Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Mamaleek - Diner coffee

Mamaleek- Diner coffee

The Flenser
VÖ: 30.09.2022

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Who's gonna rip off who?

Holzklötze, Türknöpfe und Typen namens Bob: "Twin Peaks" hat uns nicht nur eines der faszinierendsten Erlebnisse der TV-Geschichte geschenkt, sondern auch unseren Blick auf gewisse Teile der ordinären Welt irreversibel verändert. Dazu gehören mit Sicherheit auch amerikanische Diners und Agent Coopers dort millionenfach ausgeschenktes Lieblingsgetränk. Wenn Mamaleek also ihr neues Album "Diner coffee" nennen, passt das wie die Klappe auf Nadine Hurleys Auge – schließlich sind Adjektive wie "surreal" oder gleich "lynchesk" nicht die schlechteste Wahl für eine Erstannäherung an die mysteriöse Band. Was wir wissen: Mamaleek bestehen im Kern aus zwei anonymen Brüdern, sind inzwischen zum maskierten Quintett gewachsen und verschmelzen ihren Black Metal mit Jazz, Blues, Noise-Rock und allem, was ihnen sonst so vor den Industriekessel fällt. Nun sind aus den Nischen des härteren Musikspektrums stammende Genre-Mixe keinesfalls neu und sogar absolut tauglich für den Indie-Mainstream – zu Mamaleeks frühesten Labelkollegen zählte eine Kapelle namens Deafheaven –, doch beeindruckt hier die Selbstverständlichkeit, mit der die Stile nie nebeneinanderstehen, sondern zu nahtlosen Kompositionen zusammenwachsen.

"Diner coffee" ist weniger brachial als sein Vorgänger "Come & see", wirkt in dieser vermeintlichen Zurückhaltung aber nur noch unheimlicher. Irres Gelächter durchzieht das Intro "Libations to sacred clowns": Ist es ein bachtinisches, ein revolutionäres Lachen im Sinne der auch auf vorigen Werken präsenten Kapitalismuskritik oder schlicht der Hinweis, das Folgende nicht so ernst zu nehmen? "Boiler room" scheint beides zu bejahen. Wie ein Tom Waits mit noch mehr Stahlwolle als sonst im Hals krächzt der namenlose Sänger über bluesigen Licks Jobträume aus, ehe der heimlich die Hand draufhaltende Alb in Metal-Kaskaden ausbricht, durch die das Bar-Piano einfach weiterklimpert. Ein Saxofon befeuert den Wahnsinn, doch anstatt im Totalkollaps endet alles im psychedelischen Flirren. "Badtimers" beginnt gar im Sonntagmorgens-Wohlklang, aus dem sich ein einladender HipHop-Beat im Kontrast zu dämonischen Schmerzensschreien schält. Der Track ist eine einzige Anti-Klimax, verliert bis zur völligen Schlussdepression nach und nach an Dringlichkeit – und erreicht gerade deshalb die Intensität eines sich langsam zuschließenden Sargs. Die 60 Sekunden Klargesänge von "Save your poor wicked soul" liefern genau die Atempause, deren Notwendigkeit einem zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst war.

Es ist ein Paradebeispiel für die generelle Funktionsweise von Mamaleeks Spannungsbögen: absolut unvorhersehbar, aber letztendlich sitzt jeder Ton genau da, wo er muss. "Grief and a headhunter's rage" stochert mit verlorenen Bläsern drei Minuten lang um einen Bass-Puls herum, bevor ansatzlos die ganze Band durch die Tür knallt und die Gitarre mit dem kleinen Mann im Red Room zu tanzen scheint. "Wharf rats in the moonlight" klingt in seinem Kernteil so, als würden Daughters gemeinsam mit dem örtlichen Klapsmühlen-Orchester eine Runde Free-Jazz spielen – auch die am Anfang und Ende angedeutete Friedlichkeit kann nicht verhindern, dass man sich längst so fühlt, wie der Kerl auf dem Albumcover aussieht. Der abschließende Titeltrack schaut dann am tiefsten ins Blues-Glas, auch wenn die Vocal-Performance noch ein paar Höllenqualen mehr draufpackt. Eine teuflische Gestalt hat am Tresen Platz genommen, wahrscheinlich hat sie Robert Johnson gerade die Seele abgeknöpft, doch die finale Katastrophe bleibt aus – stattdessen bleibt die Zeit stehen und man weiß im Grunde nichts anderes mehr, als dass man die vergangenen 37 Minuten einem Album wie keinem zweiten gelauscht hat. Mamaleek lachen wie immer zuletzt.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • Boiler room
  • Wharf rats in the moonlight

Tracklist

  1. Libations to sacred clowns
  2. Boiler room
  3. Badtimers
  4. Save your poor wicked soul
  5. Grief and a headhunter's rage
  6. Wharf rats in the moonlight
  7. Diner coffee

Gesamtspielzeit: 37:30 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Der Untergeher

User und News-Scout

Postings: 1874

Registriert seit 04.12.2015

2022-10-28 00:25:06 Uhr
Schön, dass das Album hier besprochen wurde! Reduziert lynchesk und nicht weniger verstörend als der großartige Vorgänger.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28471

Registriert seit 08.01.2012

2022-10-26 21:00:49 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify