Bruce Springsteen - Only the strong survive
Columbia / Sony
VÖ: 11.11.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Soulmate
"Hey, Western Union man, send a telegram to my baby." Bruce Springsteens 21. Studioalbum mag zwar 2022 erscheinen, fällt aber doch, wie vorangehende Zeile zeigt, aus der Zeit. "Telegram" referenziert natürlich nicht auf den Troll-Kanal für Verschwörungstheorien, Echsen-Menschen aus der Unterwelt und anderen Nonsens, sondern auf die Übermittlung einer Kurznachricht via Post- oder Telegrafenamt. Wie Twitter mit Postkarte und ohne Elon Musk. Gefühlt hat seit 40 Jahren niemand mehr ein Telegramm versendet, Western Union den Dienst tatsächlich aber erst 2006 eingestellt. Bei Jerry Butler, der den Song "Hey, Western Union man" 1968 veröffentlichte, sollte der Bote seinem "Baby" sagen, dass er sie sehr vermisst. Diese Nachricht hat Bestand. Denn Bruce Springsteen erneuert sie auf "Only the strong survive" bei seiner Cover-Version des Stücks.
"Only the strong survive", dessen Titeltrack ebenfalls von Jerry Butler stammt, markiert Springsteens erstes Fremdmaterial-umspannendes Album seit den "Seeger-Sessions". Naserümpfend unkte mancher Boss-Fan, er solle doch bitte bei Rock bleiben, statt in der Blütezeit des Soul zu wildern. Nun mag man die Notwendigkeit dieses Albums gerne hinterfragen, auch wenn musikalische Laien-Rätschläge bei einem 73-Jährigen in einer nunmehr 50 Jahre andauernden Karriere etwas anmaßend wirken. Aber ein Soul-Album ergibt durchaus Sinn. Die gemeinsame Liebe für den Sound von Stax oder Motown teilten Springsteen und E-Street-Band-Gitarrist Steven Van Zandt schon früh, was Letzterer bis heute auf Platten mit seinen Disciples Of Soul hemmungslos auslebt und Ersterer in seiner Diskografie mehr als aufblitzen hat lassen. Clarence Clemons, zu seinen Lebzeiten von Springsteen in den Messe-ähnlichen Momenten seiner Live-Shows gerne als "Minister of Soul" angepriesen, komplettierte mit seinem Saxofon den Sound der E Street Band. Und Springsteens Entertainer-Qualitäten sind nicht nur auf den Einfluss von Elvis Presley zurückzuführen, sondern auch auf jene schweißtreibenden Soul-Konzerte und spirituell zusammenschweißende Gospel-Gottesdienste. Kurzum: "Only the strong survive" braucht keine Rechtfertigung, wäre aber argumentativ – Vol. 2 ist bereits in Arbeit – dafür gewappnet.
Bruce Springsteen covert bei seinen Auftritten seit jeher mit Bedacht und großem Respekt vor dem Original. Zu seinen Stärken zählt, diesen Songs – gerne im Zusammenspiel mit der E Street Band – eine eigene Note zu verleihen. Man denke an die großartige Version von "Drift away", des auf "Only the strong survive" ebenfalls mit einem Song vertretenen Dobie Gray. Dieser Aspekt entfällt nahezu gänzlich auf dem vorliegenden Werk, das zu Beginn der Pandemie mit Go-To-Produzent Ron Aniello entstanden ist. Die Suche nach dem Feintuning der Adaptionen – etwa das Soulgrößen-Namedropping am Ende von "Soul days" – verspricht wenig Ertrag. Sie ist insofern auch etwas obsolet, als dass "Only the strong survive" als eigenständiges Ganzes sehr gut funktioniert und Springsteen den Interpretationsprozess vernachlässigte. Erstmals, gab er zu Protokoll, habe er seine Stimme ins Zentrum der Songs und des Albums stellen wollen.
Seine gesanglichen Künste hatte er in seiner Biografie eher heruntergespielt, dies im Zuge der Produktion von "Only the strong survive" jedoch lächelnd korrigiert: "My voice is badass." Die große Herausforderung der Konzentration auf die Vocal-Performance meistert Springsteen. Teils sogar mit beachtlichen Ergebnissen. Das Rampenlicht von "Do I love you (indeed I do)" genießt der 73-Jährige spürbar. In der Geschichte des The-Commodores-Klassikers "Nightshift" erinnert er äußerst überzeugend an Marvin Gaye und Jackie Wilson und die schmerzende Sehnsucht von "I forgot to be your lover" gerät schicht sensationell. Das raue, eruptive Element in Springsteens Stimme sticht in "7 rooms of gloom" hervor und wenn der Boss in "Turn back the hands of time" zu "Leaving would be the last thing on my mind" ansetzt, liegen die ersten Gedanken nicht bei Jimmy Ruffin. Keine Selbstverständlichkeit, wie das recht käsig geratene "What becomes of the brokenhearted" vom gleichen Interpreten wenige Spielminuten später untermauert.
Auch wenn "Only the strong survive" aus Fremdmaterial besteht, lassen sich Querverweise zum eigenen Schaffen ziehen, die über die Namensgleichheit eines Tracks wie "Someday we'll be together" – veröffentlicht auf "The promise" – hinausgehen. Gemeinsam mit Sam Moore (Sam & Dave) lehnt sich der Sänger so genussvoll in die Silben von "Soul days" wie in die Sitze des dort erwähnten Chevrolets. Springsteen und Autos: Das ist Wohlfühlterrain auf mehreren Ebenen. Seine überzeugende Version von "The sun ain't gonna shine anymore" hätte auch gut die orchestrierte Grandezza von "Western stars" ergänzt und muss sich keineswegs hinter Frankie Valli oder der bekanntesten Version von The Walker Brothers verstecken. Und man kann sich auch vorstellen, dass "Don't play that song" genau an dem Fleckchen Erde läuft, zu der Springsteen 2002 auf "The rising" einlud: "Meet me at Mary's Place / We're gonna have a party." 2023 findet die Party zunächst in den Stadien dieser Welt statt. Dann geht Bruce Springsteen wieder auf Tour. Die Songs von "Only the strong survive" werden dann höchstwahrscheinlich keine Rolle spielen, ihr Fundament und Spirit durchaus.
Highlights
- Nightshift
- Hey, Western Union man
- I forgot to be your lover (feat. Sam Moore)
Tracklist
- Only the strong survive
- Soul days (feat. Sam Moore)
- Nightshift
- Do I love you (indeed I do)
- The sun ain't gonna shine anymore
- Turn back the hands of time
- When she was my girl
- Hey, Western Union man
- I wish it would rain
- Don't play that song
- Any other way
- I forgot to be your lover (feat. Sam Moore)
- 7 rooms of gloom
- What becomes of the brokenhearted
- Someday we'll be together
Gesamtspielzeit: 50:24 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Grizzly Adams Postings: 5631 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-12-22 20:43:12 Uhr
So. First Meinung After the Rezänschion. Bin noch immer bei einer 7/10. und, nein, „ The sun ain‘t Gonna shine anymore“ gehört auf diesem Album nicht zu den Highlights oder Anspieltipps. Ansonsten geh ich mit der weitestgehend Rezi d‘accord. aber; Warum sollte der Boss nicht auf seiner Tournee das eine oder andere Liedchen in die Setlist im nächsten Jahr einbauen? Ich hätte nix dagegen. Passt schon. :-) |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27844 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-12-21 20:11:54 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Loketrourak Postings: 2636 Registriert seit 26.06.2013 |
2022-11-17 09:59:59 Uhr
Wie schon bei den letzten Veröffentlichungen sehr fein und liebevoll ausgestattetes Doppel Vinyl. Klappcover, Ausziehgimmick, Innencover im alten Columbia Style, Bedruckte Innenseiten der Außencover. Beilage, D-Side etched. Nice. |
dreckskerl Postings: 10906 Registriert seit 09.12.2014 |
2022-11-11 18:41:57 Uhr
Stimme mit dir überein, was "The sun ain't..." anbelangt, der passt da auch gar nicht rein.Ich finde aber auch "Nightshift" eine schlechte Wahl und dafür "I wish it would rain" nicht so schlecht. Bei den weiteren Highlights sind wir uns einig. |
Grizzly Adams Postings: 5631 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-11-11 18:22:37 Uhr
Auf Anhieb am besten gefallen mir Nightshift, Do I Love you, Hey, Western Union Man, Dont play that Song, I forget to be your Lover und 7 Rooms of Gloom. Gar nicht gebraucht hätte ich The sun ain‘t gonna shine anymore und I wish it would Rain. Da geht eh nichts über die Originale. Der Rest geht gut klar. Knappe 7/10 nach dem ersten Eindruck. Da hat er sich in Gänze also keineswegs blamiert und einige schöne Cover gebastelt. |
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Referenzen
Little Steven & The Disciples Of Soul; Southside Johnny & The Asbury Jukes; Sam & Dave; Jimmy Ruffin; Jackie Wilson; The Four Tops; The Supremes; Dobie Gray; Diana Ross & The Supremes; The Commodores; Frankie Valli; Frankie Valli & The Four Seasons; Ben E. King; Jerry Butler; The Temptations; The Elgins; Frankie Wilson; Tyrone Davis; Arthur Conley; Edwin Starr; Rufus Thomas; James Carr; Marvin Gaye; Wilson Pickett; Joe Tex; William Bell; The Marvelettes; The Isley Brothers; Martha & The Vandellas; Booker T. Jones; Burt Bacharach; Sam Cooke; Ray Charles; Joe Cocker; The Walker Brothers; Scott Walker
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