Makaya McCraven - In these times

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 23.09.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Alles fließt
Makaya McCraven hat die Musikwelt clever abgelenkt. Hat Live-Sessions zu Alben performt, fleißig die Bühnen dieser Welt bespielt und sich dabei kontinuierlich und weit über die Jazzszene hinaus einen Namen gemacht. Zuletzt nahm er sich unter anderem selbstbewusst Gil Scott-Herons "I'm new here" vor und arrangierte das letzte Werk des 2011 verstorbenen Künstlers auf seine ganz eigene Weise um. "We're new again: a reimagining by Makaya McCraven" hieß das Ganze und heimste verdientermaßen eine große Dosis Lob ein. Im Hintergrund aber feilte der 1983 in Paris Geborene an einem Album, das nun als wahres Statement auf dem Tisch liegt: "In these times" präsentiert einen Musiker, der zum Kern seines Könnens vorgedrungen ist.
Vom Opener und gleichzeitigen Titelstück bis zum finalen "The title" reicht die musikalische Offenbarung, der ein intensiver und insgesamt siebenjähriger Schaffensprozess zugrunde liegt. McCraven stammt aus einer Musikerfamilie, die ihn früh in Kontakt brachte mit vielerlei Stilen. Seine immer wieder betonte Liebe zur eigentlichen Volksmusik, seine Ausbildung als Schlagzeuger, die Affinität zum Jazz der traditionellen Schule und seine Offenheit für moderne Elemente sorgen dafür, dass sich der Künstler kaum Grenzen setzt. Nicht nur der Applaus zum Auftakt erzeugt auf "In these times" übrigens eine ganz besondere Atmosphäre. Man fühlt sich, als wohne man einer Live-Session bei, die gerade in diesem Moment erst vor einem entsteht. Und so ist es nahezu aussichtslos – oder besser: unangebracht –, den Fokus auf einzelne Titel zu richten, wenngleich diese auch für sich selbst stehen können. McCraven breitet ein Gesamtkunstwerk aus, das sich fließend zwischen Jazz, Soul und elektronischen Parts bewegt. Unterstützt wird er bei seiner Arbeit, die nie nach Arbeit klingt, von einer Vielzahl an Gastmusikerinnen und -musikern, die mit großer Klasse immer wieder neue Akzente setzen. Mal dringt das zarte Harfenspiel in den Vordergrund, in anderen Momenten übernimmt das Saxofon das Ruder. Und nie wird irgendetwas zu viel, nie wirkt der Prozess angestrengt.
Vermeintlich verkopfte Musik leicht klingen zu lassen, die vielen Tausend Gedankengänge derart luftig in Noten zu gießen, schlicht die Liebe zur Musik höchst unterschiedlicher Herkunft in ein derart stimmiges Gesamtbild zusammenzufügen: Das beschreibt noch immer nur andeutungsweise, was Makaya McCraven hier gelungen ist. Kann Jazz anstrengend sein? Durchaus. Können insbesondere auch Jazzfans mit ihren oft vielen musiktheoretischen Erzählungen nerven? Aber ja! Jazz kann aber eben auch einfach nur fantastisch sein, wenn er bei aller Virtuosität und Verliebtheit in das eigene Schaffen den Blick für Neues öffnet und nicht in Protzerei verfällt. Man höre nur ein Stück wie "Seventh string", in dem übrigens auch die Wurzeln McCravens im feinen Schlagzeugspiel eine überaus wichtige Rolle spielen. Aber wollten wir nicht den Blick abwenden von einzelnen Songs? Also: eintauchen und genießen. Wer sieben Jahre an solch einem Album arbeitet, verdient unsere volle Aufmerksamkeit.
Highlights
- In these times
- The fours
- Seventh string
Tracklist
- In these times
- The fours
- High fives
- Dream another
- Lullaby
- This place that place
- The calling
- Seventh string
- So ubuji
- The knew untitled
- The title
Gesamtspielzeit: 41:12 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fakeboy Postings: 5821 Registriert seit 21.08.2019 |
2022-11-07 17:21:57 Uhr
Grad realisiert, dass er aktuell auf Tour ist. Wär am Samstag in Zürich aber ich hab dann schon was anderes vor… |
fakeboy Postings: 5821 Registriert seit 21.08.2019 |
2022-11-07 17:14:25 Uhr
Heute lief in einem Plattenladen diese sehr gute Musik im Hintergrund. Erinnerte manchmal ein wenig an Tortoise, aber jazziger. Stellte sich dann als In These Times raus. Hab schliesslich andere Platten gekauft (Oh Sees, Low, Hot Snakes) aber zumindest gedanklich hab ich auch dieses Album mitgenommen. |
ijb Postings: 6998 Registriert seit 30.12.2018 |
2022-10-13 14:45:36 Uhr
@captain kiddDu bist ja immer mal wieder für Innovatives und Ungewöhnliches zu haben... daher würde ich dir noch das kaum beachtete Kollab-Album von Eivind Aarset und Vladislav Delay ans Herz legen. Es trägt den lustigen Titel "Singles": https://vladislavdelay.bandcamp.com/album/singles Das ist natürlich so viel Jazz wie Phoebe Bridgers HipHop, aber Eivind Aarset ist immer eine Empfehlung Wert. Kommt ab nächste Woche auch auf Deutschland- und Zürich-Tour. Brederodes Album wurde übrigens gerade in der sehr interessanten BR-Jazz-Sendung vorgestellt: https://www.br-klassik.de/themen/jazz-und-weltmusik/hoeren-wir-gutes/hoeren-wir-gutes-111022-jazztime-100.html zusammen mit drei anderen. |
captain kidd Postings: 3756 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-10-13 14:29:58 Uhr
Super Tipps, ijb. Wolfert Brederodes kannte ich gar nicht - höre ich Mal rein. Von mir noch die Anregungen: Julian Lage - View with a room Chip Wickham - Cloud 10 Vega Trails - Tremor in the static Kokoroko - Could we be more Letzteres finde ich auch deutlich interessanter als McCraven. Beide Alben nicken sehr sehr stark Richtung Soul - aber bei Kokoroko finde ich das subtiler. |
smrr Postings: 436 Registriert seit 02.09.2019 |
2022-10-13 00:52:35 Uhr
Poschardt würde twittern: I <3 ijb |
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Referenzen
Kamasi Washington; Shabaka; Yussef Kamaal; Nubya Garcia; Alice Coltrane; Joe Armon-Jones; Vels Trio; Ill Considered; Ashley Henry; Emma-Jean Thackray; Kamaal Williams; Binker and Moses; Sons Of Kemet; Alfa Mist; Tenderlonious; Ruby Rushton; Fazer; BB King; King Crimson; Moses Boyd; Blue Lab Beats; Ezra Collective; Junius Paul; Jeff Parker; Brandee Younger; Joel Ross; Marta Sofia Honer; Lia Kohl; Macie Stewart; Zara Zaharieva; Greg Ward; Irvin Pierce; Marquis Hill; Greg Spero; Rob Clearfield; Matt Gold; De'Sean Jones; Bobby Broom; Corey Wilkes; Willie Pickens; Marquis Hill; Jeff Parker; Gil Scott-Heron
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- Makaya McCraven - In these times (12 Beiträge / Letzter am 07.11.2022 - 17:21 Uhr)