Arctic Monkeys - The car

Domino / GoodToGo
VÖ: 21.10.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Depresso macchiato
Es sollte doch eigentlich alles ganz anders werden. Schon "Tranquility Base Hotel & Casino" hätte ein Soloalbum von Alex Turner sein sollen, doch die restliche Band selbst brachte den Vorschlag, diesen weird-schönen Weltraumtrip ohne klassische Songstrukturen als Arctic Monkeys auf den Markt zu werfen. Und jetzt haben wir den Salat. Denn obwohl Gitarrist Jamie Cook und Tourmember Tom Rowley diesmal Co-Writing-Credits abstauben, ist der Nachfolger "The car" ganz klar weiterhin die Alex-Turner-Show. Allerdings nicht mehr im All, sondern auf dem Boden der Tatsachen. Und ja, oberflächlich mögen die zehn neuen Songs in dieselbe Kerbe wie "Tranquility Base Hotel & Casino" schlagen – bemerkenswert bei einer Truppe, die sich überraschend konsequent von Album zu Album gewandelt hat. Sie werden auch ebenso die Fans nicht versöhnen, die beim Vorgänger reißaus genommen haben. Trotzdem fühlt sich "The car" zunehmend anders an.
Bestandsaufnahme: Turner singt immer noch meist im Falsett, verzichtet auf Hooks. Die Songs haben zwar wieder mehr Struktur und erkennbare Refrains, das war es aber schon mit Zugeständnissen an alte Zeiten. Vor allem klingt "The car" viel opulenter noch als sein Vorläufer. Das macht direkt der Opener "There'd better be a mirrorball" mit seinem bombastischen Instrumental-Intro deutlich und setzt sich fort über die Streicher an jeder möglichen Ecke, das weinerliche Orchester von "Big ideas" und die Basswellen aus "Sculptures of anything goes". Speziell letzterer Song fesselt nicht nur durch die dezent sinistre Atmosphäre, sondern auch Turners wie immer zwischen Selbstironie und Selbstverliebtheit pendelnden Texte. "Puncturing your bubble of relatability / With your horrible new sound / Baby, those mixed messages ain't what they used to be / When you say them out loud."
Auch "Big ideas" beschreitet die Metaebene: "I had big ideas, the band were so excited / The kind you'd rather not share over the phone / But now the orchestra's got us all surrounded / And I cannot for the life of me remember how they go." Es sind nicht die langlebigsten Momente der Platte, vor allem weil wir den lyrischen Trick von "Tranquility Base Hotel & Casino" bereits kennen. Viel besser sind dagegen die Stellen, die ehrliche Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit versprühen – der Aufschlag auf dem Boden, den Turner angekündigt hatte. Um "The car" weht trotz der weiterhin kaffeehaustauglichen Instrumentierung ein Schleier der Tristesse, nirgendwo mehr als auf dem zum Sterben schönen Titeltrack mit todtraurigen Streichern. "But it ain't a holiday until / They force you to make a wish", lamentiert Turner und es bleibt ein Rätsel, worauf er genau hinauswill mit seinen Erinnerungen.
Wenn es auf dieser Platte ein "Four out of five" gibt, einen Song, der doch noch alles überragt und als Lackmustest für all jene Zweifler dient, ist es "Body paint", formschön in der Mitte platziert. Das Keyboard spielt eine einfache Melodie, bei der man sicher ist, sie bereits vorher gekannt zu haben, schreitet voran bis zur Klimax, die den Sound in fantastische Höhen schraubt, während Turner enerviert immer wieder auf den "trace of body paint on your legs and on your arms and on your face" hinweist. Wie eine Spiegelung der ersten Albumhälfte steht ganz am Ende jedoch auch ein wahres Meisterstück, das ultrazugänglich ist. Wäre "Perfect sense" aus dem Siebzigern, würde es vermutlich als Klassiker des Barockpops gelten mit dem insistierenden Rhythmus und der wundervollen Melodie. "Sometimes I wrap my head around it all / And it makes perfect sense", fasst Turner es am Schluss zusammen und trifft damit ins Schwarze.
"Don't get emotional, that ain't like you", heißt es wiederum gleich als erstes auf dem Werk. "The car" straft dies in der Folge Lügen und präsentiert sich als das wohl tiefgehendste und niedergeschlagendste Arctic-Monkeys-Album, das sich hinter der eleganten, manchmal hochnäsig wirkenden Attitüde nur versteckt. Die Ironieschicht fällt jedes Mal ein Stück mehr ab und entblößt den emotional blanken Kern. Fast jeder der Songs wäre als Ballade auf einem früheren Album ein Highlight, die Band verlangt nur von den Fans mehr ab, indem sie hier ausschließlich in dieser Spielfarbe ablegt und sich alten Mustern verweigert. "The car" bleibt richtigerweise konsequent – da hilft keine quäkige Gitarre in "I ain't quite where I think I am", kein aufgewecktes Klavier in "Hello you". Dort heißt es übrigens: "Hello you / Still dragging out a long goodbye / I ought to apologise for one of the last times." Das muss sich auf privaten Herzschmerz beziehen. Denn egal, was andere sagen: Turner und die Arctic Monkeys müssen sich für gar nichts entschuldigen.
Highlights
- Sculptures of anything goes
- Body paint
- The car
- Perfect sense
Tracklist
- There'd better be a mirrorball
- I ain't quite where I think I am
- Sculptures of anything goes
- Jet skis on the moat
- Body paint
- The car
- Big ideas
- Hello you
- Mr Schwartz
- Perfect sense
Gesamtspielzeit: 37:18 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Z4 Postings: 8861 Registriert seit 28.10.2021 |
2024-03-08 12:00:58 Uhr
Ja, für mich kam es auch zur falschen Zeit. Jetzt hab ich erst die Ruhe, das zu hören, damals war es gefühlt noch kurz nach Corona und alles unruhig. |
Socko Postings: 2049 Registriert seit 06.02.2022 |
2024-03-08 09:02:30 Uhr
Es gibt für alles seine Zeit. Ich habs nun nochmal probiert. Es hat nun auch bei mir gefunkt. Bin wohl gerade offen für diese Art von Musik. Generell jetzt mal die gesamte Rest- discographie, die ich noch nicht besass, auf Vinyl zusammenhekauft. Plus die beiden Last shadow puppets-Alben. Schon eine unfassbar geile Band,bzw Bands |
Stereofy Postings: 21 Registriert seit 22.09.2019 |
2023-08-20 09:34:37 Uhr
Mit etwas Abstand gefällt mir das Album jetzt richtig gut, anfangs gar nicht. Es hat diese Schönheit, die ich auch an The Last Shadow Puppets so liebe. |
Mr. Fritte Postings: 831 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-04-28 14:50:45 Uhr
Ein bisschen gewachsen ist das Album jetzt schon bei mir, aber gerade Mirrorball gibt mir mal echt so überhaupt nichts. Es hat schon ein paar gute Songs, aber den Vorgänger find ich nach wie vor besser. Und als nächstes dürften sie gerne mal wieder was anderes machen. |
AliBlaBla Postings: 7414 Registriert seit 28.06.2020 |
2023-04-28 14:38:22 Uhr
Ich mag das Album echt total inzwischen, sogar mehr als den starken Vorgänger, eine super Song Abfolge ohne Schwächen..und ich mag nicht nur die "neueren" Sachen, meine Lieblings- AM Alben sind "Favourite worst nightmare" und "Humbug" |
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Referenzen
Alex Turner; David Bowie; The Last Shadow Puppets; Death Ramps; Burt Bacharach; Leonard Cohen; Bob Dylan; The Kinks; The Beatles; Miles Kane; Get Well Soon; Richard Ashcroft; Johnny Marr; The Charlatans; Scott Walker; The Zombies; Morrissey; The Smiths; Jefferson Airplane; Neil Young; Paul Weller; Owen Pallett; Louis Armstrong; Serge Gainsbourg; Ocean Colour Scene; The Electric Soft Parade; The Jeevas; Van Morrison; The Rolling Stones; Grateful Dead; The Jam; Super Furry Animals; Inspiral Carpets; James Dean Bradfield; R.E.M.; Doves; Elbow; Arcade Fire; The Verve; Stars; Elliott Smith; Beach Boys
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