The Mars Volta - The Mars Volta

Clouds Hill / Warner
VÖ: 16.09.2022
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Off the hooks
Werbeclaims aus der Hölle für fiktive Alben? Wie wäre es mit: "Oasis – jetzt ohne Refrains!" "Sigur Rós verleihen ihren Gefühlen nun auf Deutsch Ausdruck!" "Rage Against The Machine und ihr Album über die Unwägbarkeiten der Liebe!" Und noch einer: "The Mars Volta – jetzt ganz fokussiert, erwachsen und auf den Punkt!" Nun dürften die meisten mitbekommen haben, dass letzteres Beispiel eben nicht der Fantasie eines Redakteurs entsprungen, sondern tatsächlich die Story hinter der Reunion-Platte von The Mars Volta ist, die über ein Jahrzehnt nach dem vorläufigen Schlussstrich "Noctourniquet" erscheint. Vermutete man hinter den ersten Singles noch kurze, lockere Aufwärmübungen zwischen den üblichen viertel- bis halbstündigen Freakouts von Gitarrengott Omar Rodriguez-Lopez, brachten die Tracklängen Ernüchterung: Nur zwei von 14 Songs schaffen es ganz knapp über die Vier-Minuten-Marke, insgesamt dauert dieses selbstbetitelte Album circa so lang wie die Live-Version von "Cicatriz" auf "Scabdates".
Die Kompositionen selbst halten sich instrumental grundsätzlich sehr zurück. Opener und Vorbote "Blacklight shine" ist mit seiner shakenden Percussion, dem Latin-Flair und der hübschen dynamischen Intensivierung schon der offensivste Track. Umso irritierender, dass allerortens, auch von der Band selbst, erzählt wird, man mache halt jetzt Pop. Völlig vergessen wird dabei, dass The Mars Volta schon immer nicht nur Prog, Salsa und alles mögliche waren, sondern zu einem guten Anteil: ja, Pop. Kurzer Test? "Exoskeletal junction at the railroad delayed." "Blackmailed she fell off every mountain." "Now there's no light in the darkest of your furthest reaches." Schon was im Ohr? Eben. "De-loused in the comatorium" und "Frances the mute" sind nicht nur aufgrund ihrer faszinierenden Sounds und Strukturen Mammutwerke. Sie haben auch Hooks ohne Ende, nicht selten gleich mehrere in einem Song.
Auf "The Mars Volta" sucht man solch eingängige Momente vergebens. Dass Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala ihre Kräfte so wohldosiert einsetzen, ist zudem ungewohnt. Kein Gefrickel, keine trommelfellzersplitternden Soli, stattdessen liebliches Saitenspiel, karibisches Drumming und Gemütlichkeit. Dagegen ist selbst "Octahedron" hyperaktive Mucke. Der Saitenmann formuliert es im Interview so: "Wir sind Mitte, Ende vierzig und du kannst nicht immer den gleichen Scheiß machen, erwarten, dass dir ein altes T-Shirt immer noch passt." Selbstverständlich entspricht es dem Ethos der beiden, ihr Publikum mit neuen Wegen zu fordern. Sie entlohnen oft: Irgendwann bemerkt man, wie dramatisch "Blank condolences" brodelt, wie unterschwellig giftig "Equus 3" brummt. Auf der anderen Seite schälen sich allerortens hübsche Melodien heraus – jedoch nie zu offensichtlich, immer in Gefahr, den eigenen Händen sanft zu entgleiten. "The Mars Volta" funktionert daher als Pop bestenfalls bedingt, ist eher mit dem relaxten, aber distanzierten Vibe von Rodriguez-Lopez' "Clouds Hill tapes" zu vergleichen.
Die idyllischste Oase ist "Palm full of crux", die Harmoniebedürftigkeit passend zur erneuten Widmung an Jeremy Michael Ward, dessen Ableben die Band seit ihren Anfängen beschäftigt. "In a broken way / 'Til we meet again, always", haucht Bixler-Zavala zum Abschied und man wundert sich, dass dieser Kitsch auf einer The-Mars-Volta-Platte so gut funktioniert. Der 47-Jährige ist allerdings ansonsten bissig in seinen Texten. Die Kryptik der alten Alben liegt ad acta, Bixler-Zavala erzählt kaum verschlüsselt von seinen desolaten Erfahrungen mit Scientology. Sein Engagement in der Sekte hatte damals zum Bruch mit Rodriguez-Lopez geführt, in den letzten Jahren entfernte er sich jedoch von der Organisation nach eigener Erleuchtung sowie nach Vorwürfen seiner Frau, Scientology habe Ermittlungen aufgrund einer Vergewaltigungsklage behindert.
"And if you want, I can bury him / By the salt of the sea, in am empty grave" ist als Ausschnitt weitaus repräsentativer für Bixler-Zavalas Mindset auf dem Album. Oder auch: "Could he buy the world just to shield them from your truth?" – dass dieses und das vorige Zitat aus den sehr poppigen Songs "Cerulea" und "Vigil" stammen, zeigt die doppelten Böden, das Mehr hinter der Musik, welches The Mars Volta immer noch pflegen. Die Dualität steckt auch in der visuellen Begleitung der Singles, welche Rodriguez-Lopez' Geburtsland Puerto Rico in schwarzweißen Bildern in Szene setzt. Was zwar ästhetisch schön ist, sich aber wiederum mit den anderen Themen nicht so recht vermengt. Wo ist die Richtung? Und selbst wenn sich nach und nach immer mehr Songs aus dem Kokon schälen – das elektrisch zitternde "Graveyard love" etwa, oder der zwiegespaltene und wuchtig endende Closer "The requisition" –, ganz ohne Schönheitsfehler kommt The Mars Voltas jüngste Reise auch in der Musik nicht aus.
Bixler-Zavalas ernste Themen in allen Ehren, aber manche Stücke wie "Shore story" oder "Tourmaline" nehmen dazu den Weg links rein und rechts wieder raus. Viele Songs enden beinahe zwanghaft abrupt, obwohl sie sich gerade gut eingegroovt haben – das unschön nach nicht einmal zwei Minuten abgewürgte "Que Dios te maldiga mi corazon" hinterlässt in dieser Hinsicht nur Fragezeichen. Konzept oder doch Unausgereiftheit? Auch der Mix lässt die eigentlich stimmige und flotte Percussion von Willy Rodriguez seltsam pappig klingen. Ein Song wie "No case gain" schreit nach mehr Punch, den der neue Ansatz aber verwehrt und in diesem Fall für eine verpasste Chance sorgt. "The Mars Volta" mag an der Oberfläche weniger komplex wirken, ist aber im Kern ein schwieriges Kind, zumindest für die meisten, die das bisherige Œuvre der Band lieben. Bixler-Zavala und Rodriguez-Lopez stehen eben nicht still und verweigern den einfachen Weg – zumindest das hat sich in zehn Jahren nicht geändert.
Highlights
- Blacklight shine
- Blank condolences
- Palm full of crux
- The requisition
Tracklist
- Blacklight shine
- Graveyard love
- Shore story
- Blank condolences
- Vigil
- Que Dios te maldiga mi corazon
- Cerulea
- Flash burns from flashbacks
- Palm full of crux
- No case gain
- Tourmaline
- Equus 3
- Collapsible shoulders
- The requisition
Gesamtspielzeit: 44:53 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Unangemeldeter Postings: 1775 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-04-10 17:32:14 Uhr
Oh je. Jetzt hab ich mir dieses Album doch mal angehört und fand den ersten Track noch echt stark - aber danach wird es ja sehr schnell sehr mau. Shore Story, WTF. Danach noch einzelne gute Momente, aber deutlich zu viel Schmalz für mich. Und ich weiß nicht ob ich mir das einbilde, aber gibt Cedrics Stimme ggf einfach nicht mehr die Akrobatik von früher her? Der singt auf dem ganzen Album ja derart mit angezogener Handbremse dass es klingt wie vom Doktor verordnet. Ich brauche auch definitiv kein Tour de Force-MV-Album mehr und kann mit der entspannteren Stimmung und dem Latin-Sound durchaus was anfangen, aber das wird bei mir nicht mehr öfter laufen. Das neue Album kriegt morgen aber direkt die nächste Chance. |
Glufke Postings: 1126 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-02-07 12:12:05 Uhr
100% Zustimmung. Hatte es schon länger nicht mehr gehört, aber ich finde es immer noch so gut wie damals. |
juwe82 Postings: 99 Registriert seit 14.04.2020 |
2025-02-07 11:31:46 Uhr
Ein leider unterschätzen Album. Trotz anfänglicher Bedenken habe ich sie damals doch oft und gerne gehört. Wenn man die "Gabe" hat, Musik ohne Erwartungshaltung und entkoppelt von eventuellen Frühwerken, die einen begeistert haben, hört und sich darauf einlässt kann man hier viele schöne Momente finden. Stilistisch liegen hier natürlich Welten zwischen der abgefahren crazyness und dem Größenwahn, dem Tempo der ersten Alben. Grad läuft Cerulea- klar, es ist alles ruhiger, laid back und keine wilden Rhythmus oder Tempowechsel. Aber wenn der Song dann ab Minute 2:47 auf die Zielgerade geht und Omar die Gitarre aufheulen lässt, das ganze etwas mehr nach vorne geht und die Rhytmus- Sektion erwacht, nachem es zuvor eher gemütlich zur Sache ging, und Omar mit Cedric quasi im "Duett" den Song auslaufen lässt , ist das doch sehr gelungen. Einfacher, anders- aber nicht unbedingt schlechter als frühere Großtaten. Vergleichen kann man es eigentlich auch gar nicht. Und Melodien und verspielte Details gibt es auf hier und zu entdecken- sie lassen das Album dann doch unterschwellig verspielt daherkommen. Halt nicht so offensichtlich, aber es ist da. Ein sehr schönes Pop- Album und kann sicher kein "seichtes"... |
derdiedas Postings: 786 Registriert seit 07.01.2016 |
2024-01-27 13:36:13 Uhr
Veto, dann hätten wir kein Equus 3 |
hexed all Postings: 247 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-01-27 13:33:11 Uhr
Ich hoffe sie releasen eine noch kürzere Version, die nach Blacklight Shine zu Ende ist und dann können wir alle so tun, als wäre nach der Single nichts passiert. Für eine bessere Welt. |
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Referenzen
Omar Rodriguez-Lopez; El Grupo Nuevo De Omar Rodriguez-Lopez; Antemasque; At The Drive-In; De Facto; Sparta; Wild Throne; Circa Survive; Hella; Qa'a; Rush; Santana; Dream Theater; John Frusciante; Crystal Fairy; Le Butcherettes; Teri Gender Bender; King Crimson; The Fall Of Troy; The Blood Brothers; The Dillinger Escape Plan; Coheed And Cambria; 65daysofstatic; Mr. Bungle; Tomahawk; Zach Hill; King Gizzard & The Lizard Wizard; Frank Zappa
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