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Sharon Van Etten - We've been going about this all wrong

Sharon Van Etten- We've been going about this all wrong

Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 06.05.2022

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die ganze Palette

Schönheit und apokalyptische Vision. Stärke und Verletzlichkeit. Das Cover zu Sharon Van Ettens sechstem Studioalbum "We've been going about this all wrong" ist nicht einfach ein Bild, es ist ein Gemälde. Van Etten steht scheinbar mitten in einer Bewegung im Vordergrund, als ob sie sich kurz vor einer entscheidenden Handlung befindet. Roter Nebel umweht sie, der Himmel scheint mehr als nur das einfache Farbspektrum abdecken zu wollen. Das Haus liegt inmitten einer Überschwemmung betroffen, der umgekippte Basketballkorb ist ein vielsagendes Detail im Ganzen. Es ist einfach eine wundervolle und einnehmende Ästhetik – und das Erfreuliche ist, dass die zugehörige Musik perfekt diese Stimmung vertont. Genauso pompös und detailverliebt, jedoch im Kern verletzlich, eine schmerzhafte Botschaft in sich tragend.

Van Etten setzt diese Vision so konsequent innerhalb dieser zehn Tracks um, dass selbst die famosen Singles der letzten Zeit sich als Outtakes entpuppten und nicht an Bord sind. Nicht das intensive Gipfeltreffen "Like I used to" mit der ebenso großartigen Kollegin Angel Olsen, nicht das schleichende und kurios ähnlich betitelte "Used to it". Und auch nicht "Porta", die wirklich astrein eingängige Komposition, welche sich mit Synth-Schwaden einen sehnsuchtsvollen Hit zusammenbastelt, der offenbar aber zu schnell nach vorne ging für die Platte. "I wanna be myself", fordert sie in diesem Song und "We've been going about this all wrong" ist die praktische Ausführung. Die Gesten sind größer als auf "Remind me tomorrow", die Wucht erdrückender. Und doch hatte man selten zuvor den Eindruck, der Person Sharon Van Etten näher zu sein.

Also: nur jungfräuliche Tracks, keine Single. Geeignet wären einige davon gewesen, allen voran das direkte und dynamisch wirkungsvolle "I'll try", eine Meditation über das Immer-wieder-Aufrichten, während ringsherum alles zusammenzubrechen scheint. Auch kurz vor Ende schleicht sich mit "Mistakes" der mit Abstand poppigste Track hinein, tanzbar ist er sogar. "Even if I make a mistake / Turns out it's great." Wenn Van Etten auf Albumlänge überhaupt Fehler gemacht hat, gehen diese in der Großartigkeit des Gesamtwerks unter. "Home to me", das den Pathos des donnernden Openers mit schmerzender Taubheit abfedert, verzaubert durch eine wunderbare Melodie. Van Etten hadert mit ihrer Mutterrolle im Einklang mit dem Künstlerinnendasein, ohne Umschweife fleht sie ihren Sohn an: "The only child, don't turn your back on me / [...] / I need my job, please don't hold that against me."

Die erste Zeile verkehrt "Headspace" ins aggressive Gegenteil. "Baby, don't turn your back to me", giftet sie über ein Backing, das schon Industrial-Vibes versprüht und nur der klare Synth-Lead wirkt wie ein Irrlicht in der Finsternis. Fast jeder Song steigert sich mit großer Dramatik in sein eigenes Motiv, besonders "Born" beeindruckt mit der kompletten Bandbreite der Emotionen und Gewaltigkeit im überwältigenden Finale. "Anything" rechnet dagegen kurz und knapp die zwei Pandemiejahre auf eine direkte Schlussfindung herunter: "I couldn't feel anything." Immer wieder. Bis es nach zweieinhalb Minuten, die sich mehr und mehr intensivieren, die Schnauze voll von diesem Thema hat und den Deckel einfach zu macht. Was auch immer Van Etten anfasst, es gelingt ihr in höchstem Maße.

Daher hat ihr Instinkt Recht gehabt, als sie "We've been going about this all wrong" nicht durch Vorab-Auskopplungen aus dem Gleichgewicht werfen wollte. Von den ersten Tönen bis zum versöhnlichen, gar dezent optimistisch klingenden "Far away" am Schluss steht das Album als einheitliches und felsenfestes Meisterwerk da. Im Einklang mit der vorherrschenden Dualität zwischen laut und leise, zwischen Wucht und Vulnerabilität, enthält der unscheinbarste Moment die wichtigste Nachricht. "Darkish" begnügt sich nur mit einer akustischen Gitarre und zwitschernden Vögeln als Begleitung, wie an einem Morgen, nachdem man durch die Hölle gegangen ist. Und Van Etten weiß, dass die Dinge trotz allem nicht immer so schlecht sind, wie sie scheinen. "And crazy as can be / It's not dark, it's only darkish."

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Home to me
  • I'll try
  • Born
  • Come back

Tracklist

  1. Darkness fades
  2. Home to me
  3. I'll try
  4. Anything
  5. Born
  6. Headspace
  7. Come back
  8. Darkish
  9. Mistakes
  10. Far away

Gesamtspielzeit: 39:20 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Kojiro

Postings: 4192

Registriert seit 26.12.2018

2022-06-17 12:45:00 Uhr
Ging mir anfangs ähnlich. Inzwischen finde ich das Album allerdings ziemlich genial. Über "Beaten Down" hab ich mich ebenfalls in München gefreut! Großartiger Song!



Takenot.tk

Postings: 2171

Registriert seit 13.06.2013

2022-06-17 10:57:06 Uhr
Ja, vielleicht muss ich dem nochmal ne Chance geben... ist in den ersten ein, zwei Durchgängen leider etwas an mir vorbeigerauscht, ohne große Ankerpunkte...

ijb

Postings: 6521

Registriert seit 30.12.2018

2022-06-17 10:31:25 Uhr
@Takenot.tk

Man kann allerdings sagen, dass vieles im Konzert (8 Songs vom neuen Album) ein bisschen wie "Beaten Down" geklungen hat - also etwas "heavier".

Takenot.tk

Postings: 2171

Registriert seit 13.06.2013

2022-06-17 08:53:43 Uhr
Wenn ich gewusst hätte, dass sie "Beaten Down" spielt, wäre ich auch gekommen...
Finde den fantastisch, und hatte eigentlich gehofft dass das neue Album mehr in die Richtung geht (der kam ja irgendwann 2020 als Standalone-Single zwischen Alben raus).

ijb

Postings: 6521

Registriert seit 30.12.2018

2022-06-16 22:13:10 Uhr
Ich finde das neue Album auch toll, muss aber sagen, dass ich die meisten der Songs im Konzert noch mal deutlich eindringlicher finde, druckvoller, packender, und vor allem hatte ich nicht gedacht, dass sie so ein unglaubliches Stimmvolumen hat. Das ist bei den Songs auf dem neuen Album kaum zu erahnen (z.B. bei "I'll try" war die Stimmpower ja echt Wahnsinn).

Aber ich war tatsächlich erstaunt, als ich hinterher nochmal über die Setlist geschaut habe - dass sie ja fast das komplette neue Album gespielt/gesungen hat - und mir waren wirklich alles Songs (außer "Beaten Down", das kannte ich noch nicht) wie alte Bekannte vorgekommen, so "classic" wirken die schon... obwohl ich die Platte gar nicht so oft angehört hatte)..
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