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Martin Courtney - Magic sign

Martin Courtney- Magic sign

Domino / GoodToGo
VÖ: 24.06.2022

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

New Jersey im Bernstein

Erinnerungen kann man auf unterschiedliche Weise begegnen. Da gibt es solche, die in der permanenten Spannung zur Gegenwart gehalten werden, sich fortwährend verändern und aktualisieren, ihre Verarbeitung beständig weiter aufschieben. Martin Courtney wählt einen anderen Zugang. Schon seit den frühen Tagen seiner Hauptband Real Estate habe er über "die guten alten Zeiten gesungen" – die damals vielleicht zwei oder drei Jahre zurück lagen, wie er scherzend ergänzt – im Versuch, Bilder zu fixieren, verlorene Orte wieder besuchen und erfahren zu können, wie sie sich damals gezeigt haben. Es ist diese Art Bernsteinpoetik, die der inzwischen 36-Jährige seitdem mit immer ähnlichen Mitteln umspielt, als wollte er mit jedem weiteren feingliedrigen Indie-Pop-Juwel die Konturen seiner Jugend retrospektiv schärfen. "Magic sign", Courtneys zweites Soloalbum, macht da keine Ausnahme: Schon der Titel verweist auf die klang- und verheißungsvollen Namen, die eine Gruppe von Teenagern auf den Straßenschildern New Jerseys liest. Das mag man alles als verklärenden Innerlichkeitsfetisch abtun können. Fakt ist aber auch, dass kaum jemand mit solcher Finesse und Konsequenz der Nostalgie ein musikalisches Gewand schneidern kann.

Exponat Nummer eins: die erste Single "Corncob". Schon der Einstieg über Akustik- und Slidegitarre, die von verträumten Basslinien und an ein Cembalo erinnernden Synthies gebettet werden, entwickelt eine bemerkenswerte evokative Kraft, führt zurück in die Straßen der Jugend. Später entrückt das Outro-Solo sanft in psychedelische Gefilde. "What's his name, you can't remember / It's on the tip of your tongue", fragt Courtney und weist doch über das Persönliche hinaus, wenn er nach den verborgenen Stellen im unmittelbaren Umfeld des eigenen Zuhauses sucht. Ohnehin gehen die Texte, die ebenfalls selten aufdringlich und spektakulär daherkommen, eine beinahe symbiotische Beziehung zu Courtneys Kompositionen ein, umschiffen Klischees und offenbaren auf den zweiten Blick manche profunde Einsicht.

So schwelgen auch die folgenden Songs immer wieder in Anekdoten, die sich in ihren jeweiligen ersten Zeilen bereits Bahn brechen wollen: "Sweet painful memory" – "Seen this place before" – "In the basement of my mind / I'm on a bike in 1999." Einzig der durch Sepia gefilterte Punk von "Sailboat" erhöht dabei das Tempo etwas, wobei Courtneys Harmonien mit sich selbst ein wenig an den poppigeren Elliott Smith gemahnen. Ansonsten dominiert nachdenklicher Midtempo-Indie, der aber immer wieder kleinere Verschiebungen zulässt. "Outcome" setzt ein mit angejazzten Steely-Dan-Akkorden, "Shoes" umhüllt seine janglenden Gitarren mit sphärischen Flächen, während Courtney – den Fallstricken der Wehmut bewusst – die Vergangenheit im Akt des Heraufbeschwörens bröckeln lässt: "In vacant lots with dusty shoes, we found things to do / There's nothing there at all."

Besonders in seiner zweiten Hälfte entwickelt "Magic sign" einen beinahe tranceähnlichen Sog, indem seine Songs mutwillig ineinanderfließen, sich kaum noch voneinander abgrenzen wollen – sei es in den eleganten Licks von "Merlin" oder dem Instrumental "Mulch", das der Melancholie vielleicht etwas stärker frönt als seine Nachbarn. "Living room" beschreibt die Vergangenheitskonfrontation dann einmal aus dem seltenen Jetzt, wobei sich der Eindruck verdichtet, dass die Nostalgie für Courtney eine omnipräsente Empfindung beschreibt, sich gar schon auf die Gegenwart richten kann. Auf die Dauer mag das mitunter eintönig wirken und dazu führen, dass man seine Bilder sinnierenden Blickes allzu beiläufig passieren lässt. Sie machen es fast zu einfach. Doch wenn "Terrestrial" ein so stilsicheres und dezentes Mellotron verbirgt – seit "Strawberry fields forever" das Instrument schlierenziehender Erinnerung schlechthin – und "Exit music" den optimistischen Ausblick wagt, ergreift Courtneys Rekonstruktion auf tieferer Ebene. Wohl dem, der dankbar für seine Vergangenheit sein kann – und das auch erkennt.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Corncob
  • Sailboat
  • Terrestrial

Tracklist

  1. Corncob
  2. Outcome
  3. Sailboat
  4. Shoes
  5. Time to go
  6. Merlin
  7. Living rooms
  8. Mulch
  9. Terrestrial
  10. Exit music

Gesamtspielzeit: 36:42 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

jo

Postings: 6345

Registriert seit 13.06.2013

2022-06-24 21:02:48 Uhr
Meine Meinung: 7/10 waren fast schon reserviert :).

Aber ich stimme der Rezi in sehr vielen Punkten zu - gerade das Verb "schwelgen" passt einfach zu Courtneys Songs ;).

Mein Favorit ist übrigens "Sailboat". Immer, wenn Courtney etwas mehr schrammelt, ist das richtig toll.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27328

Registriert seit 08.01.2012

2022-06-24 11:36:18 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

jo

Postings: 6345

Registriert seit 13.06.2013

2022-06-22 21:23:59 Uhr
Heute kam das Album bei mir an und ich finde es wieder klasse.

Courtney durch und durch und dennoch schafft er es immer, durch seine Musik und Wörter zu versöhnen - und ab und an seinen Songs neue Facetten zu entlocken.

Sehr schön!
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