Martha - Please don't take me back

Specialist Subject / Dirtnap
VÖ: 28.10.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Schlechte alte Zeiten
Das Vereinigte Königreich ist ein grauer Ort. Das bezieht sich nicht nur auf den meteorologischen Dauerzustand, sondern gerade auch auf die gesellschaftliche Tristesse, die im politisch verwirrten Post-Brexit-Tory-Land immer mehr zuzunehmen scheint. Doch war früher, wie man in nostalgischer Verklärung gerne pauschalisiert, wirklich alles besser? "Take me back to the old days / Take me back to the glory days we had", singen Martha im Titeltrack ihres vierten Albums, bevor die 180-Grad-Wende kommt: "No wait, don't do that / I was really fucking sad / The old days were bad." Wer allen Ernstes aus einem Dörfchen namens Pity Me stammt, weiß eben, dass es für gewisse Bevölkerungsgruppen nie wirklich einfach war. Doch der britische Vierer kennt ebenso weiterhin die beste Medizin gegen den spätkapitalistischen Kollektiv-Blues: Wenn man eh schon lachend auf den Abgrund zurast, kann man das auch gleich auf dem Rücken furioser Indie-Pop-Punk-Bretter tun und noch 35 Minuten lang eine gute Zeit haben. "Please don't take me back" versammelt wieder zwei Handvoll solcher Hook-Konzentrate, die im gemeinsamen Ansingen gegen die Erschwernisse und Erniedrigungen der Welt hoffnungsvolle Luftlöcher in den erstickenden Nebel schlagen.
Die Songs sprudeln nur so vor Energie, spucken Riffs und Melodien aus, als wären sie kurz vorm Überkochen – kein Wunder, schließlich hat sich gerade bei Bands, die live noch mehr ekstatisches Potenzial als auf Platte freisetzen, in der Pandemie so einiges angestaut. So verhandelt gleich der Opener "Beat, perpetual" Sehnsüchte nach Zusammensein und Ausbruch, während er mehrstimmig auf einen Refrain zusteuert, der sich im Grunde schon nach der ersten Wiederholung ins Ohr fräst. In "Hope gets harder" kriegt das Heimatland als "damp and hateful island" und "funeral parlour" in besonders deutlicher Manier sein Fett weg, ehe das Feedback-Quietschen am Ende den Totalkollaps suggeriert. Wie es sich für eine Punk-Band gehört, brauchen Martha nur wenige Worte und Töne für ihre Botschaften, verdichten zuweilen sogar den gesamten Inhalt schon im Songtitel. Da erklären sie kurz vor Schluss erst die "Total cancellation of the future", nur um in einer sich turmhoch nach oben schraubenden Widerstandsspirale "I didn't come here to surrender" zu entgegnen. Martha schauen eben stets nach vorn – zumindest textlich. Musikalisch bleibt's beim gewohnten Blick in die vergangenen Jahrzehnte vor allem amerikanischer Rock-Geschichte, der College-, Slacker- und Emo-Attitüde gemeinsam mit Gniedel-Soli und Parolen-Pop gleichzeitig in den Fokus nimmt.
So können JC Cairns und Co. innerhalb ihrer strukturell ähnlichen Dreiminüter kleine Variationen vornehmen, indem sie die Parameter leicht verschieben: hier etwas mehr bierseliger Glückstaumel in "Flag // burner", da ein paar Classic-Rock-Riffs in "Baby, does your heart sink?". In der finalen Saiten-Flut von "Neon lung" meint man gar, ein gegen den Lärm kämpfendes Gespann windschiefer Bläser zu vernehmen. Doch bei Martha geht es freilich weniger um die stilistischen Details, sondern mehr darum, ob die großen Momente zünden – und das tun sie durchweg, auch wenn die vorangegangenen Meisterwerke "Blisters in the pit of my heart" und "Love keeps kicking" mit noch etwas mehr Punch und Songwriting-Finesse aufwarteten. Dafür sitzt der ambitionierte Closer "You can't have a good time all of the time" wieder einmal passgenau. Bassistin Naomi Griffin übernimmt halbakustisch begleitet den Lead-Gesang und skizziert eine radioaktive Dystopie, vermittelt dabei aber das Gefühl, das scheinbar Unausweichliche mit gemeinsamer Kraft noch vermeiden zu können. Die durch den ganzen Song funkelnden Synths lösen sich am Ende in einer friedvollen, aber dezent surrealen Szenerie auf, als würden Schneeflocken leise nach oben steigen. Rein in einen Himmel, der mit "Please don't take me back" auf den Ohren ein kleines bisschen weniger grau aussieht.
Highlights
- Hope gets harder
- Flag // burner
- You can't have a good time all of the time
Tracklist
- Beat, perpetual
- Hope gets harder
- Please don't take me back
- Irreversible motion
- Baby, does your heart sink?
- Flag // burner
- Neon lung
- Take me back to the old days (Reprise)
- Total cancellation of the future
- I didn't come here to surrender
- You can't have a good time all of the time
Gesamtspielzeit: 35:19 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Dorado Postings: 81 Registriert seit 14.06.2013 |
2022-11-18 08:31:37 Uhr
Von mir gibts auch ganz viel Liebe.Kann man auch wunderbar im Herbst/Winter hören. Hätte diesmal ebenfalls ne 8/10 sein dürfen, ich sehe das Album nicht schwächer als die Vorgänger. |
Obrac Postings: 2565 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-11-17 17:59:45 Uhr
Wird erst im Sommer gehört. Album kommt zu spät oder zu früh. Werde ich der Band auch noch schreiben. |
Nummer Neun Postings: 767 Registriert seit 14.06.2013 |
2022-11-17 15:07:32 Uhr
Von mir haben sie besseres bekommen als Liebe: Geld. Album ist gekauft. |
qwertz Postings: 1049 Registriert seit 15.05.2013 |
2022-11-17 15:02:31 Uhr
Jupp, die machen Laune. Auch diesmal. |
Gordon Fraser Postings: 2747 Registriert seit 14.06.2013 |
2022-11-17 14:30:20 Uhr
Nichts als Liebe für diese Band. |
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Referenzen
Ted Leo And The Pharmacists; Cloud Nothings; Guided By Voices; The Moldy Peaches; The Thermals; Japandroids; Wavves; Bad Moves; Weezer; Billy Bragg; The Hold Steady; Spanish Love Songs; The Menzingers; The Wonder Years; Joyce Manor; Jeff Rosenstock; Ezra Furman; Fucked Up; Pup; The Beths; Beach Bunny; Swearin'; Remember Sports; Charly Bliss; Makthaverskan; Alvvays; Vivian Girls; Illuminati Hotties; Superchunk; Dinosaur Jr.; 2nd Grade; Young Guv; The Get Up Kids; Jimmy Eat World; The Weakerthans
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