Stormzy - This is what I mean
Def Jam / Universal
VÖ: 25.11.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Here, my dear
Ein Brief ist vielleicht die intimste Art der Kommunikation. Gerade in der räumlichen Distanz zum Gegenüber lassen sich Wahrheiten aussprechen, die im direkten Gespräch nicht über die Lippen kommen. Auf dem Cover von Stormzys drittem Album ist zum ersten Mal nicht Michael Omari selbst zu sehen, sondern ein Brief, der auf einer Türmatte liegt. Adressiert vermutlich an seine Ex, die Moderatorin Maya Jama, denn "This is what I mean" ist in erster Instanz eine Trennungsplatte. Im Vorfeld hatte Stormzy bereits geäußert, damit vor allem sein eigenes Herz ausschütten zu wollen und die emotionale Anknüpfung ans Publikum hintenanzustellen – wohlwissend, dass es manche Fans des im Grime verwurzelten Superstars sowieso abschrecken wird, wenn er seine Singstimme so prominent wie noch nie in den Fokus rückt und größtenteils in zurückhaltendem R'n'B und Soul statt angriffslustigem HipHop badet.
So ist der achtminütige Opener "Fire + water" tatsächlich repräsentativ für das Album. Ganz in sich gekehrt, als würde ihm niemand zuhören, breitet Stormzy seine Gefühle auf einem sanften Gospel-Teppich aus, während sich die etwa mit Jazz-Flöten angereicherte Instrumentierung im Hintergrund hält. Noch reduzierter ist "Firebabe", eine Ballade mit skelettalem Hall-Beat und Vocal-Loops, bei der man jeden Moment auf den Einsatz von James Blakes Falsett wartet. Stattdessen brilliert hier die Newcomerin Debbie, was den kollaborativen Spirit im Kern von "This is what I mean" preisgibt. Der Zwei-Meter-Mann hat sich für sein musikalisches Tagebuch nämlich keineswegs in die stille Kammer verkrochen, sondern den Kreativprozess zu einem gemeinsamen "music camp" auf der Osea Island gemacht – wobei er anstelle der Ed Sheerans dieser Welt auch kleineren Namen eine Stimme gibt. Besagte Debbie bekommt mit dem berührenden Closer "Give it to the water" gar einen fast reinen Solo-Track, ebenso wie Sampha, dessen unverkennbares Organ in "Sampha's plea" ganz allein strahlt.
Doch Stormzy unterläuft seine neue Inszenierung als introvertierter Soul-Schmuser an anderer Stelle auch wieder. "I think I'm Kanye mixed with Donny Hathaway", verkündet er im Titelstück, das sich nach einem Piano-Intro straight outta Schwanensee zum dramatischen Banger mit Streichern, Chor-Häcksler und verzerrtem Bass auftürmt – neben "Need you" mit seiner Afrobeats-Percussion und den anschmiegsamen Trompeten der einzige Track, der nach Erlösung im Rhythmus sucht. Die Politik kann der Londoner, der in seiner Heimat unheimlich viel in soziale Projekte investiert und sich lautstark für Gleichberechtigung einsetzt, ebenfalls nicht begraben. "My presidents are black" heißt in dieser Hinsicht die Programmnummer, die trotz entspanntem Vibe die bissigen Bars fließen lässt, unter anderem den britischen Wohnminister Michael Gove ins Visier nimmt. Selbst in der sakralen Zärtlichkeit von "Please" beleuchtet Stormzy nicht nur die schwierige Beziehung zu seinem Vater, sondern setzt sich auch für die bessere mediale Behandlung für Herzogin Meghan von Sussex ein.
Vielleicht finden sich in solchen Momenten doch die eigentlich abgelehnten Fan-Zugeständnisse, der intimen Atmosphäre tun sie allerdings keinen Abbruch. Songs wie "Bad blood" und "Hide & seek" sind wirklich nichts anderes als Briefe auf Maya Jamas Türmatte, "Holy spirit" erklärt mit kirchlichem Pathos die Bedeutung des eigenen Glaubens, und "I got my smile back" trägt die Verletzlichkeit wie eine Krone: "Me and suicidal thoughts, we haven't spoke for years / You know all my deepest secrets, you know all my fears / I pray that I don't ever see your face again." Von einer gewissen Gleichförmigkeit lassen sich diese musikalisch unauffälligen Slow Jams nicht freisprechen – doch hat man sich von der Erwartung eines dynamischen, stilistisch variablen Stormzy-Spektakels gelöst, formen sich Michael Omaris honigwarm gesungene Worte zu einem großen emotionalen Resonanzraum. Und wenn, Achtung Boulevard-Ausflug, sich Jama wie berichtet aktuell wieder ihrem Ex annähert, wurden offenbar nicht nur die Seelen der gemeinen Hörer*innenschaft gestreichelt.
Highlights
- Fire + water
- This is what I mean
- Give it to the water
Tracklist
- Fire + water
- This is what I mean
- Firebabe
- Please
- Need you
- Hide & seek
- My presidents are black
- Sampha's plea
- Holy spirit
- Bad blood
- I got my smile back
- Give it to the water
Gesamtspielzeit: 51:20 min.
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Referenzen
Loyle Carner; Dave; Sampha; James Blake; John Legend; Tom Misch; Jordan Rakei; Drake; Kanye West; Kendrick Lamar; Chance The Rapper; Common; Debbie; Sam Smith; Stevie Wonder; Marvin Gaye; The Streets; Kae Tempest; Jay Rock; J. Cole; The Roots; Rejjie Snow; Tyler, The Creator; Wretch 32; Skepta; Kano; Wiley; Giggs; Ghetts; Slowthai; Little Simz; Sault; J Hus; Burna Boy; Travis Scott
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