Pascow - Sieben
Kidnap / Rookie / Indigo
VÖ: 27.01.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Schaut in den Lauf, Hasen
"Hier ist die Welt noch in Ordnung", sagt der Volksmund salopp über das Leben auf dem Land. Natur, Idylle, jeder kennt jeden, es herrschen Anstand und Ordnung. Bla bla, von wegen. Wer auf dem Dorf aufgewachsen ist, der kennt den Neid, die Missgunst, die Fremdenfeindlichkeit, die vielen Vorurteile und das brutale Mobbing, wenn jemand anders tickt. In Gimbweiler, dort im Grenzgebiet von Rheinland-Pfalz und Saarland, gründeten sich einst Pascow. Wenn es nach Alex, Ollo, Swen und Flo geht, kann zumindest die Fahnenstange vor dem Gemeindehaus nun endlich weg, frei nach dem Credo von "Mailand". Seit den Anfängen der Band ist klar, dass Pascows politischer Blick weit über die Region hinausgeht. Kritik am konservativen Deutschland, am Kapital, an Nestlé, an der Leistungsgesellschaft und der sozialen Ungleichheit – sie war vielfältig und laut, auf "Jade" und den famosen Vorgängern "Diene der Party" und "Alles muss kaputt sein!".
Doch 2023 ist nicht mehr Dämmerung, es ist bereits düster. Der Aufschrei weicht der Resignation. "Alles ist am Arsch / Und wird es bleiben / Das hier räumt keiner je mehr auf" heißt es im krawalligen "Grüßt Eve", und direkt danach: "An morgen denkt hier niemand mehr!". Allgemeines Nicken. Pascow ist die Band, die liefert. Deutschlands Miele-Fabrikat in Sachen Punk. Als wäre es easy, in unserer kantigen Sprache bewegende Songs zu schreiben, knallen sie uns zunächst "Himmelhunde" vor den Latz, das dieses siebte Studioalbum mit viel Dampf eröffnet. Natürlich mit scharfkralligem Gitarrenriff, ein Markenzeichen des Quartetts. Einen Hit nachschieben? Kein Problem, weil "Sieben" so viele hat. "Königreiche im Winter" erinnert daran, dass die Kindheit Folgen für das ganze Leben hat, dass erlernte Muster sich in Psyche und Persönlichkeit graben. Mit Apocalypse Vega von Acht Eimer Hüherherzen am Mikro gelingt Pascow ein melodisches Feuerwerk mit ernüchterndem Fazit: "An manchen Orten lernt man schnell / Idyllen nicht zu trauen."
Dann "Mailand", die eingangs erwähnte dritte Single. Ein weiteres Brett. Schlagzeug und Gitarren pumpen um die Wette wie das fabrikneue Werk jener erbarmungslosen Uhr, die womöglich bald sogar dem fettbäuchigen Kapitalismus das letzte Stündlein anschlägt. Weil einfach niemand auf die mahnenden Zeiger schauen wollte, als die Erde uns klarmachte, dass es längst fünf nach zwölf ist. Die geniale Violinen-Line? Tongewordenes Mantra zum Untergang. "Das ganze Geld der Welt verzockt / Erst fielen die Börsen und dann fielen die Staaten / Der freie Fall macht alle gleich." Na endlich. Das Album hinkt den tollen Vorab-Songs nie hinterher, spuckt einen Lieblingstrack nach dem anderen aus und findet nur selten das Bremspedal. "Sieben" ist ein Rundumschlag, der in seiner Leichtigkeit selbst für Pascow-Niveau überrascht: wie immer ohne Plattitüden oder Stadion-Ohs und -Ahs, gleichsam pogo- wie tanztauglich und voller Ideen.
Der Post-Punker "Die Unsichtbaren" etwa mit feinem Gitarren-Boller-Finale, das sich von der Last des Alltags freischnaubende "Ich bin klar", liebevoll-knarzige Außenseiter-Portraits wie "Tom Blankenship" oder das schnelle "Monde", ein hittiger Abgesang auf verödete, mit seelenlosen Läden planierte Innenstadt-Viertel. Wer auf eine Fortsetzung von "Castle rock" gehofft hat, wird mit dem The-Clash-infizierten Feger "Gottes Werk und Teufels Beitrag" glücklich, nebst lyrischem Magenhaken: "Wir alle sehen, dass Höcke toleriert wird / Was Rattenfänger-Menschen hier gelingt / Dass Neid und Angst noch weiter wachsen / Wenn der Quotenjunkie WELT gegen Minderheiten hetzt / Und der Teufel schickt uns einen Kuss / Wir haben von alledem gewusst." Schweigend verharren wir, zucken mit den Achseln. Denn schuld sind ja doch angeblich eh immer Menschen mit Migrationshintergrund: Oder diese Klimaaktivisten, äh -terroristen. Ob in der Stadt oder auf dem Land: Das Verfallsdatum rückt näher.
Highlights
- Königreiche im Winter
- Monde
- Gottes Werk und Teufels Beitrag
- Mailand
- Ich bin klar
Tracklist
- Himmelhunde
- Königreiche im Winter
- Monde
- Gottes Werk und Teufels Beitrag
- Grüßt Eve
- Die Unsichtbaren
- Mailand
- Ich bin klar
- Daniel & Hermes
- Tom Blankenship
- Zugausweichen
- Von unten nichts Neues
- Vierzehn Colakracher
- Boris Blocksberg
Gesamtspielzeit: 36:52 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Arne L. Postings: 1371 Registriert seit 27.09.2021 |
2023-03-14 14:39:19 Uhr
Höre es immer noch sehr viel und bin mittlerweile eindeutig bei einer 9/10. Keine Songs zum Skippen, jede Menge Hits und ständig muss ich mitsingen. |
Rochen Postings: 557 Registriert seit 15.10.2022 |
2023-02-04 14:16:27 Uhr
An sich ein ganz gutes Album und deutlich besser als das letzte. "Himmelhunde" ist einer der besten Pascow-Songs, und "Monde" und "Ich bin klar" sind für mich aktuell weitere Highlights.Was meine Begeisterung für neue Alben mit der Zeit zurückgehen lassen hat und sich hier weiter fortsetzt, ist der Eindruck, dass Pascow musikalisch zu oft bei sich selber abkupfern. Auch auf "Sieben" hatte ich beim ersten Hören (mal wieder) mehrfach das Gefühl, gerade Versatzstücke aus älteren Pascow-Songs zu hören. Beispiel: Ich höre zum ersten Mal "Vierzehn Colakracher" und denke mir, die Strophe klingt doch praktisch genau wie "Merkel-Jugend". Oder wie "Lettre Noir". Und gefühlt beginnt jede zweite Akkordfolge mit E-Moll auf C-Dur, was man auch nicht gerade zu selten gehört hat. Es ist trotzdem ein gutes neues Album geworden, aber nicht der Geniestreich, von dem ich teilweise gelesen habe. Wahrscheinlich werden die genannten Punkte auch Leuten eher egal sein, die erst später bei der Band eingestiegen sind. Abzüge gibt es übrigens auch für das langweilige Artwork inklusive Albentitel. Pluspunkte wie immer für die Texte und die Produktion. |
Hoschi Postings: 1866 Registriert seit 16.01.2017 |
2023-01-29 13:36:07 Uhr
Ich muss nach mehrmaligen Hören wirklich sagen, dass Sieben das erste Pascow Album ist, welches auf Albumlänge funktioniert.So großartig die Songs auf Alles muss kaputt sein und Diene der Party auch sind, so wenig Flow haben die Alben als ganzes. Ganz mies war dann Jade. Das hatte von 9/10 bis 2/10 alles dabei. Pascow war für mich schon immer eine best of Band, was nicht negativ gemeint ist. Jetzt passen die Songs einfach und alles geht musikalisch homogen ineinander über. Bleib bei meiner 8/10 Highlights: Monde, ich bin klar, 14 Colakracher |
Kai User und News-Scout Postings: 2983 Registriert seit 25.02.2014 |
2023-01-29 10:24:13 Uhr
Ich habs jetzt ein paar mal versucht aber nachdem ich "Diene der Party" und "Alles muss kaputt sein!" wird das mit Pascow und mir scheinbar nichts mehr auf Albumlänge.Hier gibts ein paar nette Sachen aber vieles gefällt einfach überhaupt nicht. Komplette Ausfälle für mich: Königreiche im Winter - Apocalypse Vegas stimme nervt einfach. Zerstört für mich den Song komplett. Gottes Werk - gaaanz schlimm. Dieser "Chor", dieses Refrain... Mailand - In jedem anderen Song mag ich Streicher aber hier klingen die einfach nicht gut. "Die geniale Violinen-Line" wirkt billig und vor meinem inneren Auge spielt André Rieu zusammen mit Pascow. Eigentlich sind vor allem die Songs die in der Review als Highlights gewertet werden für mich die schlimmsten. Es ist ein zwieschneidiges Schwert, man kann Pascow nicht vorwerfen "still zu stehen" aber die Entwicklung funktioniert für mich oft leider nicht. Gleiches zeigte sich für mich auch schon beim (furchtbaren) Jade. Eine Selbstkopie brauche ich von Pascow aber auch nicht. Lichtblick sind "Ich bin klar" und "Von unten nichts Neues" Für mich leider nur 6/10 |
Arne L. Postings: 1371 Registriert seit 27.09.2021 |
2023-01-29 04:11:50 Uhr
Ich bin schon mit ordentlich Wut und Frustration am Freitag in das Album reingegangen und habe es seitdem gut 15 mal durchgehört und bin kurz davor, es als bestes Pascow-Album zu deklarieren. Ich finde, sie haben nie ambitionierter geklungen und ich sehe auch eine Menge (indirekter) Hits. Und ich liebe die alten Alben, aber das hier ist eine 9/10 für mich. Das wird definitiv in meiner Jahresbestenliste landen. |
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