Christina Vantzou - No. 5
Kranky / Cargo
VÖ: 11.11.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Der Morgen ist gestorben
Christina Vantzou folgt einem klaren Schema, wenn es um das Benennen ihrer Alben geht. Während andere sich das Hirn über möglichst vieldeutige Titel zermartern, nummeriert Vantzou ihre Werke einfach durch. Auch hinsichtlich der Musik bleibt die in den USA geborene und nach Belgien emigrierte Künstlerin sich treu. "No. 5" macht genau dort weiter, wo "No. 4" aufgehört hat. Alle, die auf dicke Beats oder laute Gitarren stehen, dürfen also weiterhin einen weiten Bogen um die Musik Vantzous machen. Leise rieseln die Töne aus den Lautsprechern. Zwischen einzelnen Akkorden vergehen teils halbe Ewigkeiten. Viele Tracks sind derart fragil, dass sie fast auseinanderfallen. Aber eben nur fast.
So passiert beispielsweise in "Red eel dream" zunächst kaum etwas. Wasser plätschert, während lang gehaltene Synthesizer-Töne von kommendem Unheil künden. Urplötzlich fährt das Orchester hernieder, nur um genauso schnell wieder ins Nichts zu verschwinden. Zurück bleiben Stille und Staunen. Eine tiefe Traurigkeit durchzieht diese Musik. Vantzou entlockt in "Kimona" dem Klavier einige wenige Akkorde, die den Raum in Finsternis hüllen. Dazu erhebt sie ihre Stimme, doch bleibt wortlos. Das Ungesagte meint das Unsägliche. Das alles ist schwer verdaulich, aber genau deshalb so faszinierend. Erst recht, wenn "Kimona II" beginnt und noch tiefer in den Abgrund taucht. Auch "Tongue shaped rock" kommt nicht über Superzeitlupen-Tempo hinaus. Doch die Uhr tickt, unaufhaltsam und unablässig. Mit jedem Ton erscheint das Ende plausibler. Der Morgen ist gestorben.
"Memory of future melody" gelingt es schließlich, das Unfassbare einzufangen. Hier ist der Titel tatsächlich Programm: Mehrere Celli ringen darum, sich an eine Melodie zu erinnern und scheitern grandios. Immer verzweifelter spielen sie gegen den Nebel an, welcher sich über den Geist legt, bevor sie schließlich aufgeben. Es gibt keine Hoffnung, kein Licht. Nur Angst. Christina Vantzous Musik kommt von einem Ort, den nur wenige zu erkunden bereit sind. Zwischenmenschliche Interaktion erscheint in diesem Kontext wie eine Illusion. Während "Greeting" noch versucht, Nähe herzustellen, verliert sich "Distance" in der Weite der Einsamkeit. Doch was ist der Mensch ohne die anderen? Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, sollte "No. 5" hören.
Highlights
- Red eel dream
- Kimona
- Memory of future melody
- Kimona II
Tracklist
- Enter
- Greeting
- Distance
- Reclining figures
- Red eel dream
- Dance rehearsal
- Kimona
- Tongue shaped rock
- Memory of future melody
- Kimona II
- Surreal presence (for SH and FM)
Gesamtspielzeit: 36:42 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Gomes21 Postings: 5208 Registriert seit 20.06.2013 |
2022-11-22 11:40:12 Uhr
Spannendes Album muss ich sagen, unvorhersehbar, gut produziert, ambienty. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27366 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-11-16 21:00:37 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
The Dead Texan; Stars Of The Lid; Troum; William Basinski; Rafael Anton Irisarri; Lawrence English; Jóhann Jóhannsson; Seabeat; Kyle Bobbie Dunn; Circuit Des Yeux; Grouper; Fennesz; Steve Reich; Max Richter; Loscil; Benoît Pioulard; Christopher Bissonnette; Magnog; Eluvium; Helen; A Winged Victory For The Sullen; Valet; Anna Von Hausswolff; Aidan Baker; Sparklehorse; Brian Eno; Birds Of Passage
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