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Fucked Up - One day

Fucked Up- One day

Merge / Cargo
VÖ: 27.01.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Eile mit Keile

Fucked Up sind eine Band der perfekten Arbeitsteilung. Aus Kreativkopf Mike Haliechuk strömen die Ideen heraus wie aus seinem Frontmann Damian Abraham der Schweiß, wenn dieser als halbnackte Naturgewalt jedes noch so abgewrackte Konzertkabuff in eine vor Energie zerberstende Glühbirnenfabrik verwandelt. Doch wenn man bereits chinesische Tierkreiszeichen vertont und gleich zwei Punk-Opern zwischen Kapitalismuskritik, Romanze und Meta-Erzählebenen geschaffen hat – die nebenbei auch zu den besten Rock-Alben der 2010er-Jahre gehörten –, kann der Inspirationsquell auch mal ins Stocken geraten. Haliechuk verriet seine Vorliebe für ambitionierte Konzepte nicht, wählte aber den einzig möglichen Weg, den sein ausgeschöpfter Maximalismus noch übrigließ: zurück in die Reduktion.

"One day", das sechste Album der besten Hardcore-Punk-für-Indie-Heads-Band der Welt, trägt seinen Namen nicht metaphorisch. In nur 24 Stunden erarbeitete der Gitarrist dessen Grundgerüst, nahm seine Parts auf und schickte sie den restlichen Bandmitgliedern, welche es ihm isoliert mit der gleichen Zeitbegrenzung nachtun sollten. Abraham kam als letztes dran, nachdem die Pandemie den ganzen Prozess ausgebremst hatte, fühlte sich in dieser Phase aber beflügelt, wie zuletzt auf "Glass boys" ausnahmsweise seine eigenen Lyrics zu schreiben. Mit jener Platte teilt sich "One day" auch am ehesten den Spirit. Es gibt keine schwindelerregenden Achterbahnfahrten durch alle möglichen Genres und Gaststimmen wie auf "Dose your dreams", kein inhaltlich komplexes Theater wie auf "David comes to life". Bloß zwei Handvoll vermeintlich schnörkelloser Rocksongs, kompakt, direkt, melodisch und wieder innerhalb eines engeren Punk-Rahmens, den Fucked Up zuvor so virtuos aufgesprengt hatten.

Was freilich nicht heißt, dass das Album ohne Variation in Tempo oder Stimmung durchballert. Der Opener "Found" kracht mit einem Urschrei ins Haus, rifft sich dann jedoch allen melancholischen Belag von der Seele, bis er langsam und sphärisch versandet. "I think I might be weird" verwandelt die vertrauten Gitarren in sleazige Thin-Lizzy-Zacken, die sich von Streichern ohne Berührungsängste bezirzen lassen, während "Huge new her" zwischenzeitlich aus dem Moshpit abhebt, um sich beinah post-rockig aufzutürmen. Monoton wird es nicht einmal beim Gesang: Abrahams charakteristisch-kontroverses Gekeife mag im Gegensatz zum Vorgänger zwar wieder die Hauptrolle einnehmen, doch die Stimmen der anderen Bandmitglieder geistern ebenfalls durch die zehn Tracks. In "Cicada" macht's Haliechuk komplett alleine und liefert damit das wohl größte Highlight: ein mit geschmackvollem Pathos vorgetragener Sehnsuchtsbrocken, bei dem das Fucked-Up-Mastermind vorher vermutlich einmal an J Mascis' Bart gezogen und Bob Moulds Glatze gerieben hat.

So macht "One day" mit jedem Hören klarer, dass Haliechuks Kreativflüsse in keinster Weise versiegt sind. Das 24-Stunden-Limit mag den kanadischen Fünfer zur Ökonomie gezwungen, zum Verzicht auf Wagenladungen von Gastmusiker*innen und zu mehr Intuition im Produktionsprozess getrieben haben, hat dabei aber seine Abenteuerlust nicht im Geringsten gehemmt. Hier spukt ein zärtliches Keyboard durch "Nothing's immortal" und lässt sich auch von Abrahams temporärem Nervenkollaps nicht vertreiben, an anderer Stelle würde das dynamische Drama von "Lords of Kensington" auch der Ballade von David und Veronica gut zu Gesicht stehen. "Falling right under" deutet mit dezenter Springsteen-Geste sogar kurz an, wie The Gaslight Anthem in cool klingen könnten. Wie viele Details unter der straighten Oberfläche stecken, wie die Melodien und Ideen aus den unverkopften Songstrukturen nur so überkochen, ist schlicht beeindruckend.

Von der größeren Bewegungsfreiheit profitiert nicht zuletzt auch Abraham, der in "Broken little boys" gegen schon von der Kindheit an eingeimpfte Männlichkeitsideale giftet und den fulminanten Closer "Roar" mit gefühlt noch mehr Intensität als sonst über die Ziellinie brüllt. Die anfängliche leichte Enttäuschung über die ersatzlos gestrichenen Ausflüge in Shoegaze, Siebziger-Disco oder Space-Rock verpuffen im Angesicht der Bravour, mit der Fucked Up diesmal sowohl dem Punk-Purismus als auch nach immer mehr radikalen Stilbrüchen und -Verschmelzungen geifernden Kunstansprüchen den Mittelfinger zeigen. "What could you do in just one day?", fragt das Titelstück kurz vor seinem schräg zwischen den Dimensionen hängenden Solo und liefert selbst ein paar Vorschläge: "Fall in love, spend your time away." Ein wahnsinnig gutes, angepunktes Indie-Rock-Album zu machen, gehört offenbar auch dazu.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Found
  • Huge new her
  • Cicada
  • Roar

Tracklist

  1. Found
  2. I think I might be weird
  3. Huge new her
  4. Lords of Kensington
  5. Broken little boys
  6. Nothing's immortal
  7. Falling right under
  8. One day
  9. Cicada
  10. Roar

Gesamtspielzeit: 40:05 min.

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User Beitrag

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2023-10-13 18:00:28 Uhr
Da werd' ich natürlich hingehen müssen. Erst mal heute Birds In Row. :)

kusubi

Postings: 867

Registriert seit 17.12.2019

2023-10-13 17:53:37 Uhr
https://laut.de/Fucked-Up/Konzerte

Ich machs mal hier rein. Für mich leider beide viel zu weit weg :( , aber viel Spaß allen, die hingehen!

fuzzmyass

Postings: 14902

Registriert seit 21.08.2019

2023-02-07 11:02:45 Uhr
Dose Your Dreams kratzt bei mir an der 10/10.
Glass Boys liegt bei 7/10, David Comes To Live bei 9/10...
One Day habe ich nur ein mal gehört, ich habe als Ersteindruck ein 7-8/10 Gefühl, mal sehen wie es sich entwickelt...

kusubi

Postings: 867

Registriert seit 17.12.2019

2023-02-07 10:56:48 Uhr
Mein handy spinnt. also noch einmal:
da "one day" mich mittlerweile als knackiges, melidiöses und enorm wachsendes Album begeistert, habe ich gestern alle Hauptwerke der band durchgehört (#fanboy). Die "Hidden World" kenne ich jedoch nur ansatzweise, weil beim joggen das Handy abgekackt ist (überraschung) alle anderen habe ich auf vinyl. Hier meine wertungen:

Dose you dreams (4/10)
Überambitioniert. Ich habe damals dem Album entgegengefiebert, und dauerhaft versucht, es mir schön zu hören. Klappte nicht. Die hardcore Songs klingen gewollt und lassen die melidiöse Raffinesse vermissen, die ich an den anderen Alben so mag. Die anderen pop songs klingen wie coverversionen von songs, die ich zwar nicht kenne, von denen ich aber wette, sie sind weit besser als die kopien. Das Konzert in Berlin war aber geil und ich dachte mir, dass der Song "Dose your dreams" echt ein ungünstiger opener ist.
Lieblingssong: normal people
Scheiss song: Living in a simulation

Glass boys (8/10)
Zusammen mit der "david comes to life" entdeckt und ich erinnere mich deutlich, dass mein Kopf von all den zuckersüß, angenehm klebrigen Melodien der David comes... so voll war, dass ich einige Zeit brauchte, um die glass boys richtig wahrzunehmen. Hat sich gelohnt. Roher als die David, aber immer noch sehr nah am Pop und j. Mascis auch dabei (ich dachte, "hey wenn j. Mascis die selben Bands wie ich geil findet, dann könnten wir wahrscheinlich beste Freunde sein")
Lieblingssong: glass boys
Stinker: sun glass

Ende Teil eins meiner Rückschau.. nur noch ein Gedanke: eine Band. Die mMn viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat.





kusubi

Postings: 867

Registriert seit 17.12.2019

2023-02-07 10:37:00 Uhr
Ich schon wieder, da "one day" mich mittlerweile als knackiges, melidiöses und enorm wachsendes Album begeistert, habe ich gestern alle Hauptaugenmerk durchgehört. Die "Hidden World" kenne ich jedoch nur ansatzweise, weil beim joggen das Handy abgekackt ist
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