Boygenius - The record

Interscope / Universal
VÖ: 31.03.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Stark wie drei
Da ist es also. Das heiß ersehnte Debütalbum von Boygenius. Nach einer umjubelten EP im Jahr 2018 widmeten sich Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus wieder ihren nicht minder erfolgreichen Solokarrieren, wobei besonders Bridgers für Furore sorgte. Nach der Ankündigung von "The record" geisterten schnell Begriffe wie "Supergroup" durch die Medien, die Erwartungen waren hoch. Dass sie erfüllt werden, ist in erster Linie auf die beeindruckende Selbstverständlichkeit zurückzuführen, mit der die drei Künstlerinnen agieren. Denn auch wenn "The record" nur selten mit Überraschungen aufwartet, ist es ein von vorne bis hinten gelungenes Album geworden. Eines über Freundschaft im Allgemeinen und die Freundschaft zwischen Baker, Bridgers und Dacus im Besonderen.
Gewiss gehört ein bisschen Selbstinzenierung zum Geschäft dazu, bei Boygenius stellt sich jedoch nie der Eindruck ein, als würde hier bloßes Kalkül den Ton angeben. Im Mittelpunkt steht die Musik – und die kann sich hören lassen. Schon die ersten Sekunden von "Without you without them" machen klar, dass kein Blatt Papier zwischen Publikum und Band passt. Ganz nah dran ist man, wenn der Harmoniegesang der drei Damen den Raum füllt. Dieses Gefühl der Intimität bleibt über die gesamte Spieldauer des Albums bestehen. So ist beispielsweise "True blue" ein Seelenschmeichler, wie ihn nur Lucy Dacus zum Besten geben kann. Zu einer herrlich zurückgenommenen Begleitung erklingt ihre unverkennbare Alt-Stimme und singt Zeilen wie "And it feels good to be known so well / I can't hide from you like I hide from myself". Schöner kann man kaum über Geborgenheit singen. Ihren zweiten großen Moment hat Dacus in "Leonard Cohen", das "True blue" den sarkastischen Spiegel vorhält. "I never thought you'd happen to me", singt sie da und bringt damit jenes merkwürdige Gefühl, Liebe nicht fassen zu können, auf den Punkt.
Julien Baker zeigt sich in den von ihr dominierten Songs hingegen eher von der rockigen Seite. Besonders "Satanist", das mit seinen Riffs und Hooks an Weezer erinnert, macht großen Spaß. Auch "Anti-curse" wartet mit einer cleveren melodischen Steigerung auf, welche das Grinsen im Gesicht festtackert. Phoebe Bridgers tritt hingegen eher in den Hintergrund, ihre Songs sind leise, ja fast unscheinbar, aber noch immer von betörender Eleganz. Besonders die Trennungs-Ballade "Emily I'm sorry" und das oberflächlich hübsche, aber textlich gallige "Letter to an old poet" bleiben lange im Gedächtnis. Aber "The record" ist weit mehr als nur eine Compilation von Solo-Kompositionen. Immer dann, wenn während der Songs das Mikro im Kreis herumgereicht wird, stellt sich Gänsehaut ein. Großartig ist diesbezüglich das hymnische "Not strong enough", dessen Finale bei Konzerten sicher für so manche Glücksträne sorgen dürfte. Und auch "$20" begeistert mit einer famosen Steigerung im Schlusspart, bei welcher Bridgers einmal mehr gegen eine Wand aus Lärm anschreit und als Siegerin hervorgeht.
Nicht jeder Song erreicht diese Intensität, Tracks wie "I'm in love" und "Cool about it", das recht unverblümt bei Simon & Garfunkel klaut, sind deswegen aber nicht weniger gut. Allerdings macht sich bei aller berechtigten Freude ein mulmiges Gefühl breit: Was ist, wenn das hier der Anfang vom Ende ist? Der Moment vor dem großen Krach, das singuläre Ereignis, auf das nur noch Mittelmäßigkeit folgt? Boygenius gehen durchaus auf Nummer sicher, was ihnen manche zum Vorwurf machen dürften. Gleichzeitig sind derlei Untergangsfantasien wahrscheinlich wieder nur so eine Kritiker-Krankheit. Und wer sich in einen Hype hineinsteigert, verkennt letzten Endes, worum es Boygenius wirklich geht. Sie machen vielleicht keine revolutionäre, aber sehr gute Musik. Und damit die Welt ein kleines Stück besser. Das muss doch auch mal reichen.
Highlights
- $20
- True blue
- Not strong enough
- Satanist
Tracklist
- Without you without them
- $20
- Emily I'm sorry
- True blue
- Cool about it
- Not strong enough
- Revolution 0
- Leonard Cohen
- Satanist
- We're in love
- Anti-curse
- Letter to an old poet
Gesamtspielzeit: 42:18 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34864 Registriert seit 07.06.2013 |
2025-04-13 01:11:29 Uhr
Sehr viel Liebe für das Album immer wieder. Besonders "20 Dollar", "True Blue", "Revolution 0" und das Ende von "Anti-Curse". |
boneless Postings: 6347 Registriert seit 13.05.2014 |
2024-01-06 15:31:39 Uhr
Ich kam auch nie rein. Die Debüt-Ep hab ich gefeiert, aber das Album hat mich fast komplett kalt gelassen. |
Z4 Postings: 8861 Registriert seit 28.10.2021 |
2024-01-05 10:39:08 Uhr
Rest auch gut, 2-3 lahme Sachen, das Album brauchte bei mir aber relativ viel Zeit. |
Kalle Postings: 468 Registriert seit 12.07.2019 |
2024-01-05 10:03:32 Uhr
In Verbindung mit dem Poll-Ergebnis habe ich es nochmal mit dem Album versucht! Aber ich weiß nicht, was hier so besonders sein soll?! 2-3 gute Songs ($20, Cool about it und vor allem Not strong enough) aber sonst? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28834 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-11-24 20:32:28 Uhr
Wunderschön, der Song. Wobei das auch am Traditional liegt, das nicht zum ersten Mal toll umgesetzt wird. |
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Referenzen
Julien Baker; Phoebe Bridgers; Lucy Dacus; Wildwood Kin; Bright Eyes; Better Oblivion Community Center; Conor Oberst; Leith Ross; Samia; Lizzy McAlpine; The 1975; Big Thief; Maggie Rogers; Weezer; Snail Mail; Blondshell; Azure Ray; Tomberlin; Soccer Mommy; Fenne Lily; Haim; Wolf Alice; Bon Iver; Laure Stevenson; Sufjan Stevens; Hayley Williams; Aimee Mann; Faye Webster; Maya Hawke; Hand Habits; Laura Marling; Courtney Barnett; Fleet Foxes; Rilo Kiley; Sleater-Kinney; Adrianne Lenker; Sharon Van Etten; Billie Marten; Daughter; Leonard Cohen; Simon & Garfunkel; Taylor Swift; Lana Del Rey
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