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Little Simz - No thank you

Little Simz- No thank you

Forever Living Originals / AWAL
VÖ: 12.12.2022

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Faith against the machine

"My life is a blessing / But it comes with the stresses", singt ein Chor in "Heart on fire", trotz seiner relativen Kompaktheit ein Herzstück von Little Simz' fünftem Album. Über treibendem Beat und post-punkigem Bass reflektiert die Rapperin beide Seiten der Erfolgsmedaille, ehe der Track mit großer Streicher-Geste ihre Seele ausspült. Die Mercury-Prize-Auszeichnung für "Sometimes I might be introvert"markierte den bisherigen Gipfel von Simbi Ajikawos Aufstieg zur künstlerisch prägendsten Stimme des britischen HipHop. Doch das Jahr 2022 war für sie kein einfaches: Ein Zerwürfnis mit dem langjährigen Manager und eine aus finanziellen Gründen abgesagte US-Tour belasteten ihre mentale Gesundheit, mit deren Labilität sie ohnehin regelmäßig zu ringen hat. Man meint mit diesem Kontext zu verstehen, warum "No thank you" ohne großes Promo-Brimborium und nur ein gutes Jahr nach dem Vorgänger plötzlich unter dem virtuellen Weihnachtsbaum liegt. Simz hat viel zu sagen, über Gott und die Welt, das Musikbusiness und sich selbst, und lässt alles raus, ohne sich konzeptionell den Kopf darüber zu zerbrechen.

"They don't care if your mental is on the brink of somethin' dark / As long as you're cuttin' somebody's payslip / And sendin' their kids to private school on a spaceship / Yeah, I refuse to be on a slave ship / Give me all my masters and lower your wages." Der Opener "Angel" macht textlich keine Gefangenen, auch wenn er Simz' Frustration über die geldgetriebene Zerräderung in sanfte Synth-Wolken samt Entspannungshilfe von Cleo Sol bettet. "No merci" knüpft über elektronischen Rauchwirbeln daran an: "Everybody here gettin' money off my name / Irony is I'm the only one not gettin' paid." Die Londonerin zeigt sich angriffslustig, doch war es schon immer ihre größte Stärke, ihrer Verletzlichkeit genauso viel Raum wie den messerscharfen Bars zu geben. "Broken" ist das am tiefsten bohrende Stück einer an Introspektion nicht gerade armen Karriere. Simz verknüpft ihre persönliche Geschichte und Gedankenwelt mit einer universalen Erfahrung von Generationentrauma und Rassismus, bevor sie und der Chor verstummen und das cineastische Instrumental das urbane Grau in ein Panorama purster Schönheit verwandelt. Wäre man Kate Winslet, man würde die vollen sieben Minuten die Luft anhalten.

Solche Momente finden sich zuhauf auf einer Platte, welche die Arrangements von Simz' Kumpel und Stammproduzenten Inflo so sehr von der Leine lässt wie noch nie – in einem derartigen Maße, dass die Vermutung gar nicht so abwegig ist, "No thank you" sei in den gleichen Sessions wie der einen Monat zuvor auf einen Schlag erschienene Alben-Fünfer von Inflos Projekt Sault entstanden. Die ausschweifenden, frei wuchernden Songstrukturen verweisen auf das anonyme Kollektiv ebenso wie Sols konstante Präsenz und der progressiv gerahmte Gospel, der immer wieder für Gänsehaut provozierende Verschmelzungen von Wort und Ton sorgt. Sowohl "Silhouette" als auch "X" verknüpfen komplexe Tribal-Percussion virtuos mit großem Orchester, während sich ihre mehrstimmigen Mantras einbrennen: "You can't crush my soul." "One day you'll love my pain." An anderer Stelle macht's "Gorilla" lockerer, erinnert mit herrlich comichaften Fanfaren und dem torkelnden Oldschool-Bass an die Verspieltheit von "Grey area".

Dennoch lässt die 28-Jährige mit ihrem Charisma, ihrer technischen wie textlichen Brillanz nie Zweifel daran aufkommen, wer hier im Fokus steht. Das gilt auch für das Schlussdrittel des Albums, wenn "Who even cares" mit halbakustischem Soul-Pop zur Ruhe kommt und die Piano-Ballade "Control" das Verliebtsein besingt und zärtliche drei Minuten lang all den Stress ausblendet. Dass "No thank you" an manchen Stellen etwas unfertig produziert klingt, ist dabei alles andere als ein Kritikpunkt, sondern betont schlicht die Dringlichkeit einer Künstlerin, die sich von den Konventionen des Musikbusiness nichts vorschreiben lassen will. "I done this shit my way", rappt sie in "Sideways", dessen übersteuerte Ausbrüche klingen, als würde man ein Chipmunk in die Steckdose stecken. Selbst mit ihren vermeintlichen Schnellschüssen ist Little Simz immer noch besser alle anderen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Silhouette
  • Heart on fire
  • Broken

Tracklist

  1. Angel
  2. Gorilla
  3. Silhouette
  4. No merci
  5. X
  6. Heart on fire
  7. Broken
  8. Sideways
  9. Who even cares
  10. Control

Gesamtspielzeit: 49:57 min.

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User Beitrag

fuzzmyass

Postings: 17382

Registriert seit 21.08.2019

2023-10-08 14:59:55 Uhr
Hat mich noch nicht ganz so gepackt wie die Vorgänger... habe es aber auch noch nicht so wahnsinnig oft gehört

Loketrourak

Postings: 2614

Registriert seit 26.06.2013

2023-10-08 13:15:58 Uhr
Die physische Veröffentlichung gibt's ja inzwischen. Nach wie vor toll.

Loketrourak

Postings: 2614

Registriert seit 26.06.2013

2022-12-22 13:16:03 Uhr
4. No Merci - Die Arrangements und die Dynamik machen einfach Freude. Bevor hier ein echter Beat losgeht, sind auch schon 3:30 um, und vorher hat es doch so viel Dynamik auf einem insgesamt zurückhaltendem Level.
5. x - Schließt wieder großartig an. Wow. Irgendeine Frequenz da klingt übrigens wie ein Vibrationsalarm (zumindest bei mir über die PC Boxen).
Ich finde das Album übrigens bis jetzt ganz und gar nicht "unfertig". Im Gegenteil. Musikalisch ist das ein rundes sauberes Statement.
6. eine Kerstin Ott Werbung auf Spotify, hab mich gerade erschrocken :-)

6. Hearts on Fire: Weniger groovy, ein unsynkopierter Beat, nicht weniger schön arrangiert. Himmelschöre im Refrain.

7. Broken, mit knapp 7,5 min das längste Stück. Fast mantraartig und damit einnehmend die ewig wiederkehrende Abwärtsfigur (kein erkennbarer Refrain, oder halt ausschließlich) bis ca. 05:45 , völlig zurückhaltend in der Rhythmusgruppe. Sehr intelligentes Spiel mit der Dynamik über das Arrangement. Ab 05:45 wie ein unoppulenter Instrumentalscore. Toll!

8. Sideways - Inflos Produktion prägt das ganze Album, die Zweieinhalbminuten lange Nummer wirkt wie ein Intro für das soulige

9.Who even Cares - ich mag das laidbacke hier(sehr), kein Spiel mit der Dynamik, kaum Rap, einfach eine schöne Downbeatnummer auf zwei Harmonien.

10. Control - schließt das Album ab. Arrangement reduziert auf Rap über ein Piano mit Einschüben des Männerchors im Refrain und am Schluss. Sehr schön.

Insgesamt ein tolles Album (finde ich). Man könnte - wenn man möchte - Formelhaftigkeit vorwerfen. (Reduziertes Arrangement, Dynamik Spiel mit Beat, Strings und Chor in 9/ 10 Songs). Diese Formel trifft bei mir aber auf fruchtbaren Boden. Mit insgesamt 10 Songs auch genau die richtige Länge. Der generelle musikalische Tonus ist - ich würde sagen - mollorientiert "melancholisch", aber nicht traurig, wenig aggressiv und kaum optimistisch. Eine physische Veröffentlichung wäre fein.

Loketrourak

Postings: 2614

Registriert seit 26.06.2013

2022-12-22 11:19:16 Uhr
Erster Durchgang... keine Textexegese!

1. Angel: Oh das gefällt mir sehr gut, reduziert arrangiert, ohrenschmeichelnd ohrenschmeichelnd, Gesangspart wohl Cleo Sol, sowieso toll. Geiler opener.
2. Gorilla geht los..., ok, startet opulent wie die Sachen on SImbI, ah den prägnanten Basslauf kenne ich von... AtcQ? Geil, die Chöre "Higher higher", oh das Orchester (oder das Sample) drückt jetzt - Wahnsinnstitel. Wow!
3. Silhouette - diese Arrangements kriegen mich immer wieder, und ich mag die Art, wie sie rappt und diese Chöre... LS gehört ja auch in das SAULT Kosmos, und das merkt man. Ah Cleo Sol wieder. Letztes Drittel - der Chor "Time will heal (?) You... - wie schön ist das. Highlight unter drei tollen Songs.
Bis jetzt ganz grandios, fegt.
Teil 2 folgt

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27648

Registriert seit 08.01.2012

2022-12-21 20:14:42 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. "Album der Woche"!

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