Sleaford Mods - UK grim

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 10.03.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Klasse Gesellschaft
Wer dieser Tage Nachrichten über das (noch) Vereinigte Königreich liest, bekommt einen düsteren Eindruck. Obst und Gemüse verschwinden aus den Supermarktregalen, fallen steigenden Energiekosten und zusammenbrechenden Lieferketten zum Opfer. Die Isolation nach dem weiterhin massiv polarisierenden Brexit und eine konservative Partei, die den Posten des Premiers inzwischen kaum noch mit demokratischer Legitimität ausfüllt, sind da beinahe schon ein alter Hut. Seit nunmehr zehn Jahren fungieren Jason Williamsons stakkatohafte Tiraden und Andrew Fearns karg-reduzierte Beats als Chronisten sozialer Verwahrlosung, letzterem ist in der Zwischenzeit passenderweise ein üppiger Bart gewachsen. Besser geworden, da sind sich beide einig, sei nämlich nichts, ganz im Gegenteil. Und so pointiert die erste Single, die auch den Namen des Albums stiftet, gleich mal eingeläutet von donnernden Synthies die zentrale Botschaft der Sleaford Mods: Düster und dreckig steht's ums UK. Den (Klassen-)Kampfgeist zu verlieren, gestatte sich darum umso weniger: "I got crisis stamina", gibt Williamson mit geballter Faust zu Protokoll und liefert im Anschluss den Grund: "Because in England nobody can hear you scream / You're just fucked, lads."
Sleaford Mods haben in der Vergangenheit eine angesichts ihrer ästhetischen Nische erstaunliche Reichweite erzielt. Aus den Pubs Nottinghams ging es auf die großen Bühnen der Welt, sogar luftige Chartregionen sind mittlerweile die Regel. Gezähmt oder gebändigt wurde dadurch rein gar nichts, dafür moniert Williamson seit längerem den Erfolg prätentiöser Epigonen, die mit der Maske des Proletariats vor allem ein Image kultivieren wollen. Klaviersamples und ein minimalistisch-schneidener Beat liefern die Waffen, mit denen er jener selbstgerechten Szenekultur in "D.I.Why" zusetzt: "Excuse me, mate, you've just dropped one of your tattoos." Das Gegenmodell entsteht direkt danach in "Force 10 from Navarone", wenn Dry-Cleaning-Texterin Florence Shaw zum Duett aufkreuzt. Ein Akkord reicht für das ominöse Post-Punk-Riff, zum Ende zupfen sich gar an Flamenco erinnernde Akustikgitarren durch einen rätselhaften Film Noir. Das zweite Feature des Albums liegt da deutlich weniger nahe: Perry Farrell und Dave Navarro von Jane's Addiction verleihen dem düsteren Dance-Punk von "So trendy" eine surreale Note, wobei Navarros wilde und treibende Gitarrenarbeit so etwas wie den Kulminationspunkt eines Trends auf "UK grim" darstellt. Wohl nie zuvor war der Sechssaiter auf einer Platte der Sleaford Mods so präsent, häufig gesellt er sich nach wenigen Minuten zum wummernden Beat und dem grollenden Bass, wird zur dritten Säule der Tracks.
Dass die ähnliche Grundstruktur einiger Songs irgendwann ein leicht repetitives Gefühl erzeugt, ist zum einen erwartbar – Williamson und Fearn haben nämlich gar keine Zeit für Gimmicks – und darum auch überhaupt nicht weiter schlimm. Dennoch hat das Duo selten mit so breiter Palette gearbeitet wie hier. Die irre Rollenprosa von "I Claudius" vor beinahe cineastischem Hintergrund weiß zu beeindrucken, auch die durchgeknallten Bongos von "Tory Kong" nebst grunzendem Williamson entlocken ein breites Grinsen. Und "Apart from you" zeichnet mit Barpiano, Joy-Division-Licks und der Motivik bester Straßenpoesie ein Porträt existentieller Einsamkeit: "Swimming inside a closed rainpipe." Williamson war dem Crooner nie näher. Neben seiner gewohnt beißenden Gesellschaftsdiagnostik arbeitet er vermehrt mit bildlicher Fülle, Stimmungsgemälden, Atmosphären – häufig in direktem Wechsel. Im apokalyptischen "Smash each other up" klingt das so: "The air smells when the suns burns it up / No streets, no line of thought / No country now, were distraught." Und als "Rhythms of class" das breite Panorama aufmacht, über einem Oldschool-Beat aus den Ursprüngen des Hip-Hop die Melancholie der Globalisierung artikuliert, wird klar: Sleaford Mods sind mittlerweile weit mehr als die politische Band mit wütender Punk-Geste. Aber das eben auch noch. Und vor allem ein Hoffnungsschimmer und Sprachrohr für alle, die es nicht mit den Tories halten.
Highlights
- UK grim
- Force 10 from Navarone (feat. Florence Shaw)
- Smash each other up
- Apart from you
- Rhythms of class
Tracklist
- UK grim
- D.I.Why
- Force 10 from Navarone (feat. Florence Shaw)
- Tilldipper
- On the ground
- Right wing beast
- Smash each other up
- Don
- So trendy (feat. Perry Farrell & Dave Navarro)
- I Claudius
- Pit 2 pit
- Apart from you
- Tory Kong
- Rhythms of class
Gesamtspielzeit: 48:13 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Kojiro Postings: 1746 Registriert seit 26.12.2018 |
2023-03-10 22:26:13 Uhr
Gefällt mir nach zwei Durchgängen überwiegend sehr gut. 1-2 Songs ggf. zu lang. Sehr guter Opener / Closer. Hab mir jetzt mal Tickets für Oktober in München besorgt! :-) |
Sloppy-Ray Hasselhoff Postings: 996 Registriert seit 02.12.2019 |
2023-03-08 03:31:39 Uhr
Perry hätte nach "Ritual de lo habitual" besser den Mic Drop gemacht. Mods live ist ein Konzert wert. Williamson ist eine Force am Micro und versenkt smooth den Moloch England. Besser auf Schiene in diesem Segment war IMO nur John Cooper Clarke. |
Konsul Postings: 287 Registriert seit 06.04.2022 |
2023-03-06 22:29:22 Uhr
https://www.youtube.com/watch?v=emyqKPaRAHsNeues offizielles Video zur 3. Veröffentlichung aus UK Grim.: So Trendy feat. Perry Farrell (Jane’s-Addiction). Zündet bei mir nicht so wie die zwei vorherigen Singles/Veröffentlichungen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 24169 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-03-06 19:00:56 Uhr - Newsbeitrag
Sleaford Mods im Oktober auf großer DeutschlandtourKrieg in Europa, steigende Energiepreise, Inflation, eine erstarrte politische Klasse, die Post-Brexit-Übelkeit und ein gespaltenes Land, Verzweiflung, Wut und Entfremdung. War es in England jemals schlimmer? Das fragen sich Sleaford Mods auf ihrer neuen Platte „UK Grim“, die am 10. März veröffentlicht wird, und geben die gewohnt deutliche Antwort. „Die Verwesung hat eingesetzt“, sagt Rapper Jason Williamson. „Wir sind alle Torys geworden, wir sind jetzt alle konservative Abgeordnete. Diener dieses trübseligen Aldi-Nationalismus.“ Anders gesagt, Williamson und sein kongenialer Partner Andrew Fearn sind auf ihrem inzwischen zwölften Album immer noch verdammt sauer auf ihr Land, seine Repräsentant*innen und seinen trostlosen Zustand im Allgemeinen. Obwohl weitgehend vor den Turbulenzen des Jahres 2022 geschrieben, nimmt die Platte auf unheimliche Weise die Erschütterungen einer Gesellschaft vorweg, die den Verstand verliert. Musikalisch sind die 14 wasserdichten Tracks purer Punk, störrische Elektronik und verdrehter Hip-Hop. In den Lyrics wechseln sich die Themen schändlicher Rechtsradikalismus, Korruption, der nostalgische Blick der Süchtigen auf Drogen und existentielle Einsamkeit ab. Die Aussagen sind klar und gerade, die Wörter deutlich, unverblümt und brutal. Bei den Sleaford Mods wurde noch nie etwas beschönigt, aber so wütend wie auf „UK Grim“ hat man sie nur selten erlebt. Selbst die eigene Szene bekommt ihr Fett weg, wenn Williamson über ihre Einförmigkeit tobt: „Not another white bloke aggro band, oh yeah we’re all the fucking same, let’s not kid ourselves.“ Niemals zurückstecken, so ist das Duo aus Nottingham. Jeder Track muss sofort zünden: schnell rein, in zwei Minuten klar Schiff machen und wieder raus. Thema erledigt. Wenn da nur nicht der Hydra England für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue wachsen würden. Grund genug für Sleaford Mods, immer weiterzumachen. Das gilt auch für die Auftritte des Duos, die genauso minimalistisch sind und doch so energetisch. Im Oktober kommen die beiden zu uns auf Tour. Präsentiert werden die Konzerte von Rolling Stone und laut.de. 16.10.2023 Frankfurt am Main - Batschkapp 18.10.2023 Köln - Carlswerk 21.10.2023 Berlin - Columbiahalle 24.10.2023 Leipzig - Täubchenthal 28.10.2023 München - TonHalle Ab Freitag, den 10. März, 10 Uhr gibt es die Tickets ab 32 Euro zzgl. Gebühren an allen bekannten CTS-VVK Stellen sowie unter der Hotline 01806 - 570070 (0,20€/Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,60€/Anruf), auf fkpscorpio.com und eventim.de. |
Kojiro Postings: 1746 Registriert seit 26.12.2018 |
2023-03-06 18:53:04 Uhr
Die Singles finde ich bisher alle ziemlich gut. Witzig, konnte mit diesem Spoken Word Kram bisher nie wirklich was anfangen, aber die beiden Lads haben mich in den letzten Monaten doch etwas gekriegt. Im Oktober auch in München / Deutschland. Vielleicht geh ich mal hin. Frage mich nur, ob die hierzulande wirklich die Tonhalle füllen!? |
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Referenzen
Dry Cleaning; Kate Tempest; Farai; Von Südenfed; The Fall; The Streets; Dan Le Sac Vs. Scroobius Pip; Idles; Shame; King Krule; Archy Marshall; Fontaines D.C.; For Those I Love; Billy Woods; Art Brut; Jamie T; The D.O.T.; The Prodigy; Audio Bullys; As A New Revolt; Mark Stewart; Roots Manuva; Loyle Carner; Happy Mondays; Baxter Dury; John Cooper Clarke; Big Black; Saul Williams; Gil Scott-Heron; Blurt; The Pop Group; The Ex; Crass; Prinzhorn Dance School; Shopping; Bush Tetras; ESG; Delta 5; Sneaks; Deutsch Amerikanische Freundschaft; Escape-ism; Fat White Family; Warmduscher; The Moonlandingz; Sudden Infant; Gang Of Four; Public Image Limited; Wire; Pere Ubu; Swell Maps; Slaves; Big Flame; The Great Leap Forward; Half Man Half Biscuit; Bogshed; Head; Rip Rig & Panic; Float Up CP; Young Fathers; Dizzee Rascal; Stromzy; Wiley; B. Dolan; Sage Francis; Aesop Rock; Kano
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- https://www.nme.com/news/music/sleaford-mods-uk-grim-intervi ew-new-album-politics-dry-cleaning-perry-farrell-3381685
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