Lil Yachty - Let's start here
Capitol / Universal
VÖ: 27.01.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
The boat that rocked
"I've seen failure a few times", erklärt Miles Parks McCollum in einem nachdenklichen Interlude. Der als Lil Yachty bekannte Mann kann es aber auch niemandem rechtmachen. Erst musste er sich als einer der Fackelträger der Soundcloud-Trap-Kids anhören, "echten" HipHop kaputt zu murmeln, jetzt entwickelt er sich künstlerisch ambitioniert weiter und gewisse Schreiberlinge werfen ihm Verrat an der Rap-Kultur und Anbiederung an die institutionalisierte Musikkritik vor. Zugegebenermaßen ist seine stilistische Kehrtwende aber auch schwer zu schlucken: Lil Yachty macht jetzt, haltet Eure Lean-Cups und Bucket-Hats fest, Psychedelic Rock. Für eine vielsagend als "Let's start here" betitelte Platte hat er ein Team unter anderem aus Mac DeMarco, Alex G und Mitgliedern von MGMT oder Unknown Mortal Orchestra engagiert, um seinen Neuanfang da anzusetzen, wo er 2021 mit einem Remix von Tame Impalas "Breathe deeper" aufhörte. Der Closer "Reach the sunshine" fußt gar auf Radioheads "Pyramid song" (!), um als brodelnder Weltuntergangs-Gospel ein einsames Piano zu begraben. Nein, das ist alles kein Witz.
"No time to joke around, the kid is now a man", verkündet Yachty selbst im eröffnenden "The black seminole" – und fischt ganz erwachsen die Pink-Floyd-Platten vom Grabbeltisch, um sieben Minuten lang die komplette dunkle Seite des Mondes zu beackern. Analoge Synths begleiten einen proggig-vernebelten Groove, die Gitarre türmt sich zum Solo auf und am Ende schreit sich Diana Gordon wie besessen die Seele aus dem Leib. Die Sängerin entpuppt sich schnell als Geheimwaffe des Albums, veredelt den von Marvin-Gaye-Streichern umgarnten Disco-Schmuser "Drive me crazy" ebenso wie das völlig abgedrehte "I've officially lost vision". "I did one too much many pills", stammelt Yachty in nicht nur grammatikalischer Verunklarung, während der von Garagen-Riffs angeheizte Kopfnicker erst in eine Piano-Soul-Bridge kippt und dann ganz zwischen den Pilzsporen verschwindet – in der Affinität für bewusstseinserweiternde Substanzen reichen sich 50 Jahre alter Space Rock und Gen-Z-Rap sowieso gerne die Hand.
Ähnlich trippy kommt das im Reverb verlorene "We saw the sun" daher, doch hat "Let's start here" stilistisch noch einige Facetten mehr zu bieten. "The ride" cruist auf glitzernden Arpeggios in den Sonnenuntergang von Miami, bevor ein balztanzender Bass das geschmeidig-funkige Fundament für "Running out of time" zimmert. "The zone" und "The alchemist" schleppen sich wuchtiger vorwärts, ohne dabei in die Schlaglöcher eines, äh, Werks wie "Speedin' bullet 2 Heaven" zu geraten. Von so weit nach draußen gedrifteten Geschmacksverwirrungen ist das überraschend stilsichere Album generell weit entfernt – weil Yachty auch weiß, wann er sich zurücknehmen muss, der lupenreinen Produktion sowie den Gastsängerinnen um besagte Gordon, Fousheé und Justine Skye stets viel Raum gibt.
Ein Umstand, aus dem man dem 25-Jährigen auch einen Strick drehen kann: Weder ist sein Genre-Wechsel in der langen Geschichte der Rap-Rock-Hybriden besonders gewagt, noch fordert der Sound in seiner Gesamtheit aktuelle Hörgewohnheiten heraus – gerade, wenn sich Tracks wie "Paint the sky" oder "Say something" in The Weeknds Achtziger-Watte hüllen. Aber wen juckt's, solange die Platte fast eine Stunde lang riesengroßen Spaß macht? Zumal sich Yachty nicht vorwerfen lassen muss, seine Eigenarten zu verstecken, wenn er seine typischen Cloud-Rap-Vocals über den Zeitlupen-Funk von "Pretty" gurgelt oder im dreampoppigen "Should I b?" offen Selbstzweifel artikuliert. Nein, "Let's start here" ist ganz sicher kein Witz – sondern die charmant unperfekte, geschmackssichere Standortbestimmung eines unberechenbaren Künstlers.
Highlights
- The black seminole
- I've officially lost vision
- Reach the sunshine
Tracklist
- The black seminole
- The ride
- Running out of time
- Pretty
- Failure
- The zone
- We saw the sun
- Drive me crazy
- I've officially lost vision
- Say something
- Paint the sky
- Should I b?
- The alchemist
- Reach the sunshine
Gesamtspielzeit: 57:16 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10274 Registriert seit 26.02.2016 |
2023-03-05 19:52:15 Uhr
Läuft auch immer öfter. Irgendwie ein Album, wovon zwar wenig hängenbleibt, aber das einen total guten Flow hat.Auf jeden Fall beeindruckend für den Typ, der mal die Lyrics "She blow that dick like a cello" rausgehauen hat. |
Stephan Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 992 Registriert seit 11.06.2013 |
2023-02-17 10:02:34 Uhr
Für mich eine 8/10 und ein Highlight des jungen Jahres. Läuft seit Release nonstop. Hätte nie gedacht, jemals irgendwelche Berührungspunkte mit Lil Yachty zu haben. Der großartige Opener natürlich Pink Floyd, sonst aber imo ein wohltuender Mix aus Yves Tumor, Tame Impala, Miguel etc. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10274 Registriert seit 26.02.2016 |
2023-02-17 09:44:08 Uhr
Ich bin auch bei einer 7/10. Macht Laune und fließt schön ineinander. Ganz große Songs höre ich bislang noch nicht. |
nörtz User und News-Scout Postings: 15389 Registriert seit 13.06.2013 |
2023-02-17 07:40:29 Uhr
Also der Opener ist ja mal sowas von Pink Floyd. :D Mal sehen, ob mich auch der Rest des Albums überzeugen kann. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27843 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-02-15 21:39:32 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Tame Impala; Kid Cudi; Steve Lacy; Childish Gambino; Thundercat; Tyler, The Creator; Silk Sonic; Anderson Paak; Bruno Mars; OutKast; Prince; Janelle Monáe; Fousheé; Yves Tumor; Washed Out; MGMT; Unknown Mortal Orchestra; Mac DeMarco; Alex G; Nick Hakim; Pink Floyd; The Beach Boys; The Beatles; Marvin Gaye; Bill Withers; James Brown; The Weeknd; Daft Punk; M83; Frank Ocean; Daniel Caesar; Chairlift; Magdalena Bay; Diana Gordon; Justine Skye; A$AP Rocky; Travis Scott; Lil Uzi Vert; Playboi Carti
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