Hercules & Love Affair - In amber
Skint / BMG / Warner
VÖ: 17.06.2022
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Düsteres Juwel
Obwohl Hercules & Love Affair eigentlich nur aus Andy Butler als einzigem festen Mitglied bestehen und nie wirklich weg waren, kann man bei "In amber" doch von einem Comeback der besonderen Art sprechen. Erstmals seit dem Debüt von 2008 arbeitet Butler nun wieder mit der Sängerin Anohni zusammen. Wie wichtig diese Konstellation sein kann, zeigte sich im zeitlosen Übersong "Blind" vom selbstbetitelten Erstling. Komplett aus der Zeit gefallen präsentiert sich nun auch "In amber". War der Sound von Hercules & Love Affair bislang vor allem von tanzflächengeeignetem elektronischem Schönklang geprägt, sind es nun völlig andere Einflüsse, die laut Butler selbst den Grundtenor von "In amber" bestimmen. Er huldigt hierbei seinen großen Idolen der härteren und experimentellen Sorte wie Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire, Dead Can Dance, Cocteau Twins, Killing Joke, Fear Of God, Bolt Thrower oder Godflesh. Passend fokussieren sich die Lyrics nun oft sehr auf Verlust, Wut, aber auch auf die Suche nach innerem und äußerem Frieden.
Schon der erste Vorbote bricht mit den Hörkonventionen im Hause Butler: "Grace" könnte auch im Soundkosmos von The National entstanden sein. Eine wundervolle, verspielte Klaviermelodie durchzieht die Ballade, begleitet von den Backing-Vocals der Isländerin Elin Ey und träumerischen Keyboard-Sounds. Ein Einstieg zum Schwelgen, das jedoch nicht lange anhält. Schon poltert "One" stumpf voran, nun mit dem ersten Einsatz von Anohni. Unter einem dunklen, groovenden Beat zeigt sich hier Butlers Hand für Eskapismus und Experiment. Nur Sekunden nach diesem schrägen, äußerst beweglichen Stück, in dem Anohni immer wieder "No more dying" einfordert, bricht "You've won this war" mit jeglicher aktiven Stimmung. Nahezu kompletter Stillstand, eine depressiv-düstere Atmosphäre in barockem Soundkleid samt Cembalo-Akkorden. Ein stimmlich abgehobener Butler schwebt über den Lyrics, die davon künden, durch Rückzug einen Sieg erzielt zu haben, wenngleich der Grundtenor durchweg nach Niederlage klingt. Ein heftiges, trauriges Denkmal von einem Song, binnen Sekunden jäh und laut eingerissen von "Christian prayer", das grob an "Machine gun" von Portishead erinnert: lautes Industrial-Geschredder, intensiv und brachial. Darüber thront Anohnis exaltierte Stimme, die mit einem "No more Christian tears"-Abgesang für einstürzende Kirchtürme sorgt. Was in diesen drei Songs an Wut, Trauer und Beklemmung aufgefahren und verarbeitet wird, sorgt in Verdichtung für so manchen erkalteten Gänsehautmoment.
Mit "Dissociation" lockert sich zumindest das Soundbild wieder etwas auf. Dank der sanften weiblichen Lyrics bietet sich die Ballade vor allem als kurzer Ruhepol an. In "Contempt for you" übernimmt erneut Anohni das Zepter, bekommt dazu schlurfende Störgeräusche serviert, während sich um sie herum immer weitere Noise-Aufbauten sammeln. Nach dem hölzern-schiefen "Killing his family", das die meiste Zeit passiv-aggressiv vor sich hin wummert, schließt "Who will save us now?" atmosphärisch an "You've won this war" an. Schwere, langsame Streicher, verhaltenes elektronisches Flackern, am Leben gehalten wiederum nur von diesen dumpfen Drum-Schlägen, die "In amber" wie ein brutalistischer Herzschlag durchziehen und in abgewandelter Form auch "Eyes of the father" bestimmen, das nun wieder entrückt-klassisch voranschreitet.
Nicht zufällig bringen viele Stücke jenes hallbesetzte Schepper-Drumming im Stile der 1980er-Jahre mit sich – am markantesten kurz vor Ende in "Poisonous storytelling": Budgie, Schlagzeuger der legendären Siouxsie & The Banshees, ist hier mit von der Partie. Wie sehr dieser erneute Höhepunkt für die Symbiose der Einflüsse und des Werkes "In amber" steht, beweist diese Single, die zur Veröffentlichung zudem Remixes von Godfleshs Justin K. Broadrick und Giant Swan spendiert bekommen hat. Minimalistisch und Wort und Ton: "Time to repent / Reflect on life spent", rät Butler kurz zum Abschluss. Dabei lässt sich sicher vieles im Leben bereuen, nicht jedoch die Zeit, die man diesem absoluten Meisterwerk verbracht hat.
Highlights
- Grace
- One
- You've won this war
- Poisonous storytelling
Tracklist
- Grace
- One
- You've won this war
- Christian prayers
- Dissociation
- Contempt for you
- Gates of separation
- Killing his family
- Who will save us now?
- The eyes of the father
- Poisonous storytelling
- Repent
Gesamtspielzeit: 56:31 min.
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peter73 Postings: 3060 Registriert seit 14.09.2020 |
2023-03-26 23:26:01 Uhr
Und ich hab kein einziges HALA-album im Poll oder in den Einzellisten entdeckt... |
ichreitepferd Postings: 903 Registriert seit 22.04.2021 |
2023-03-26 22:51:13 Uhr
Top 10 Album des Jahres 2022, was soll man sonst noch dazu sagen, Rezension on point |
Z4 Postings: 8861 Registriert seit 28.10.2021 |
2023-03-26 22:47:21 Uhr
*push* |
Klaus Postings: 9519 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-12-19 20:20:48 Uhr
Jo, wobei es ja auch zu One Remixe gibt. Habe aber gerade schon wieder vergessen wie die waren... |
Hierkannmanparken Postings: 1231 Registriert seit 22.10.2021 |
2022-12-19 17:58:18 Uhr
Ah danke.. Ja stimmt, kommt ja auch nicht inbden Referenzen vor. Mit den Remixen meinst du vermutlich den einen von poisonous storytelling oder? |
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Referenzen
Anohni; Siouxsie & The Banshees; Killing Joke; Joy Division; New Order; Talk Talk; Portishead; The Cure; The Sisters Of Mercy; Cocteau Twins; Bauhaus; Dead Can Dance; Nick Cave & The Bad Seeds; Zolas Jesus; Savages; Godflesh; JK Flesh; Ethel Cain; Massive Attack; LCD Soundsystem; Museum Of Love; Caribou; Hot Chip; Nicolas Jaar; Against All Logic; Chromeo; Poliça; The Knife; Fever Ray; Yves Tumor; Lotic; Gaika; Arca; Boy Harsher; The KVB; Ulver; Television; Depeche Mode; Soft Cell; Algiers
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