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Shame - Food for worms

Shame- Food for worms

Dead Oceans / Cargo
VÖ: 24.02.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kann niemand trennen

"Food for worms" sei eine "Ode an die Freundschaft". Was sich zunächst nach einer Phrase aus dem Zufallsgenerator der Promo-Waschzettel liest, ergibt nach etwas Nachdenken durchaus Sinn. Shame sind ja doch irgendwie Menschenfreunde – trotz der düsteren Vetracktheit ihres misanthropischen Post-Punks und der Tatsache, dass manche Exemplare der Gattung Homo Sapiens in ihren Texten nicht allzu gut wegkommen. Ihre Musik blühte schon immer in der Gegenwart tanzender, schwitzender Massen auf, und auch die Pandemie konnte ihre spezielle Verbindung zum Live-Rahmen nur temporär kappen. Das dritte Album der Briten entstand aus der Herausforderung, innerhalb von drei Wochen zwei kleine Konzerte mit unterschiedlichen, aus neuen Songs bestehenden Sets zu spielen, bevor auch die eigentlichen Aufnahmen live während einer Festival-Tour stattfanden. "Food for worms" ist dennoch wieder großartig genug, um auch in der einsamen Rezeption die meisten Genre-Kollegen auf die Plätze zu verweisen – solange man genug Raum zum unkontrollierten Ausrasten hat und sich keine Wertgegenstände in der Nähe befinden.

Den Spaß am wuchtig getrommelten, funkensprühend gesägten Finish von "Fingers of steel" würde es nämlich signifikant mindern, wenn man im Bewegungsrausch Ommas Vase vom Wohnzimmertisch schleudert. Nur 17 Sekunden lang täuscht jener Opener mit gedämpftem Piano ein paar Übungen im hauseigenen Pool von The Slow Show an, ehe die Riffs an den Beckenrand krachen. Der rohe Charakter des Entstehungskontexts ist hier sofort spürbar, ebenso wie der nahtlose Übergang zu den Vorgänger-Platten. Die rotzige Wut des Debüts "Songs of praise" raucht wie eh und je, und doch sind die Teenager von damals bereits mit "Drunk tank pink" verdammt schnell erwachsen geworden. Die Band spuckt noch immer Hits auf den klebrigen Boden der Post-Punk-Disco, aber nicht ohne sie vorher zwischen progressiven Strukturen und brachialen Noise-Attacken zu Deformationszwecken durchzukauen.

Den Kopf richten Shame dabei stets nach unten, damit auch die lauteren Momente nie den Eindruck schmerzloser Show erwecken. "Yankees" entwickelt sich vom kaum vernehmbaren Flüster-Blues zum dynamisch durch den seelischen Dreck pflügenden Depri-Rock samt Sonic-Youth-Schlagseite. "Orchid" holt die Akustikklampfe aus dem Schrank und verlässt den Garten zarterer Melancholie nur für ein kurzes Date mit dem Zahnarztbohrer – und natürlich für das besonders brutale Finale, das bruchlos in den Postcore-Abriss von "The fall of Paul" leitet. Im Herzen des Albums schlägt das beeindruckende "Adderall": ein Drogensucht-Lament mit Lou-Reed-Sensibilität, das Charlie Forbes als heimlicher MVP des Fünfers durch Mitgröl-Berg und tiefstes Tal trommelt. Die Perspektive ist weniger wütend als empathisch, womit wir wieder beim eingangs erwähnten Humanismus wären, der immer wieder warme Schauer durch die soziale Kälte tropfen lässt.

Nicht, dass die Jungs den Zynismus ganz steckenlassen würden – wer mitten in der Adoleszenz den Brexit aus erster Hand miterlebt, kann wohl auch gar nicht anders. Wenn der Wah-Wah-Rumpler "Six-pack" einen Raum der Wünsche mit konstantem Bierzufluss, Körperoptimierung und einer Gute-Nacht-Geschichten vorlesenden Pamela Anderson entwirft, begegnet er dem hier gemeinten Typus Mann nicht gerade mit Mitgefühl. Doch Shame wissen um die Kraft einer prägnanten Schlussnote. "Burning by design" darf nochmal ordentlich metern, bevor "Different person" niedergeschlagene Dissonanzen in angejazzt groovende Tempowechsel und eine Flut purer Katharsis überführt. "All the people that you're gonna meet / Don't you throw it all away / Because you can't love yourself", warnt Charlie Steen dann jedoch im Closer, der als sich stetig steigernde Hymne seinen Gastplatz im Indie-Rock-Olymp nicht allzu weit von Pavement entfernt abgreift. Der würdige Abschluss eines fulminanten Albums, und vor allem eines: eine Ode an die Freundschaft.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Yankees
  • Adderall
  • Different person
  • All the people

Tracklist

  1. Fingers of steel
  2. Six-pack
  3. Yankees
  4. Alibis
  5. Adderall
  6. Orchid
  7. The fall of Paul
  8. Burning by design
  9. Different person
  10. All the people

Gesamtspielzeit: 43:05 min.

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User Beitrag

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 29382

Registriert seit 07.06.2013

2023-03-19 15:06:44 Uhr
Beides tolle Songs. :P

Dulle

Postings: 200

Registriert seit 29.10.2021

2023-03-18 20:10:36 Uhr
Für mich kommt Alibis (09/10) als Höhepunkt von Food for Worms dem genialen Snow Day am nächsten (Aderall nur 08/10).

dreckskerl

Postings: 9028

Registriert seit 09.12.2014

2023-03-18 20:01:42 Uhr
Ich bin da bei Marvin. "Adderall" liegt bei mir auch knapp vorne.

Kojiro

Postings: 1752

Registriert seit 26.12.2018

2023-03-18 14:26:38 Uhr
Sehe Snow Day auch vorne. Absolutes Brett!

fuzzmyass

Postings: 11196

Registriert seit 21.08.2019

2023-03-18 14:15:01 Uhr
Ja, absolut no way! Snow Day ist so in der Top 3-5 Songs von ihnen, ganz so gut ist Adderall nicht IMO
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