U2 - Songs of surrender

Island / Universal
VÖ: 17.03.2023
Unsere Bewertung: 4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Der Letzte macht das Licht aus
Irgendwie kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie groß U2 einmal waren. Jedes Album ging schnurstracks auf Platz 1 der Charts, jede Tournee glich einem Triumphzug. U2 waren unantastbar, trotz oder gerade wegen ihrer Experimentierfreudigkeit. Normalerweise verzeihen Fans von derart großen Bands keine radikalen Stilwechsel. Doch U2 gelang das Kunststück, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne dabei ihr Kerngeschäft zu vernachlässigen. Die Band schrieb Songs für Millionen, Songs, die jeder verstehen und mögen kann. Es ist kein Zufall, dass Johnny Cash "One" gecovert hat. All das wirkt im Jahr 2023 unendlich weit weg. U2 sind eine Erinnerung, ein Symbol für eine verblichene Ära der Rockmusik. Sinnbildlich hierfür steht "Songs of surrender", eine 40 Tracks umfassende Kollektion aus Neueinspielungen. Wo einst das unvergessliche Feuer loderte, brennt nun ein LED-Lämpchen. Die Welt will ja schließlich immer noch gerettet werden, aber bitte nicht mehr so laut.
Über "Songs of surrender" zu schreiben, schmerzt. Gewiss gibt es einzelne Songs, die eine positive Erwähnung verdienen, aber in der Summe ist das Werk erschreckend. Erschreckend blutleer, erschreckend beliebig. Sich mit der eigenen Vergangenheit musikalisch auseinanderzusetzen, ist ein hehres Ziel, gerade dann, wenn man versucht, es gegen den Strich zu bürsten. Konkret heißt das auf "Songs of surrender", dass Adam Clayton und Larry Mullen größtenteils Urlaub hatten, während Bono und The Edge im Studio werkelten. Man kann zwar meist noch erahnen, warum diese Stücke die Massen begeisterten, doch gelingt es U2 nur selten, dem eigenen Material Neues abzugewinnen. Stattdessen tröpfelt die Musik gleichförmig dahin. Hier ein bisschen Klavier, dort ein Synthesizer. Dazwischen vielleicht einmal ein wenig Akustikgitarre. Und in der Mitte sitzt Bono. Müde ist er geworden, vielleicht auch ein bisschen alt. Die Stimme will nicht mehr so recht, aber das allein ist kein Scheidungsgrund.
Aber was bleibt von U2-Songs, wenn man sie ohne Pathos vorträgt? Nicht viel. "Where the streets have no name" lebt im Original von The Edges unverkennbarem Delay-Sound und Bonos beseeltem Gesang, hier dümpelt der Song im Brackwasser dahin, ohne ernsthaft zu berühren. Auch "One" wirkt, als hätte Bono vergessen, worum es in dem Stück eigentlich geht. Es ließen sich viele Negativbeispiele aufzählen, aber sonderlich hilfreich wäre das auch nicht. Trotzdem stellt sich immer wieder Fassungslosigkeit ob des Dargebotenen ein. So wird etwa "I will follow" dekonstruiert, bis nichts außer einer blassen Erinnerung zurückbleibt. Und "Sunday bloody Sunday" bekommt von Bono zwar ein paar neue Zeilen spendiert, aber wirkt als Folkballade wie ein Fremdkörper.
Löblich ist, dass die Iren nicht nur altbekannte Gassenhauer neu vertont, sondern auch unbekanntere Tracks einer Frischzellenkur unterzogen haben. Vor allem "Songs of innocence" bekommt eine zweite Chance, es finden sich etliche Nummern dieses Albums auf "Songs of surrender". Sonderlich besser werden sie dadurch nicht, aber sie stören auch nicht. Durchaus gelungen fallen auch "Red hill mining town", das mit hübschen Bläsersätzen aufwartet, und "The fly" aus. Und "When God will send his angels" dürfte in so ziemlich jedem Arrangement ein verdammt schöner Song sein. Absolut grauenhaft ist hingegen "Desire": Zu einer merkwürdig suppigen Begleitung versucht sich The Edge als Sänger. Dass er nicht singen kann und sein Falsett eher an einen Keilriemen erinnert, dürfte ihm bewusst sein. Er wird sich schon etwas dabei gedacht haben.
Das Schlimmste an "Songs of surrender" ist, dass es nicht aufhören will. 40 Songs sind einfach zu viel, weshalb es auch eine Kurzversion des Albums gibt. Ob diese nun wirklich besser ist, sei dahingestellt. Vor allem wird einfach nicht klar, für wen dieses Album nun genau sein soll. Alte Fans dürften es mit mildem Interesse registrieren, neue gewinnt die Band sowieso keine mehr. Vielleicht hatten Bono und The Edge einfach nur Lust, ein wenig gemeinsam abzuhängen und Musik zu machen. Das sei ihnen von Herzen gegönnt, denn so egal "Songs of surrender" auch ist, am Denkmal wird dieser Longplayer nicht rütteln. Paradoxerweise sorgt er eher dafür, dass man sich daran erinnert, wie verdammt groß U2 einmal waren. Die Hand wandert zum Plattenschrank. Sekunden später erklingen die ersten Takte von "A sort of homecoming" und alles ist gut.
Highlights
- Red hill mining town
- The fly
- If God will send his angels
Tracklist
- CD 1
- One
- Where the streets have no name
- Stories for boys
- 11 o'clock tick tock
- Out of control
- Beautiful day
- Bad
- Every breaking wave
- Walk on (Ukraine)
- Pride (In the name of love)
- CD 2
- Who's gonna ride your wild horses
- Get out of your own way
- Stuck in a moment you can't get out of
- Red hill mining town
- Ordinary love
- Sometimes you can't make it on your own
- Invisible
- Dirty day
- The miracle (of Joey Ramone)
- City of blinding lights
- CD 3
- Vertigo
- I still haven't found what I'm looking for
- Electrical storm
- The fly
- If God will send his angels
- Desire
- Until the end of the world
- Song for someone
- All I want is you
- Peace on earth
- CD 4
- With or without you
- Stay (Faraway, so close!)
- Sunday bloody Sunday
- Lights of home
- Cedarwood road
- I will follow
- Two hearts beat as one
- Miracle drug
- The little things that you give away
- "40"
Gesamtspielzeit: 165:50 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fuzzmyass Postings: 18097 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-12-25 14:54:09 Uhr
Die letzten Tage mal wieder angehört nach längerer Zeit...Also ich bleibe dabei... CD1 ist absolut großartig - keine Ausfälle, schöner Sound, tolle Versionen, viele Highlights und tolle Atmosphäre, macht richtig Lust auf U2... würde aus dem Stegreif sofort 8-9/10 geben... CD2 und 3 sind etwas mixed bag mäßig... neben recht vielen soliden bis recht guten Versionen sowie paar Highlights schleichen sich hier und da paar Rohrkrepierer oder langweilige Versionen ein (Desire z.B., wie kann man einen solch grandiosen Songs so abschmieren lassen) - sehr wenig wirklich katastrophales, aber summa summarum doch deutlich schwächer als CD1... würd so 6-7/10 geben... CD4 geht wieder stark in die Richtung von CD1, sehr schön und ohne Ausfälle, 8/10.... Insgesamt schon eine gute und lohnenswerte Sammlung, die packt und Lust auf eine U2 Phase macht, auch wenn sich in der Mitte auch paar Schwächen einschleichen... |
Grizzly Adams Postings: 5726 Registriert seit 22.08.2019 |
2023-03-30 17:16:47 Uhr
Denke auch, dass der Titel der Box „Songs of Surrender“ einen Hintergedanken hat… |
Mitschi Postings: 452 Registriert seit 29.09.2022 |
2023-03-30 14:26:27 Uhr
Lol..hahaaha...der war gut |
Sloppy-Ray Hasselhoff Postings: 2423 Registriert seit 02.12.2019 |
2023-03-30 13:07:19 Uhr
Badewannenromantik mit "Songs of Surrender". Am besten mit einem Föhn in der Hand. Even better than the real thing. |
fuzzmyass Postings: 18097 Registriert seit 21.08.2019 |
2023-03-30 12:53:46 Uhr
Eben.. die Logik ergibt keinen Sinn... wer in der Vergangenheit lebt müsste Songs Of Surrender eigentlich abgrundtief scheiße finden... |
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Referenzen
; INXS; Bruce Springsteen; Coldplay; Sting; Simple Minds; Manic Street Preachers; R.E.M.; The Cranberries; Peter Gabriel; Kodaline; The Cult; Journey; Elton John; Counting Crows; The Killers; Snow Patrol; Dave Matthews Band; Dire Straits; Oasis; Tom Petty And The Heartbreakers; Sinéad O'Connor; The Verve; Foo Fighters; Mumford & Sons; Crowded House; Elbow; The Pretenders; Rod Stewart; Bryan Adams; Thirteen Senses; Kings Of Leon; Fleetwood Mac; The Wallflowers; Midnight Oil; Texas; Stereophonics; Matchbox Twenty; Manic Street Preachers; The Waterboys; The Beatles; Queen; The Rolling Stones; Goo Goo Dolls; Traveling Wilburys; Johnny Cash; REO Speedwagon
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