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Silversun Pickups - Physical thrills

Silversun Pickups- Physical thrills

New Machine / ADA / Warner
VÖ: 19.08.2022

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Ein später Sprung

Wie gut können Rock-Bands altern? Stolze 22 Jahre sind seit Gründung von Silversun Pickups im Jahr 2000 vergangen, doch wirklich erwachsen wirkten sie noch nie. Dafür waren die Lyrics mitunter etwas zu melodramatisch-kitschig und der Sound manchmal etwas aus der Zeit gefallen. Sowas muss nicht zwangsläufig schlecht sein, aber das Quartett aus Los Angeles kämpft schon länger mit einer gewissen musikalischen Unbeständigkeit, auch qualitativ. Das ist dem sechsten Album ebenfalls anzumerken, "SSPU" experimentieren ausgelassener denn je mit Shoegaze und kombinieren abermals markanten Alternative-Rock liebestrunken mit Dream-Pop-Elementen, bei denen ja noch nie beim Synth-Einsatz gespart wurde. Wer böswilig ist, könnte jetzt Stagnation oder fehlende Weiterentwicklung beklagen, doch so einfach macht "Physical thrills" es den Kritkerinnen und Kritikern nicht. Inspiriert von Musicals, Horrorfilmen und Seemannsmusik, entstand während der Pandemie eine bemerkbare Aufbruchsstimmung um Sänger Brian Aubert, der jedoch auch Einsamkeit und Isolation textlich verarbeitet. Produzent Butch Vig gelingen vom ersten bis zum letzten Song fließende, gediegene Übergänge, während Keyboarder Joe Lester verstärkt am Songwriting beteiligt war. Christopher Guanlao bekommt an den Drums mehr Spielraum, und Co-Sängerin Nikki Monninger, normalerweise eher für Background-Vocals zuständig, tritt mit längeren Parts mutig in den Vordergrund. Silversun Pickups kommen mehr aus sich heraus, reicht das auch für eine Qualitätssteigerung?

Teils, teils, denn von 14 Tracks sind einige erstaunlich gelungen, manche wiederum erinnern an altbekannte Macken. Der Opener, "Stillness (Way beyond)", ist ein gutes Beispiel für jene manchmal anstrengenden Marotten. Verträumte Gitarren, die alsbald von verzerrten Synths und schwermütigem Gesang über ach so unergründlich tiefe Liebe abgelöst werden, das übliche Programm eben. Die nach Shoegaze schreiende Hook beinhaltet keine Lyrics, sondern besteht lediglich aus brachialen E-Gitarren-Loops und noch gröberen Vokalisen. Und das bleibt leider nicht die Ausnahme, denn das zwar etwas bessere "We won't come out" wirkt ähnlich ungünstig strukturiert, nur dass hier ein Piano eröffnet und der Hook-Text wenigstens aus dem Titel besteht. Trotzdem gibt es erneut zu plötzliche Stilwechsel, die Gitarren-Einschübe verstehen sich nicht so richtig mit den Shoegaze-Elementen, schade drum. Ebenso wenig gelingt die Feinabstimmung bei "Hidden moon", das mit den zu rauen Gitarren und kaum noch wahrnehmbaren Lyrics wohl cooler sein soll, als es eigentlicht leider ist. Dass sie es doch können, beweist "Stay down (Way down)", hier funktionieren die Gitarren hervorragend, und das Duett zwischen Aubert und Monninger hat durchaus was, hier sind höchstens die inhaltsleer wirkenden sowie repetitiven Lyrics zu kritisieren. Daneben gibt es unauffällige, dafür aber relativ eingängige Pop-Rock-Balladen wie "Empty nest" (dessen liebloser Schlussteil größtes Manko ist) und "Alone on a hill", wo der Refrain fast schon zu heiter für die bittersüß-melancholische Stimmung erscheint. Aubert bezeichnet diese Songs als sogenannte "Dream Shanties".

Insgesamt aber es gibt auf diesem Werk mehr Lichtblicke als Enttäuschungen. "Scared together" war mit seinen mit dominanten Gitarren und beeindruckenden Drum-Tempowechseln das genau richtige Ausrufezeichen für die erste Single- und Video-Auskopplung. Die Strophen von "Sticks and stones" erinnern an Placebo zu besten Zeiten, Aubert demonstriert allen, die es vergessen haben könnten, dass er nach wie vor ein begabter Sänger ist, und auch wenn mit der Hook etwas an Spannung verloren geht, erhalten wir einen fantastischen Song. Dem ähnlich klingt "System error", wo die Gitarre den Lead-Gesang punktgenau begleitet und eine der besten Hooks der Platte geboten wird, nicht zuletzt dank der angenehmen Background-Vocals. Mit "Quicksand", was als gefühlter Closer vor dem eigentlichen dient, gehen die Experimente plötzlich allesamt auf. Die Shoegaze-Elemente sind on point, der zarte Gesang angenehm clean, und obendrein gibt es angemessenen Einsatz von Synth und Bass – alles, was vorher daneben ging, ist mit einem Mal überwunden.

Bei den Skits, die ihren Zweck größtenteils gut erfüllen, wird Bezug zum bis heute größten Werk der Band genommen, dem Debüt-Album "Carnavas". Damals, 2006/2007, war "Dream at tempo 119" eine abenteuerhungrige Alternative-Hymne für junge Indie-Fans, heute ist "Dream with tempo 50" ein kurzes Post-Rock-Stück für den Übergang zur ersten Video-Single und die Tempo-310-Version ein flotteres Shoegaze-Experiment voller Karacho auf nicht mal anderthalb Minuten. "Dream with tempo 150" wiederum besteht aus einigen kurzen Piano-Anschlägen, als Closer ist es so kurz, dass man es gerne auch an "Quicksand" hätte dranhgängen können. Umso besser passt aber die namentliche Referenz zu alten Zeiten, denn den Kaliforniern ist mit "Physical thrills" ein lange überfälliger Sprung nach vorne gelungen, sie sind vielleicht zum ersten Mal überhaupt gut gealtert. Es ist bei Weitem kein perfektes Werk, soll es auch gar nicht, aber zumindest kann endlich an jene goldene Anfangszeit angeknüpft werden, ohne dass Silversun Pickups sich dabei mit Experimenten zu sehr verzetteln, im Pathos ersticken oder Altbekanntes zu offensichtlich neu aufwärmen. Eine gelungene musikalische Reifeprüfung und Weiterentwicklung, bei der die Band zwar auch ihren Schwächen, mehr jedoch ihren Stärken treu geblieben ist. Eingefleischte Fans werden hiermit viel Freude haben, auf alle anderen wartet eine interessante Platte, mit der die vermeintlich ewige Jugend von Silversun Pickups endgültig beendet scheint.

(Maximilian Baran)

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Highlights

  • Sticks and stones
  • System error
  • Quicksand

Tracklist

  1. Stillness (Way beyond)
  2. Sticks and stones
  3. Hereafter (Way after)
  4. Dream at tempo 050
  5. Scared together
  6. Alone on a hill
  7. Hidden moon
  8. System error
  9. Empty nest
  10. Dream at tempo 130
  11. We won't come out
  12. Stay down (Way down)
  13. Quicksand
  14. Dream at tempo 150

Gesamtspielzeit: 52:49 min.

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User Beitrag

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2022-09-05 10:14:35 Uhr
"Alone on a hill" ist einer der Songs des Jahres, finde ich.

jo

Postings: 5658

Registriert seit 13.06.2013

2022-09-05 09:42:17 Uhr
Hab's immer noch nicht gehört. Vielleicht schaffe ich es heute später.

oldschool

Postings: 591

Registriert seit 27.04.2015

2022-09-02 13:14:28 Uhr
meine Begeisterung hälts sich auch in Grenzen. Irgendwie ist nun etwas die Luft raus. Eigentlich schon länger, vielleicht wollte ich es auch nur nicht wahr,da auf jedem Album immer einige gute Songs waren. Aber langsam wirkts etwas abgekaut

didz

Postings: 1982

Registriert seit 29.06.2017

2022-08-28 12:35:34 Uhr
hm, 'better nature' schien nur ein kurzzeitiges hoch zu sein. mit 'widows weeds' und auch mit dieser werd ich leider einfach nich warm.
die erste hälfte zieht sich ungemein, generell sind die meisten songs mindestens eine minute zu lang.
da plätschert viel vor sich hin, mit ständigen wiederholungen, ohne das es spannungsmomenre gibt.
diese gesangslinie aus 'system error' hat man gefühlt hundertfach in verschiedensten ausführungen von ihnen gehört.

'alone on a hill', 'hidden moon' und 'we won't come out' sind richtig toll, der rest is klauen bei sich selbst und hat keine frischen ideen.

5/10

smrr

Postings: 429

Registriert seit 02.09.2019

2022-08-21 00:50:07 Uhr
"Empty Nest" ist mit Abstand für mich der beste Song der Platte (nice Ratatat-Vibes). Aber Wertung passt dennoch. Freue mich dennoch, dass diese Band noch existiert. Debüt war damals für mich eigentlich der Start für eine internationale Mega-Karriere. Dass es anders gekommen ist, wissen wir alle. Dennoch weiterhin ne gute Truppe (emotional an mir näher dran als Manchester Orchestra, wobei die einfach die besseren Songs schreiben ;-))
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