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Insomnium - Anno 1696

Insomnium- Anno 1696

Century Media / Sony
VÖ: 24.02.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Wie es im Buche steht

Die Hexenverfolgungen gehören sicherlich zu den schwersten Verbrechen, die in Europa im Namen der Kirche und des vermeintlich rechtschaffenen Glaubens begangen wurden. Etwa 60.000 Menschen fielen einer beispiellosen, mehr als 400 Jahre andauernden Hetzjagd zum Opfer, erst weit im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, wurde der Barbarei endlich Einhalt geboten. In Nordeuropa begann der Wahn erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, unter anderem angefacht durch das Massaker im Zuge der Hexenprozesse im schwedischen Torsåker, bei denen allein 71 Menschen starben, sowie der Großen Hungersnot von 1695 bis 1697, die ein Drittel der Bevölkerung der damals noch schwedischen Provinz Finnland dahinraffte. Ausgerechnet aus diesen dunklen Zeiten zieht ein gewisser Niilo Sevänen die Inspiration für eine Novelle namens "Anno 1696", die er nicht nur als Autor zu Papier bringt, sondern als Frontmann von Insomnium auch gleich vertont.

Ein Setting also, an dem sich die Finnen schon einmal versuchten. Damals, 2016, war das Resultat "A winter's tale" ein schwer verdaulicher Brocken, der aus einem einzelnen Song von 40 Minuten Länge bestand. "Anno 1696" sollte leichtgängiger werden, und tatsächlich funktionieren die meisten Songs auch außerhalb des Album-Kontexts, entfalten ihre Wirkung auch ohne intensives Studium der jüngeren finnischen Geschichte oder platt hineingeschmiedete Hörspiel-Anteile. Statt eines opulenten Intros oder einer breitwandigen Ouvertüre gibt es dann zunächst nur einige wenige Takte von der Akustikgitarre, bis der Opener "1696" den Tritt in die Magengrube versetzt, den die Geschichte benötigt. "Hour of bloodshed, hour of lies / The hour of murders and vile crimes / No redemption and no pity / No forgiveness of the White Christ" – wenn der Glaube, der Halt geben soll, statt dessen den Tod bringt, wird es sehr, sehr dunkel.

Doch erst danach entfaltet sich die volle Wucht der Platte. "White Christ" beginnt düster stampfend, wird aber mit zunehmender Dauer durch die Gast-Vocals von Sakis Tolis, der mit seiner Band Rotting Christ ansonsten Gothic- und Black-Metal-Klänge vereinigt, immer hypnotischer. Der klagend-fragile Gesang von Johanna Kurkela zu Beginn von "Godforsaken" hingegen wird durch ein mächtiges Riff förmlich niedergewalzt, bis wieder zarte Pagan-Sounds und eine wie bei den Landsleuten von Amorphis herrlich bittersüß singende Gitarre diese Wand aufzubrechen beginnen. Das Ergebnis ist ein ergreifendes Stück Dark Metal, nach dem letztlich alles egal ist, sofern man es immer und immer wieder unter dem Kopfhörer genießen kann.

Was jedoch bedeuten würde, mit "Lilian" eines der mächtigsten Stücke Melodic Death Metal seit geraumer Zeit zu verpassen. Wenn sich schon musikalisch immer wieder Amorphis und Amon Amarth als stilistische Paten aufdrängen – beileibe, ohne dass Insomnium blind klauen würden, wahrlich nicht – müssten sich jene zwei Genregrößen schon gewaltig anstrengen, um so einen Monolithen zu erschaffen. Insomnium gelingt dieses Kunststück gleich zwei Mal, denn auch der Abschluss "The rapids" steht dem Song in nichts nach. Spielerisch feuern die drei Gitarristen ein hochklassiges Riff nach dem anderen ab, wickeln den gebannt lauschenden Fan in filigrane Strukturen ein, werden zugleich immer orgiastischer, immer ekstatischer und weisen so einen ganz eigenen Weg aus der Dunkelheit der Hintergrundstory. Oder bilden ganz simpel einen faszinierenden Abschluss für ein unglaublich starkes Stück Melodic Death Metal. Welches zwar durch sein Konzept einen literatischen Oberbau erhält, doch auch ohne diesen schlicht ein Genuss ist.

(Markus Bellmann)

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Highlights

  • Godforsaken
  • Lilian
  • The rapids

Tracklist

  1. 1696
  2. White Christ (feat. Sakis Tolis)
  3. Godforsaken (feat. Johanna Kurkela)
  4. Lilian
  5. Starless paths
  6. The witch hunter
  7. The unrest
  8. The rapids

Gesamtspielzeit: 50:29 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

8hor0

Postings: 766

Registriert seit 14.06.2013

2023-03-21 11:26:21 Uhr
danke für die rezi. voll reingekippt in die band und auch die früheren alben. immer wieder große melodien!

8hor0

Postings: 766

Registriert seit 14.06.2013

2023-03-13 08:42:04 Uhr
starless paths ist auch sehr schön! tolles album wieder! 8/10

Neytiri

Postings: 769

Registriert seit 14.06.2013

2023-03-06 10:54:47 Uhr
Godforsaken hat es mir jetzt doch richtig angetan.

Kamm

Postings: 462

Registriert seit 17.06.2013

2023-03-02 17:26:55 Uhr
Historisch bewanderten Menschen wird es natürlich direkt auffallen; für alle anderen: Der erste Satz ist natürlich inhaltlich falsch.

Es ist ein immer noch weit verbreiteter moderner Mythos, dass die Kirche oder der christliche Glaube für die Hexenverfolgung verantwortlich war.

Interessierte können einfach mal den entsprechenden Wikipedia-Artikel lesen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hexenverfolgung

Neytiri

Postings: 769

Registriert seit 14.06.2013

2023-03-02 13:19:30 Uhr
Ich kann die sehr positive Rezension bislang nach doch etlichen Durchläufen nicht nachempfinden. Mich enttäuscht das Album leider ähnlich wie die neue In Flames. Plätschert mir alles zu gleichmäßig dahin. Gemessen an den letzten Alben ist das schwach, wenngleich immer noch besser als der Großteil aller Metalneuheiten.
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