Iceage - Shake the feeling: Outtakes & rarities 2015-2021
Mexican Summer / Membran
VÖ: 23.09.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Sumpf ist Trumpf
Will man das künstlerische Selbstverständnis von Iceage im Brennglas erfassen, reicht ein Blick auf die Cover-Auswahl ihrer Raritäten: zwei Deep Cuts aus den Sechzigern in Form von Abner Jays "My mule" und Dylans "I'll keep it with mine", das unter anderem auch von Nico interpretiert wurde. Mit Punk als Genre haben diese Songs wenig zu tun, wohl aber mit Punk im Geiste, im Sinne der Radikalität, der Eigenwilligkeit ihrer Erschaffer. Auch Iceage kreisen komplett in ihrer eigenen Umlaufbahn, trieben in gerade einmal zehn Jahren von porösen Hardcore-Noise-Asteroiden über windschief orchestrierte Gothic-Sumpfplaneten bis zum hellsten Gospel-Stern. Frontmann Elias Bender Rønnenfelt ergeht sich lieber in poetischen Wortschwallen statt in konkreten Parolen, seine Mitstreiter fühlen sich am wohlsten, wenn neben ihnen noch ein paar Streicher und Bläser knarzen. Wenn die Dänen nun also eine B-Seiten-Kompilation präsentieren, ist schon im Vorfeld klar, dass sie auch das anders als die meisten anderen machen. "Shake the feeling" beschränkt sich auf ein Dutzend Outtakes aus den Sessions zu "Plowing into the field of love", "Beyondless" und "Seek shelter" und stellt diese nicht chronologisch, sondern im Dienste eines kohärenten Flows zusammen. Kurz: Diese Sammlung hat den Anspruch, als Album zu funktionieren.
Dementsprechend gewährt "All the junk on the outskirts" einen standesgemäßen Einstieg. "Then the collected loneliness of the world strikes me / A finger on the doorbell at the apartment housings of defeat", verklausuliert Rønnenfelt das alltägliche Übel, während dieses Drumcomputer-angetriebene Stück Kraut-Punk seine eigene Elendsroutine fährt. Der Titeltrack habe es laut der Band nicht auf "Beyondless" geschafft, weil er zu "happy-go-lucky" sei – auch wenn die Gitarren hier tatsächlich ein aufbrausenderes Stück Noise-Pop formen, sagt das viel über Iceages Vorstellung von Optimismus aus. Um keine Zweifel an ihrer Miesepeterei aufkommen zu lassen, hauen die Skandinavier direkt im Anschluss eine kompakte Dreckschleuder namens "Sociopath boogie" raus, lassen im weiteren Verlauf aber auch ihre progressiveren Muskeln spielen. Wie der letzte Aufruf zur Höllenüberfahrt klimpert ein perkussives Piano durch "Broken hours" und lässt sich auch von diversen Tempowechseln nicht aus der Ruhe bringen. "Order meets demand" bricht nach knapp vier Minuten zusammen, damit Riffs und Drums die Brücke für Rønnenfelts letztes Aufbäumen komplett neu aufbauen dürfen.
In "Balm of Gilead" spritzt hingegen wieder das Sumpfwasser aus jeder Saite, bevor der übersteuerte Honky-Tonk-Punk von "I'm ready to make a baby" mit jeder Silbe Anti-Gesang klarmacht, warum er der Band für eine reguläre Veröffentlichung zu albern war – da bleibt selbst das folgende "Namouche" mal ausnahmsweise komplett sprachlos. Freilich könnte man "Shake the feeling" nicht ohne Irritation zum Studioalbum stempeln, dafür fallen einige Tracks doch zu sehr aus dem Fluss und gestaltet sich die nahezu völlig auf Schnörkel verzichtende Instrumentierung zu rudimentär. Doch jedes einzelne dieser Outtakes bietet einen Mehrwert und zusammen funktionieren sie tatsächlich besser, als man es von solchen Zusammenstellungen gewohnt ist. Da fällt auch der präfinale "Lockdown blues" nicht aus dem Rahmen, der seinen Zeitgeistkommentar anno 2020 in Classic Rock mit Jagger-Swagger verpackt. Und "Shelter song", diese in Gospel und Britpop getränkte Eröffnungshymne von "Seek shelter", zieht mit ihrem Oasis-hohen Refrain auch in der Akustikversion. Gitarrist Johan Surrballe Wieth steuert hier ein paar grazile Flötentöne bei, was Rønnenfelt dazu veranlasste, seinen Kollegen einen "surprising motherfucker" zu nennen. Ganz im Geiste der gesamten Band, die sich mit jedem neuen Release unerwartete Räume erschließt.
Highlights
- Shake the feeling
- Broken hours
- Order meets demand
Tracklist
- All the junk on the outskirts
- Shake the feeling
- Sociopath boogie
- My mule
- I'll keep it with mine
- Blm of Gilead
- Broken hours
- I'm ready to make a baby
- Namouche
- Order meets demand
- Lockdown blues
- Shelter song (Acoustic)
Gesamtspielzeit: 44:53 min.
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