Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


King Princess - Hold on baby

King Princess- Hold on baby

Zelig / Sony
VÖ: 29.07.2022

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Klippensprung ins Grenzenlose

Will man die Musik von King Princess mit einem einzigen Adjektiv beschreiben, gibt es im Grunde nur eine passende Option: fluid. Ansätze aus kommerziellem Pop, Indie und klassischer Singer-Songwriter-Musik fließen so selbstverständlich zu einem kohärenten Ganzen zusammen, als hätten sie sich nie entgegengestanden. Das passt natürlich auch zur Person und Persona von Mikaela Straus, die sich selbst als non-binär – wenn auch unbehelligt von Pronomen – bezeichnet, und mit ihrer Queerness weder in Visuals noch Texten hinterm Berg hält. Doch trotz der Zeitgeist-Passfähigkeit dieser Umstände und der Mithilfe namhafter Indie-Mainstream-Alchemisten wie Aaron Dessner und Label-Chef Mark Ronson wirkt Straus nie wie ein fremdgesteuertes, inszeniertes Produkt. Dafür zieht sie schon seit ihrer viral gegangenen Single "1950" zu konsequent ihr Ding durch, dafür kommt ihr ganzer Vortrag zu aufrichtig chaotisch rüber. Ihr zweites Album "Hold on baby" dokumentiert das Innenleben eines von starren Identitätskonstruktionen gelösten Menschen, der seinen teils widersprüchlichen Gefühlen Sinn zu verleihen versucht und dafür einen ähnlich verschwommenen klanglichen Ausdruck findet.

Im Opener "I hate myself, I want to party" verläuft die Entwicklung noch linear. Zunächst murmelt sich die Erzählerin in einen depressiven Sumpf aus Nichtstun und einsamem Alkoholkonsum, ehe sie "I don't want to live like that!" aus sich herausschreit – und auch das leise brodelnde, von Streichern untermalte Instrumental explodiert. "Cursed" verflucht die Zweisamkeit jedoch gleich wieder, zieht dabei eine aus dem Nuller-Indie-Rock verirrte Gitarre über eine zuckrige Hook bis zur angesägten Bridge. Drei Songs später heißt es dann doch "For my friends" in einer Power-Ballade aus flehendem Elektropop. Ein emotionales Hickhack, das in seiner unverfrorenen Darstellung Straus so sympathisch macht. Spätestens, wenn das von überzeichneten Synth-Western-Sounds eingeleitete "Too bad" in der Hook "My god is it hard to be loved" deklariert, wünscht man ihr einfach nur eine feste Umarmung.

Musikalisch geht es auf ähnliche Weise hin und her. "Winter is hopeful" gießt sich in warmes R'n'B-Wachs, um eine direkt an Straus' Partnerin Quinn gerichtete Liebeserklärung auszusprechen. Direkt im Anschluss nimmt "Little bother" gemeinsam mit der ebenso wandelbaren Sängerin Fousheé ein ungleich kinetischeres Momentum auf, neigt sich als melancholisch dringlicher Emo-Pop wieder mehr ins Indie-Gewässer. Dessners Einfluss zeigt sich indes am deutlichsten in "Crowbar", das als feingliedriges Piano-Stück zu einem Saxofon-unterstützten Crescendo anschwillt, sowie in "Change the locks" – eine an Taylor Swifts Dessner-Kollaborationen erinnernde Herzschmerz-Hymne mit gedämpften Bläsern und verzweifelter Refrain-Wucht: "I guess it's over / 'Cause I'm hardly sober anymore." Müßig zu erwähnen, dass sich die flexible Stimme der 23-Jährigen in jedem Kontext wohlfühlt, auch wenn man sich gerade gesanglich manchmal etwas schärfere Konturen auf diesem Album der nicht vorhandenen Trennlinien gewünscht hätte.

Das ist Meckern auf hohem Niveau, versteht sich, zumal sich Straus' Lyrics nicht vor klaren Ansagen scheuen. Das förmlich nach einem Club-Remix schreiende "Dotted lines" giftet etwa gegen Industrie-Mechanismen, die junge Musikerinnen früh einspannen und an ihrer nicht nur künstlerischen Selbstfindung hindern: "I'm so much younger than I pretend / I got a lot in my head / But they don't care 'cause it's better when I don't speak." Mit diesem Statement endet "Hold on baby" allerdings nicht, schiebt noch das zwischen Zärtlichkeit und zerhackter Verzerrung pendelnde "Sex shop" hinterher und schließt dann mit "Let us die": ein vom verstorbenen Taylor Hawkins angetriebenes Stück unbeschwerten Pop-Rocks, das sich einen Spaß daraus macht, comichafte Doppelsuizid-Szenarien für sich und die geliebte Person aufzuzählen. "Thelma & Louise"-Fans können sich nicht nur über das Bild des über eine Klippe schießenden Autos, sondern auch darüber freuen, dass der Track genauso wie der Film einen abrupten, in der Luft schwebenden Abschluss findet. Hier ein weiterer Spoiler: Es wird nicht das letzte sein, was wir von King Princess hören.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • I hate myself, I want to party
  • Too bad
  • Change the locks

Tracklist

  1. I hate myself, I want to party
  2. Cursed
  3. Winter is hopeful
  4. Little bother (feat. Fousheé)
  5. For my friends
  6. Crowbar
  7. Hold on baby interlude
  8. Too bad
  9. Change the locks
  10. Dotted lines
  11. Sex shop
  12. Let us die

Gesamtspielzeit: 40:39 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Grizzly Adams

Postings: 4112

Registriert seit 22.08.2019

2022-08-12 16:56:21 Uhr
Geht nett ins Ohr. Referenzen sind schon Lorde, die derzeitige Taylor Swift, evtl auch ein bisschen Billie Eilish. Von den genannten fällt mir mindestens ein Album, welches ich höher bewerten würde, aber ne 6-7/10 kann man für diesen Output schon geben.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 25235

Registriert seit 08.01.2012

2022-08-05 20:02:16 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?
Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify