Locrian - New catastrophism
Profound Lore / Membran
VÖ: 12.08.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Die Schleimspur der Menschheit
Das Ende ist nah. War es schon, als Locrian 2015 mit "Infinite dissolution" einen selbst für ihre Verhältnisse äußerst groben Brocken kochendes Industriemetall in die aufgeworfene Landschaft pflanzten. Post-Rock und Ambient-Anflüge raus, stählerne Soundscapes, Black-Metal-Verwilderungen und zersplitternde Noise-Exerzitien rein. Ein dröhnendes Desaster im besten Sinne. Seitdem hat sich die Menschheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, indem sie den eigenen Lebensraum weiterhin systematisch zugrunderichtet. Was auch den von Chicago und Baltimore aus operierenden Amerikanern nicht recht sein kann, aber eine prima Steilvorlage für ihre unbeirrbar monumentalen Klanginstallationen bietet, die von jeher Bilder des Verfalls heraufbeschwören. Songs? Gibt's auf dem siebten Locrian-Longplayer so gut wie keine. Und im Grunde würden sie auch nur stören.
Wie wäre es stattdessen mit montrösen, sich immer auswegloser aufs Gemüt legenden Drones? Der Auftakt von "New catastrophism" trägt nicht von ungefähr den Titel "Mortichnia" – in der Paläontologie die Bezeichnung für die versteinerte Fährte, die ein sterbendes Tier einst auf seinem letzten Gang hinterlassen hat. Sehen wir da vielleicht irgendwelche Zusammenhänge? Wenn schon nicht in diesem beständig morphenden Opener, in dem Terence Hannums Electronics und André Foisys zerspante Gitarre im Zeitraffer um die Wette schmurgeln? Kein übles Motiv, um zehn Minuten lang die endlose Schleimspur zu illustrieren, die der Mensch fortwährend auf dem Planeten hinterlässt. Zum Weiterhören in diesem Sinne sei die parallel erschienene halbstündige EP "Ghost frontiers" empfohlen – hier haben wir es hingegen mit einer Rock-Platte zu tun.
Derartiges will uns "New catastrophism" zumindest ab "The glare is everywhere and nowhere our shadow" weismachen, das sich nicht einmal bis zur Hälfte im Zaum zu halten vermag. Bald fallen entfesselte Schreie aus einer der hintersten Studioecken und Steven Hess' umbarmherziges Schlagzeug ein, bis der Drummer zum Schluss ein gewaltiges Tribal-Stakkato paukt und sein Bestes tut, die zerklüfteten Lärmwände in der gesättigten Luft zu zerreißen. Dann plötzlich Stille – und ein nach diesem Getöse ziemlich unerwarteter, aber atmosphärisch hochverdichteter Rückbau, wenn "Incomplete map of voids" das nächste heruntergestimmte Geräuschmassiv mit einem feinsinnig gespielten, präzisen Lick auflöst. Ein tosendes Death-Industrial-Finale sitzt natürlich auch hier drin – vielleicht das formvollendetste Teilstück einer Sinfonie für den Untergang.
"Charme" ist also nicht der Begriff, der sich hier am ehesten aufdrängt. Und dennoch hat es ebendiesen, dass Locrian den Closer "Cenotaph to the final glacier" mit einer naturbelassenen Akustikgitarre eröffnen und so tatsächlich eine Art fragile Folk-Dimension in ihren ansonsten bohrend konsequenten Mahnpark der Verwüstung einführen. Klar, dass sich am Ende auch dort Risse zeigen: Clicks & Cuts verschieben die staubtrockenen Riffs zusehends auf eine Ebene unbehaglichen Electronic Listenings, ein ohrenscheinlich leicht schadhafter Bass-Synthie wobbelt störrisch vor sich hin und hält erst spät die Füße still, während sich "New catastrophism" allmählich aufzulösen beginnt. Ein Schicksal, das dieses Album mit Erde und Menschheit teilt. Her mit den kleinen Apokalypsen? Locrian machen's in beeindruckenden 35 Minuten nicht unter der ganz großen.
Highlights
- Incomplete map of voids
Tracklist
- Mortichnia
- The glare is everywhere and nowhere our shadow
- Incomplete map of voids
- Cenotaph to the final glacier
Gesamtspielzeit: 35:00 min.
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