Young Fathers - Heavy heavy

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 03.02.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Biegen und Brechen
Young Fathers, das immer latent außerirdisch wirkende Psycho-HipHop-Trio aus Edinburgh, hat sich für Album Nummer vier unüblich viel Zeit gelassen – was nach Karriere-Turbostart durch den Gewinn des renommierten Mercury Prize und späteren Charts-Erfolgen durchaus verwundert. Das selbstproduzierte "Heavy heavy", um die Brücke zu früheren Rezensionen zu schlagen, schert sich diesmal besonders wenig um Erwartungshaltungen. Wie man hätte erwarten können! Die gar nicht mal so bleierne Schwere der zehn Stücke führt den Albumtitel nämlich ad absurdum – heavy sind hier vor allem die Spitzen, die aus dem Morast herausragen. Aber die pieken gewaltig. Bereits der Opener "Rice" lässt kontrolliertes Chaos über die Hörerschaft hereinbrechen, ist eine schon fast lose Ansammlung zahlreicher Spuren wie Tribal-Drums, Gospelchöre, Shouts und Sprechgesang, und der Song formt sich im Gewusel erst nach und nach. Bei dieser Band, jetzt mehr denn je, kann alles passieren.
Der geradlinige, monotone Beat von "I saw" nimmt hingegen weder Gefangene, noch macht er Mätzchen: "I keep on walking the line." Das Stück gipfelt in einer umwerfenden Kinderchor-Coda, die sich zum ersten klaren Highlight hinaufschraubt. Young Fathers operieren auf "Heavy heavy" oft näher an organischer, spirituell aufgeladener Black Music denn an zerschossenen Elektro-Backing-Tracks, rücken aber weiterhin explosive und immer deutlich gegen den Strich gebürstete Percussion ins Zentrum ihrer Stücke. "Drum" steht dafür mit seinem Namen, animiert sogar fast ein bisschen zum Bewegen denn bloß zu irritierter Faszination. Andernfalls nämlich könnte man die Musik auf "Heavy heavy" in erster Linie gern als kryptisch, weil oftmals nur schwer zugänglich, andererseits aber auch häufig als warm und beinahe tröstend bezeichnen.
Auch inhaltlich jonglieren Young Fathers eher mit Versatzstücken: "Shoot me down" gibt sich politisch, zeichnet mit Loops und Gospel-Elementen die Szene einer Konfrontation mit Polizeigewalt nach, aufs Maximalste reduziert: "Uh, baby, don't shoot me down!" Fast ein bisschen provokativ, aber umso wirksamer. "Sink or swim" zerstückelt alteingesessenen Soul und setzt ihn falsch herum wieder zusammen, auch das Gender-Rollen aufbrechende "Be your lady" baut die Jazz-Bar zum Schluss in verquere Trip-Hop-Landschaften um. Das instrumentale "Ululation" liefert dazwischen afrikanische Rhythmen sowie Gesänge, Synths und Sprachsamples und wird zu einem undurchdringlichen Dickicht der Seltsamkeit. "Heavy heavy" ist eine intransparente Wundertüte. Den roten Faden erkennt nur, wer möchte.
Sphärisch-flirrende, am Postrock geschulte und frei im Äther schwebende Gesangsspuren machen "Tell somebody" zu einer gewagten Single-Auskopplung, die die angedeutete Klimax schließlich einfach verweigert – der Kniff steht stellvertretend für die disruptive Herangehensweise des Trios, um intuitiv schlüssige Strukturen einfach herum zu musizieren. "Heavy heavy" liefert demnach auch kein zweites "Get up" oder gar "In my view", das überlebensgroß über dem restlichen Album erstrahlen könnte. Young Fathers verstecken den Pop und dessen konventionelles Songwriting diesmal in den Löchern und Sollbruchstellen, deuten Eingängigkeit, wie im hoheitlichen ersten Vorboten "Geronimo", höchstens an. Nur "Holy moly" wirft sich auf fast noisigem Industrial-Teppich nochmal inbrünstig in einen großen Refrain und bittet zum Tanz. Das Trio balanciert weiterhin auf den Zehenspitzen zwischen Avantgarde und Mainstream und setzt ohne Rücksicht auf Verluste jede noch so krude Idee um. Das bleibt zwar wenig greifbar, aber immer noch ein ziemlicher Trip.
Highlights
- I saw
- Geronimo
- Shoot me down
- Sink or swim
Tracklist
- Rice
- I saw
- Drum
- Tell somebody
- Geronimo
- Shoot me down
- Ululation
- Sink or swim
- Holy moly
- Be your lady
Gesamtspielzeit: 32:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Ituri Postings: 441 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-10-05 19:06:23 Uhr
Heute wieder aufgelegt. Fantastisch. Immer noch. Surreal und doch so eingängig. |
fakeboy Postings: 5837 Registriert seit 21.08.2019 |
2023-09-13 19:03:33 Uhr
Werd mich nach dieser Performance nochmals mit dem Album beschäftigen müssen. Fand es bislang etwas eintönig (ähnlich wie es Enrico Palazzo weiter oben beschrieben hat). |
diggo Postings: 161 Registriert seit 02.09.2016 |
2023-09-13 19:01:52 Uhr
Fantastische Performance. Man kann nicht still sitzen, wenn man sich das anschaut. Diese Energie und Stimmung, die sie aufbauen, sind schon beeindruckend. Leider habe ich es noch auf kein Konzert geschafft, muss ich aber unbedingt irgendwann nachholen.Und so ganz nebenbei: „Heavy Heavy“ ist nach wie vor mein Top-Kandidat für das Album des Jahes. Wer es noch nicht getan hat: Unbedingt reinhören! |
Ralph mit F Postings: 721 Registriert seit 10.03.2021 |
2023-09-13 11:40:07 Uhr
Oh yes, sagenhafte Performance!Die Crowd geht wesentlich mehr ab als in Köln :P |
fakeboy Postings: 5837 Registriert seit 21.08.2019 |
2023-09-12 22:13:15 Uhr
Hmm... da fehlt der Link. Noch ein Versuch:Live at Best Kept Secret 2023 |
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Referenzen
Why?; Saul Williams; Algiers; TV On The Radio; Dizzee Rascal; Shabazz Palaces; Dälek; Aesop Rock; El-P; Run The Jewels; Childish Gambino; Injury Reverse; Ibeyi; Clipping.; Roots Manuva; The Weeknd; Tricky; Ghostpoet; Earl Sweatshirt; Genesis Owusu; De La Soul; OutKast; Danny Brown; Open Mike Eagle; Raury; Little Simz; U.N.K.L.E.; Loyle Carner; Antipop Consortium; Micachu; Alt-J; Kele; Bloc Party; Sampa The Great; Tyler, The Creator; Kanye West; D'Angelo And The Vanguard; Curtis Mayfield; Erykah Badu; Missy Elliott
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