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Metallica - 72 seasons

Metallica- 72 seasons

Blackened / EMI / Universal
VÖ: 14.04.2023

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

The struggle within

Vor 40 Jahren veröffentlichte eine junge Band aus San Francisco ihr Debütalbum, das gemeinhin als die Initialzündung für den Thrash Metal gilt. "Kill 'em all" machte Metallica auf Anhieb zu Megastars, und auch die folgenden Alben "Ride the lightning" und "Master of puppets" gehören unwiederbringlich zum Kulturerbe des Heavy Metal. Allgemeinwissen, klar. Ebenso bekannt ist, dass der Erfolg des selbstbetitelten "schwarzen" Albums aus dem Jahr 1991 dem Vierer nicht nur Abermillionen aufs Konto spülte – allemal ist "Metallica" bis heute mit 31 Millionen Einheiten das meistverkaufte Metal-Album aller Zeiten – sondern auch eine veritable Sinnkrise bescherte. Streng genommen können Metallica seit "Load", überaus umstrittener Nachfolger von 1996, kaum noch eine Platte ohne heftigste Diskussionen produzieren, woran Drummer und Sprachrohr Lars Ulrich, dessen Mundwerk mitunter schneller als seine Doublebass das Vernunftzentrum überholt, nicht immer völlig unschuldig ist – da wird dann auch schon mal in der Euphorie Heavy Metal in Bausch und Bogen für tot erklärt.

Es grenzt daher an ein Wunder, mit wie wenig Getöse plötzlich das elfte Studioalbum namens "72 seasons" auftauchte. Nein, hier handelt es sich weder um die Extended Edition von Vivaldi noch um die Anzahl der Saisons, die man als HSV-Fan noch darauf warten muss, endlich mal wieder einen Titel zu gewinnen. Die 72 Jahreszeiten entsprechen 18 Jahren, also die Zeit von der Geburt bis zum Erwachsenwerden, und dienen als konzeptioneller Unterbau, mit dem Frontmann und Haupttexter James Hetfield seine Kindheit als Sohn radikalchristlicher Eltern aufarbeiten möchte – nicht zum ersten Mal an sich, aber erstmals auf Albumlänge. Was allerdings für viel mehr Getöse sorgte, war die erste Single "Lux æterna". Über kompakte dreieinhalb Minuten voller Energie fräst sich der Song unwiederbringlich ins Hirn, hinterlässt verbrannte Erde im Pit und zitiert nebenher noch eifrig durch die Metal-Geschichte. Heavy Metal kann so einfach und ungestüm sein. Der Song ist aber auch eines der wenigen Highlights auf einem Album, welches sich ansonsten mit großen Momenten vornehm zurückhält.

Dabei beginnt die Platte herrlich biestig mit dem Titeltrack. Nach hibbeligem Intro marschiert ein typisches Metallica-Riff unaufhaltsam voran, und wenn Lars Ulrich einmal nicht hart an der Grenze zur Überforderung trommelt, möchte man sich kopfüber in den Pit werfen. Das ist immer noch ein ganzes Stück entfernt von solch ikonischen Openern wie "Battery" oder "Fight fire with fire", aber macht zumindest mal wieder richtig Spaß – zudem der Albumsound abgesehen von arg weit in den Hintergrund gemischten Gitarren durchaus druckvoll geraten ist. Auch nicht immer selbstverständlich, wie "St. Anger"-geplagte Ohren immer wieder bestätigen. Das folgende "Shadows follow" deutet allerdings schon an, was das große Problem von "72 seasons" ist. Für sich genommen geht der Song absolut in Ordnung, weist aber exakt das selbe Tempo auf wie ein Großteil der anderen Songs. Und weil der Ideenreichtum der Riffs mitunter überschaubar ist und Ulrich bei allem Respekt eben nicht für verzwickte Polyrhythmen bekannt ist, läuft die Platte immer wieder Gefahr, als Bügel-Metal dahinzuplätschern anstatt alles andere wegzubügeln.

Da das permanente Springen zu anderen Alben als Ausweg aus aufkommender Lethargie allerdings auf Dauer zu anstrengend ist und die Platte allemal als Gesamtwerk konzipiert ist, bedarf es also einiger Ausreißer. Und die sind zum Glück nicht nur vorhanden, sondern auch geschickt über die Trackliste verstreut. Vor allem gegen Ende drehen die Songs noch einmal richtig auf. "Too far gone?" macht mit ein paar eingestreuten Twin-Leads und einer tollen Hook im Refrain richtig Spaß, und "Room of mirrors" spielt endlich einmal mit Harmonien und Tempowechseln. Dem gegenüber verdichtet "Inamorata" das ganze Dilemma von "72 seasons" in einem Song. Zunächst einmal beweisen Metallica hier Mut, ist "Inamorata" doch mit über elf Minuten der längste Song der Bandhistorie. Und auch der ruhige Mittelteil passt punktgenau, wirkt vielleicht aber auch deshalb so stark, weil einige Parts zuvor viel zu lang geraten sind. Denn zwischendurch sind sie immer noch da, die ewigen Refrain-Wiederholungen und das Uffta-Uffta-Drumming. Und das ist besonders schade, weil James Hetfield insbesondere hier eine höchst erstaunliche Gesangsleistung abliefert.

Metallica folgen also ihrer Tradition, sich mit einem Album immer schön zwischen die Stühle von unverbesserlichen Nostalgikern, kritiklosen Jubelfans und giftsprühenden Hatern zu setzen. Das zeugt natürlich von Konsequenz, denn wenn mit jedem Album Millionen Dollar auf der Einnahmenseite bleiben, ist ein bisschen Fluktuation in der Fangemeinde ja sogar ganz sinnvoll. Auf der anderen Seite hatten die unsterblichen Klassiker eines gemeinsam: Jugendliches Feuer gepaart mit schlüssigem, nahezu fehlerfreiem Songwriting aus dem Bauch heraus. Schon "St. Anger" sollte der übermäßigen Verkopfung entgegen wirken und scheiterte scheppernd. Dieses Schicksal wird "72 seconds" nicht ereilen, dafür ist es Metallica zu oft gelungen, wieder nach sich selbst zu klingen. Doch mit vollem Herzen lieben kann man diese Platte nicht, nur respektieren. Aber reicht das wirklich aus?

(Markus Bellmann)

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Highlights

  • 72 seasons
  • Lux æterna
  • Room of mirrors

Tracklist

  1. 72 seasons
  2. Shadows follow
  3. Screaming suicide
  4. Sleepwalk my life away
  5. You must burn!
  6. Lux æterna
  7. Crown of barbed wire
  8. Chasing light
  9. If darkness had a son
  10. Too far gone?
  11. Room of mirrors
  12. Inamorata

Gesamtspielzeit: 77:15 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Rochen

Postings: 369

Registriert seit 15.10.2022

2023-11-27 14:02:49 Uhr
"Große Freiheit" von Unheilig wurde 9x mit Platin ausgezeichnet, da kann man die 2/10 von Plattentests.de noch viel weniger ernst nehmen.

Mr Oh so

Postings: 2973

Registriert seit 13.06.2013

2023-11-27 13:52:46 Uhr
Jetzt ist die rote Linie aber überschritten.

fuzzmyass

Postings: 14924

Registriert seit 21.08.2019

2023-11-27 13:33:31 Uhr
Reload mag ich auch - einige große Highlight Songs, leider auch einige Füller

Huhn vom Hof

Postings: 5735

Registriert seit 14.06.2013

2023-11-27 13:24:00 Uhr
Ich mag "Load" ebenfalls sehr gerne, "Reload" teilweise auch.

Huhnmeister

Postings: 1485

Registriert seit 22.08.2022

2023-11-27 12:33:14 Uhr
Langsam wird’s mir hier zu bunt.
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