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Black Midi - Hellfire

Black Midi- Hellfire

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 15.07.2022

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Das ist Wahnsinn

"Kein Hahn kräht nach dem Genre. Alle schlechten Romane gleichen einander, jeder große Roman ist auf seine eigene Weise groß." Das sagt der Literaturwissenschaftler Michael Maar, wenn man ihn mit der elendigen Frage nach dem G-Wort belästigt. Anwendbar sicher auch auf die Musik, bei der man den Stempel hoher Kunst stets sofort auspacken will, sobald stilistische Schubladen in zersprengten Holzsplitterchen auf dem Boden liegen – wie etwa bei Black Midi. Die Londoner Band operiert jedoch weniger unter dem Motto "sui generis" als "der ganze Scheiß auf einmal". So wie diese kreativ überschäumende Maschine gleichberechtigte Cover-Versionen von King Crimson, Taylor Swift und Weihnachtsliedern ausspuckt, gibt es auch auf ihrem dritten Album "Hellfire" inmitten des Post-alles-Jazz-Prog-Punk-Infernos Momente wie "The defence": drei Minuten ungebrochener Wohlklang, in denen Dämonenbändiger Geordie Greep den Geist Sinatras inhaliert und sich an erhabenen Big-Band-Wasserfontänen vorbeicroont. Vielleicht sogar was für Mama Conrads?

Tatsächlich gönnen Black Midi uns und sich selbst solche Verschnaufpausen öfter als gewohnt, als hätten sie den Kampf um die Gunst weniger gelenkiger Gehörgänge noch lange nicht aufgegeben. "Hellfire" schafft das Kunststück, gleichzeitig üppiger und aufgeräumter als sein Vorgänger "Cavalcade" zu klingen. Gemeinsam mit einem Heer von Studio-Gärtner*innen pflanzt das Trio einen besonders wild wuchernden Instrumenten-Dschungel, dem Produzentin Marta Salogni aber genug Luftlöcher schneidet, um darin frei atmen zu können. "The sporting event of the year", kündigt "Sugar/Tzu" an, bevor der Track zunächst ganz unathletische Sanftmut beschwört. Freilich dauert es nicht lange, ehe Drummer Morgan Simpson – sehr wahrscheinlich der Jazz hörende Bruder des Trommel-Oktopus von The Armed – schließlich doch in Überschallgeschwindigkeit loslegt, während sich Greep verzweifelt an sein Grand Piano klammert. Es klingt ein bisschen so, als würde Father John Misty vor einem Bienenschwarm weglaufen.

Weniger Las-Vegas-Casino-Flair vermittelt die Lead-Single "Welcome to hell", die ihr angepisstes Riff durch Dreckpfützen aus Post-Punk und Metal wälzt und sich nur von vereinzelten Bläser-Remplern unterbrechen lässt. Damit sein Kollege bei all der Akrobatik nicht an seinen endlosen Wortschwallen erstickt, tritt zuweilen auch Bassist Cameron Pickton ans Mikro: erst im halbakustischen Zitteraal-Bolero "Eat men eat", dann in "Still", dem vielleicht bemerkenswertesten Song der Platte. Die Slide-Gitarren und Western-Trompeten behalten trotz der obligatorischen Tempowechsel den Cowboyhut auf dem Kopf, bis die zärtlich gezupfte, schlicht wunderschöne zweite Hälfte endgültig beweist, dass Black Midi auch als Alternative-Folk-Band besser als alle anderen wären. Wie immer passiert unmenschlich viel auf "Hellfire", doch hat man mehr als sonst das Gefühl, auch in den leergeräumten Momenten die ganze Klasse dieses so virtuosen Dreiers zu bestaunen. Das gilt nicht zuletzt für den klanggewordenen Erdrutsch "The race is about to begin", der in den letzten drei seiner sieben Minuten nur noch einsam den Sternenhimmel anheult.

Mit solchen abstrakt-reduzierten Nachttänzen könnten sich die Briten auch als Nachfolger von Grizzly Bear bewerben, zumal Greep manchmal eh wie ein Daniel Rossen mit zusammengeklebten Zahnreihen klingt. Wenn er am Ende dann in beschwipster Showman-Manier zu verspieltem Orchester seine "27 questions" vorträgt, bevor alle dissonant von der Bühne fallen, verfestigt sich der Eindruck ratlos machender, aber unvergleichlich fesselnder Faszination. Man weiß beim Ausklingen von "Hellfire" mal wieder nicht so recht, was man da gerade überhaupt gehört hat, und vielleicht wissen es Black Midi selbst nicht so genau. Doch auch in ihrer vermeintlichen Findungsphase spielt die immer noch so blutjunge Band in Sachen Inspiration, Wahnwitz und Eigenartigkeit in ihrer eigenen Liga. Und wer nach den knapp 40 Minuten den Vorhang am liebsten gleich wieder hochziehen würde, bekommt von Greep in einem "Uncut"-Interview die Erleichterung: "Once this album is out, time permitting, we'll look to record another one straight away." Willkommen im Himmel.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Sugar/Tzu
  • Welcome to hell
  • Still
  • The race is about to begin

Tracklist

  1. Hellfire
  2. Sugar/Tzu
  3. Eat men eat
  4. Welcome to hell
  5. Still
  6. Half time
  7. The race is about to begin
  8. Dangerous liaisons
  9. The defence
  10. 27 questions

Gesamtspielzeit: 39:00 min.

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