wieder an die wahre Liebe. Und das ist wichtig, denn auch "Spectral lines" ist nicht frei von Zweifeln und erinnert im darauffolgenden "Honey I do" daran, wie man sich manchmal fühlt, als würde man nie wieder geliebt werden. Doch Ritters warme, anschmiegsame Stimme ist nicht dazu da, runterzuziehen, stattdessen berührt sie einen sanft am Arm und nickt wissend.
Das liegt daran, dass Ritter laut eigener Aussage auch wesentlich mehr verstanden hat, als der Mittzwanziger, der er vor mittlerweile 20 Jahren war. Liebenswert und gutherzig war er auch damals. Doch einen väterlichen Americana-Song wie das wunderschöne "Strong swimmer" hätte er 2005 wohl kaum schreiben können. Die feinen Nuancen in den Nebensätzen formen das Bild: "On the night that you were born / Your mama who had many friends / Took you down across the reach / To meet the tide coming." Und auch die ewigen Zeilen im ruhigen Gitarren-Country "In fields" werden immer länger wie ein Schatten, wenn sich die Sonne senkt, und tauchen in eine rötliche Klangfarbe. Selbst die geisterhafte Klavierandacht "Whatever burns will burn" ist mit ihrer Palette aus hohen Tönen nicht fremd, sondern auf unheimliche Art schön.
Während der Vorgänger "Fever breaks" noch von Jason Isbell produziert und mit Unterstützung von The 400 Unit eingespielt wurde, sitzt für die vielleicht sanfteste alter Ritter-Platten wieder mal Sam Kassirer an den Reglern, mit dem er seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Das passt zu einem Album, das sich nach Heimkommen anfühlt. Nicht nach einer neoliberalen Art von Entschleunigung, keiner Auszeit, damit man danach wieder funktionieren kann, sondern einem tiefergehenden Verständnis, das nachhaltig verändert. "Spectral lines" ist keine Meditations-CD oder fasst sich mit unerträglicher Naivität zum Kumbaya an den Händen. Und trotzdem erlaubt Josh Ritter sich im letzten Song "Someday" ganz offen von einer besseren, fairen Welt zu träumen. Einfach ein guter Typ.
Highlights
- Sawgrass
- Horse no rider
- Strong swimmer
- Someday
Tracklist
- Sawgrass
- Honey I do
- Horse no rider
- For your soul
- Black crown
- Strong swimmer
- Whatever burns will burn
- Any way they come
- In fields
- Someday
Gesamtspielzeit: 37:26 min.
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