Petrol Girls - Baby
Hassle / Cargo
VÖ: 24.06.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Die Abreibung
Denkt denn niemand an die Kinder? Ein Satz, den man von besorgten Konservativen und christlichen Fundamentalisten in den USA eher selten hört, wenn nach dem neuerlichen Schulmassaker, das wieder einmal Dutzende Minderjährige mit dem Leben bezahlt haben, strengere Waffengesetzte gefordert werden. Wenn es aber darum geht, Frauen das Recht auf ihren eigenen Körper zu versagen, lautet die Parole plötzlich "pro life". Und die jahrelange Propaganda wirkt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Supreme Court die wegweisende Grundsatzentscheidung Roe v. Wade aus dem Jahr 1973, wonach das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch durch die Verfassung geschützt ist, demnächst kippen wird. In freudiger Erwartung dieses Tages haben einige konservativ regierte Bundesstaaten ihre Abtreibungsgesetze bereits vorsorglich verschärft. Dass es in anderen Teilen der Welt, auch mancherorts in Europa, nicht besser aussieht, ist Teil der traurigen Wahrheit. Keine guten Zeiten also, daran dürften kaum Zweifel bestehen. Aber vielleicht genau die richtigen Zeiten, um ein Album "Baby" zu nennen – und einen Song darauf "Baby, I had an abortion".
Petrol Girls machen laut eigner Aussage "raging feminist Post-Hardcore". Diese Selbstbezeichnung trifft es ziemlich gut. "Baby" ist der dritte Longplayer der britischen Formation, zu der aktuell neben Sängerin Ren Aldridge noch Joe York an der Gitarre, Schlagzeuger Zock Astpai und Bassistin Robin Gatt von der Band Personal Best zählen. Die zehn Songs (das kurze Vorgeplänkel "Scraps" einmal außen vor gelassen) gönnen sich kaum eine Atempause und gehen, mit Verlaub, direkt in die Fresse. Abwechslungsreich sind sie obendrein, etwa mit Einflüssen aus Industrial oder wenn Rap-Parts sich einschleichen. A propos Fresse: Man kann sich beim Hören förmlich vorstellen, mit welchem Gesichtsausdruck Aldrigde ihre vor Sarkasmus triefenden Texte ins Mic presst. Vor allem Doppelmoral und Heuchelei bieten für diese eine dankbare, aber auch berechtigte Zielscheibe. "There's a lot of preachers here / But I don't see no saints", heißt es beispielsweise zu Beginn von "Preachers", das mit seinem galoppierenden Gitarrenriff, den hektischen Percussions und einem so brachialen wie eingängigen Refrain gleich mal ein erstes Ausrufezeichen setzt. Warum höflich anklopfen und dann eintreten, wenn man die Tür auch einfach eintreten kann?
"Baby" prangert Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit an, nimmt Kapitalismus, Rassismus und Polizeigewalt ins Visier. Das Themenspektrum ist bekannt, die textlichen Ausdrucksformen variieren aber stärker als noch auf den beiden Vorgängern. Zu dem schon erwähnten Sarkasmus gesellen sich kämpferische Parolen und Slogans. Und "Fight for our lives", das Aldrigde zusammen mit der Aktivistin Janey Starling geschrieben hat und das anlässlich des Weltfrauentags als Vorab-Single erschien, gewinnt in den Strophen gar den Charakter eines politischen Manifests. Doch auch musikalisch hat der Vierer einen beachtlichen Schritt nach vorn gemacht. Im Zusammenspiel mit den vertrackten Rhythmen und einem Sound, der zwischen Härte und Schärfe situationsgemäß gefühlt immer die richtige Entscheidung trifft, gewinnt die eindringliche Message so erst richtig an Explosivität. Feuer und Flamme fürs Patriarchat – aber schließlich haben Petrol Girls den Brandbeschleuniger ja schon im Namen.
Highlights
- Preachers
- Baby, I had an abortion
- Fight for our lives
Tracklist
- Scraps
- Preachers
- Feed my fire
- Baby, I had an abortion
- Clowns
- Unsettle
- Fight for our lives
- Violent by design
- One or the other
- Sick & tired
- Bones
Gesamtspielzeit: 34:04 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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nörtz User und News-Scout Postings: 14787 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-07-25 21:04:43 Uhr
Scheint hier aber quasi keinen zu interessieren! :D |
pounzer Postings: 374 Registriert seit 24.08.2019 |
2022-07-25 04:15:36 Uhr
Das ist unglaublich gut. Hatte den ersten Durchlauf noch nicht fertig und bereits die Vinyl und ne Konzertkarte bestellt. |
nörtz User und News-Scout Postings: 14787 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-06-30 12:30:04 Uhr
Das kann man so gut durchhören wie letztes Jahr Turnstile. Kein einziger Ausfall, tolle Riffs, Melodien, Refrains und schöner Laut-Leise-Krach incl. mehrerer Hymnen. Ne 8 hätte man geben MÜSSEN! Locker Jahres-Top-10 bei mir. |
nörtz User und News-Scout Postings: 14787 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-06-29 23:21:05 Uhr
Herrlicher Krach! Insbesondere "Feed My Fire"... |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27364 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-06-24 11:43:39 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
War On Women; Team Dresch; Bikini Kill; Against Me!; Strike Anywhere; Bad Religion; Personal Best; Rise Against; Rauchen; The Lawrence Arms; Sharptooth; Every Time I Die; Refused; Deutsche Laichen; Savages; H2O; Dream Nails; Off With Their Heads; Propagandhi; Peach Club; Gender Roles; Comeback Kid; Shit Present; Defeater; Heavy Lungs; Viagra Boys; Anti-Flag; Dead To Me; Modern Life Is War; Todeskommando Atomsturm; The Bronx; Idles; Mannequin Pussy; Stick To Your Guns; The Distillers; Hüsker Dü; Walls Of Jericho; Frank Carter & The Rattlesnakes; Cultdreams; Pears; Leftöver Crack; Dillinger Four; McLusky; Cassels; Gallows; Blood For Blood; Wisdom In Chains; Converge; Shellac; Torres; Hot Water Music; Sick Of It All; A Wilhelm Scream; Cancer Bats; Boysetsfire; Pennywise; Touché Amoré; Fugazi; Ake Kid Joe; Talking Heads
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- Petrol Girls - Baby (5 Beiträge / Letzter am 25.07.2022 - 21:04 Uhr)