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Daughter - Stereo mind game

Daughter- Stereo mind game

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 07.04.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

You will get what you want

"I'm tryna get out / Find a subtle way out / Not to cross myself out / Not to disappear." Gegen das Verschwinden, das Vergessen, die Selbstaufgabe stemmten sich Daughter auf "Not to disappear" und wären in der Folge beinah selbst zur Fußnote geworden. Mitte der 2010er-Jahre bildete das britische Trio einen Fixstern am Indie-Himmel, dessen Erblassen kaum vorstellbar war. Sowohl "If you leave" als auch sein Nachfolger definierten sich nicht durch Stilbrüche oder aufgeblasene Kunst-Konzepte, sondern durch eine grenzen- wie kitschlose Empathie. Sie wirkten wie Vertraute, mit denen man sich in hoffnungslosen Zeiten traf und gegenseitig Trost spendete – und deren siebenjährige Abwesenheit sich weder durch ein Soundtrack-Album noch durch Elena Tonras gleichwohl gelungene Solo-Platte als Ex:Re kompensieren ließ. Nun sind Daughter wieder aufgetaucht. Und "Stereo mind game" kommt trotz seines kryptischen, keine emotionalen Reaktionen auslösenden Titels dem Seelsorge-Abkommen von damals leidenschaftlich nach.

Denn auch Album Nummer drei hat wieder einiges auf dem Herzen. Im Video zur ersten Single "Be on your way" überlagern sich die Bilder wie verschwommene Erinnerungen. "I will meet you on another planet if the plans change", verspricht Tonra einer romantischen Bekanntschaft, die sie in Kalifornien machte, ganz im Wissen, dass das irdische Wiedersehen womöglich nie stattfinden wird. Ihr Gesicht wirkt abwechselnd ernüchtert und glücklich, der vertraute instrumentale Kokon aus Hall-Gitarren, drängelnden Drums und Streichern fängt den bandtypischen Limbus zwischen Verzweiflung und Aufbruch ein. Die Sehnsucht nach räumlich entfernten geliebten Menschen, das gleichzeitige Wunder ihrer Existenz wie der Schmerz der Distanz, wird zur thematischen Klammer der ganzen Platte. Der Closer "Wish I could cross the sea" beginnt mit entfremdeten Sprachaufnahmen von Tonras Nichte und Neffen, die in Italien leben.

Doch manchmal gibt es auch nicht-geografische Gründe für die Isolation. Im ironisch betitelten "Party" gehe es laut Tonra um die Nacht, in der sie realisierte, mit dem Alkohol aufhören zu wollen: "I'll burn right through / I'm scared I've lost my head / I'm tryna keep my cool / My friends are vanishing." Auf einem post-punkigen Riff treibt der Song vorwärts, knarziges Feedback-Rauschen verklanglicht die geistige Umnebelung, durch welche die Protagonistin stößt. Es ist nicht das einzige Mal, dass Daughter aus ihrer Komfortzone brechen. "Dandelion" nimmt den Drive auf seiner Akustischen mit, ehe er in einer von Geräuschen durchdrungenen Klimax durch die Luft wirbelt – "We are the reckless, we are the wild youth", hieß es ja nicht umsonst im ikonischsten Stück der Band. In "Future lover" unterstützt Gitarrist Igor Haefeli indes seine Frontfrau auch gesanglich, während das klassischere "Neptune" in einem atemberaubenden Finale mit Chor und Bläsern abhebt.

Orchestrales Uplifting betreibt auch das fulminante "To rage" – und erfasst damit den Moment, in dem alle Dämme brechen. Wer skeptisch war, ob Daughter während der langen Pause die Beihilfe zur Katharsis verlernt haben könnten, kann spätestens hier die Tränen fließen lassen. Sie haben sich verweigert, selbst zu einer ihrer besungenen und visualisierten Erinnerungsfetzen zu werden, und erneut ein Album geschaffen, das nach einer gewissen Zeit den Rhythmus des eigenen Herzschlags annimmt. "I'd just need to erase distance / Find a hole in the ocean", singt Tonra in "Swim back" zwischen shoegazigen Synth-Wasserfällen und tief verzerrten Saiten. Dabei hat sie den direkten Kanal zu ihren Therapiepartner*innen am anderen Ende der Leitung schon längst gefunden. Wer Daughter hört, ist nie allein.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Party
  • Dandelion
  • Neptune
  • To rage

Tracklist

  1. Intro
  2. Be on your way
  3. Party
  4. Dandelion
  5. Neptune
  6. Swim back
  7. Junkmail
  8. Future lover
  9. (Missed calls)
  10. Isolation
  11. To rage
  12. Wish I could cross the sea

Gesamtspielzeit: 44:30 min.

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User Beitrag

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1395

Registriert seit 31.10.2013

2023-07-05 23:30:47 Uhr
Medicine ist tatsächlich ein Schlafmittel für mich

Youth finde ich auf dem Album besser.

Whaaaaat?

Gabs nicht früher mal öfters den Spruch im Forum (glaube Obrac war da meist involviert) "Damit hast du dich zum Pferd disqualifiziert" oder so?

Wie dem auch sei: Du hast natürlich Recht, dass "If you leave" großartig ist und die von dir genannten Songs sowieso (und bei der Sache mit dem zweiten Album auch).

Vielleicht einigen wir uns darauf, dass "Stereo Mind Game" eine positive Überraschung ist?

nörtz

User und News-Scout

Postings: 13851

Registriert seit 13.06.2013

2023-07-05 22:32:19 Uhr
Medicine ist tatsächlich ein Schlafmittel für mich. Love ist der beste Song auf der EP und Youth finde ich auf dem Album besser.

Das Album hat aber noch Winter, Lifeforms und Amsterdam.

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1395

Registriert seit 31.10.2013

2023-07-05 22:09:55 Uhr
Aber auf der "Wild youth" ist doch die bessere Version von "Youth" drauf und vor allem "Medicine", der beste Daughter-Song überhaupt?

nörtz

User und News-Scout

Postings: 13851

Registriert seit 13.06.2013

2023-06-23 23:34:18 Uhr
Find ich nicht. Solche Übersongs wie auf If You Leave habe ich von ihnen nicht mehr gehört. Das zweite Album fand ich sogar richtig schwach.

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1395

Registriert seit 31.10.2013

2023-06-23 23:06:06 Uhr
Unerreicht ist doch eigentlich nur die „Wild youth“-EP oder?
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