Disarstar - Rolex für alle
Four / Sony
VÖ: 28.10.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Flexen gegen die Krise
Keine große Promo oder Presse: Disarstar ist mit einem neuen Album zurück, und was er fordert, das verrät der Albumtitel eindringlich. Der hochgelobte Vorgänger "Deutscher Oktober" erfuhr einiges an musikjournalistischer Aufmerksamkeit, ein Nachfolger war also sehnlichst erwartet. In die Schlagzeilen kam Gerrit Falius jedoch im Herbst 2022 anderweitig: "Ich wohne seit über zehn Jahren auf Sankt Pauli und beobachte alleine nur in dieser Zeit die massive investoren- und touristenfreundliche Aufschickung des Stadtkerns, die den Obdachlosen immer weniger Platz einräumt. Man gönnt ihnen nicht mal den Dreck unter ihren Fingernägeln." Und mit diesen wahren Worten flexte der Rapper kurzerhand die Metallbügel von einer Parkbank ab, um darauf eine Matratze mit Bettbezug zu legen. Eine Anzeige gab es zum Glück nicht.
Gentrifizierung, soziale Ungerechtigkeit und das (Über)Leben im Kapitalismus bleiben auf "Rolex für alle" ebenso in seinen Lyrics die Hauptthemenfelder. Die vorab veröffentlichte, titelgebende Single bringt es auf den Punkt: Disarstar rappt weder gegen die Marken Rolex oder Ferrari an sich, er verlangt nur nicht weniger als alles für alle. An sich bei Weitem keine neue Parole, nur klang das mit deutschen Rap-Lyrics auf düsteren 808-Beats mit extravagantem Sub-Bass selten so gelungen. Wem sonst nimmt man unkomplizierte Lines wie "Vor niemand verneigen / Die Chance ergreifen / Für bessere Zeiten" so sehr ab? Dass es hier um mehr als theoretische Kapitalismuskritik, nämlich um knallharte Existenzkämpfe geht, das verdeutlicht auch "Hunger", die andere im Vorfeld erschienene Single. Und wer als Rap-Fan Disarstar interessant findet, wird den ergreifenden Tiefgang von "Ode an die Traurigkeit" zu schätzen wissen und die meiste Freude an "Mode aus Paris" haben. Letzterer ist einer der besten Tracks, nicht nur auf der Platte, sondern vielleicht auch in der ganzen Diskografie. Hier finden sich traurige Klavier-Samples, wehrhafte Lyrics aus der Arbeiterschicht, 90er-Rap-Samples, erlesen produzierte Instrumentals und sogar die guten alten Scratchings zu einem packenden Gesamtkunstwerk zusammen.
Auf seinem sechsten Album wagt Disarstar keine allzu abenteuerlichen Experimente, klingt aber wie in "Alle broke" dank markanter Produktion des Göttinger Duos The Cratez etwas ausgefallener als sonst. Am auffälligsten zeigt sich das bei "Supergirl", wo die Hook lediglich aus einem kratzigen Sample des gleichnamigen Reamonn-Hits besteht. Zwar ist der Text gewohnt stark, der Track selbst aber der am wenigsten überzeugende Moment auf einem kurz gehaltenen Album. Viel Eindruck hinterlässt dahingegen der ins Mark treffende Closer "Privilegiert". Die Instrumentals gehen hier neue Wege, es gibt flotte House-Loops, klassische Electro-Samples und dazu mal langsamer, und dann immer schneller werdende Rap-Parts. Disarstar genießt diesen willkommenen Stilwechsel sichtlich, was dem Song angenehmerweise anzuhören ist und ihm gegönnt sei. Denn bei allem militanten Anti-Kapitalismus, der in Krisenzeiten ohnehin das Kernelement des Rappers bleiben wird, hat er sich als Musiker mit einer gewissen Qualität endgültig etabliert. Disarstar zeigt erneut, wie stark und authentisch linker HipHop auf Deutsch mit vorzeigbaren Skills doch klingen kann.
Highlights
- Rolex für alle
- Mode aus Paris
- Ode an die Traurigkeit
- Privilegiert
Tracklist
- In meinen Schuhen
- Day to day
- Hunger
- Rolex für alle
- Mode aus Paris
- Wollen was ihr habt
- Pausenlos
- Alle broke
- Palace walls
- Skit
- Supergirl
- Ode an die Traurigkeit
- Privilegiert
Gesamtspielzeit: 35:20 min.
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