Shearwater - The great awakening
Polyborus / Cargo
VÖ: 10.06.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Eines Tages, Baby, werden wir Wald sein!
Hätte Jonathan Meiburg die Menschheit endgültig hinter sich gelassen und wäre als Eremit in die Wildnis gezogen, es hätte wohl niemanden überrascht. Nach sechs Jahren ohne neue Musik seiner Band Shearwater hätte man vielleicht sogar eher damit gerechnet, dass er als Waldschrat wiederkehrt statt mit einem neuen Album. Gerade weil Shearwaters "Jet plane and oxbow" deutliche Ermüdungserscheinungen zeigte. Nicht musikalisch, da stand eine überraschend politische Rockplatte auf der Habenseite – eher ermüdet von seinen Mitmenschen. Damit ihn die einziehende Hoffnungslosigkeit nicht erdrückt, reiste der Musiker, Autor und Ornithologe umher. Mitgebracht hat er Field Recordings, Songideen, eine Menge Ruhe und in der Quintessenz: das großartige siebente Album der Band.
Auch wenn "The great awakening" im ersten Moment eher zynisch wirkt. "Here comes your heart attack", verkündet Meiburg mit engelsgleicher Stimme zu sanften Klängen. Zum Glück ganz dem Albumtitel getreu eher ein Erweckungsmoment als eine ernste Bedrohung. Auch wenn der Song gegen Ende majestätisch seine ganze Flügelspannweite präsentiert und selbst nicht mehr weiß, ob er Raubvogel oder gar der Erzengel Gabriel persönlich ist: "unbound, unholy and free." Aufgenommen in einem zum Studio umfunktionierten Wohnmobil und unter freundlicher Mithilfe seines Koproduzenten Dan Duszynski, mit dem er auch in der Band Loma Seite an Seite spielt, spinnt Tierfreund Meiburg alle möglichen Sounds ein. Dafür bringt er sogar Natur und Synthesizer in Einklang, lässt in "Milkweed" einen Bachlauf in sonores Rauschen überfließen und dann in Lärm dissoziieren. An anderer Stelle bekommen Brüllaffen aus Guyana ihren Auftritt, auch wenn sie nicht in den Credits gelistet sind. Daneben die erwartbaren Instrumente aufzuzählen, würde nur banalisieren, was dringend gehört und erlebt werden will. Allein "Aqaba" stellt feinen Indie-Pop auf eine Lichtung und wird von Flora und Fauna akustisch umzingelt.
Ein hintergründiges Highlight sind die nuancierten Drums von "The great awakening", die auf den ersten Blick gar nicht so viel machen, sondern unaufdringlich im Dämmerlicht herumstehen und gerade deshalb so cool und sexy wirken. In "Empty orchestra" dürfen sie mal ausbrechen, nutzen das für eine schnelle Nummer und werden begleitet von futuristischen Synthies und Vocoder-Effekten – ein überirdischer Blitzschlag auf der Waldlichtung, der die Bäume knicken lässt. Ansonsten sind Shearwater auf ihrer neuen Platte eher das, was man lange Zeit am sichersten über sie sagen konnte: ruhig und experimentell. Vor allem auch ätherischer als zuletzt, auch wenn das eh eine ganze Weile her ist. Mit fast einer Stunde Spielzeit ist die Nature-Pop-Band aus Texas ausladend unterwegs, auch wenn sie keine Sekunde verschwendet. Der Großteil der elf Songs sind sanfte Blumen, die einzeln zart wirken, aber sich zusammen zu einer wilden Wiese vereinen, die von einer unsichtbaren, aber spürbaren Kraft hin und herbewegt wird und im Wind tanzt. Und so wäre es erneut absolut keine Überraschung, wenn Jonathan Meiburg nach diesem Album mit seinem Wohnmobilstudio in den Wald zieht, bis Gras über die ganze Sache wächst.
Highlights
- Highgate
- Empty orchestra
- Milkweed
Tracklist
- Highgate
- No reason
- Xenarthran
- Laguna Seca
- Everyone you touch
- Empty orchestra
- Milkweed
- Detritivore
- Aqaba
- There goes the sun
- Wind is love
Gesamtspielzeit: 57:33 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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cargo Postings: 714 Registriert seit 07.06.2016 |
2022-06-10 11:20:27 Uhr
Wow, Shearwater hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Sehr reduziertes und atmosphärisch unglaublich dichtes Album. Näher waren sie nie an Talk Talk dran. Bin sehr positiv überrascht! |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27542 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-06-02 20:40:22 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
eric Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 2856 Registriert seit 14.06.2013 |
2022-05-25 14:26:36 Uhr
Da gehen die Erwartungen wohl auseinander. Für mich ist "Animal joy" ihre beste. "Animal life" mein Lieblingssong. |
Gomes21 Postings: 5222 Registriert seit 20.06.2013 |
2022-05-25 13:48:17 Uhr
Bei mir ist es genau umgekehrt. Hat sich gut gehalten über die fast 3 Monate die ich es schon hören darf. Die Produktion gefällt mir viel besser als auf dem Vorgänger und ich mag es wenn Shearwater seine Talk Talk Ader ausspielt. 8,5-9/10 |
fakeboy Postings: 5456 Registriert seit 21.08.2019 |
2022-05-25 11:43:50 Uhr
Meiburg scheint jetzt bei seinem Laughing Stock angekommen zu sein. Bin gespannt ob mir das im gesamten Albumkontext dann gefallen wird. Die einzelnen Vorabsongs überzeugen mich nicht. Da hat mir das letzte Album sehr viel mehr zugesagt. |
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Referenzen
Efterklang; Okkervil River; Loma; Villagers; Antony & The Johnsons; Bill Callahan; Midlake; The Antlers; The Unwinding Hours; Grizzly Bear; Great Lake Swimmers; The Soundtrack of Our Lives; Talk Talk; Other Lives; Wolf Parade; The National; Le Ren; The Decemberists; Andrew Bird; Basia Bulat; Destroyer; Margo Cilker; Lucas Laufen; Sun Kil Moon; Ásgeir; C Duncan; Arcade Fire
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