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Let's Eat Grandma - Two ribbons

Let's Eat Grandma- Two ribbons

Transgressive / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 29.04.2022

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

De profundis

Let's Eat Grandma scheinen es zum Band-Ethos erklärt zu haben, ihre Hörer*innen regelmäßig vor den Kopf zu stoßen. "I, Gemini", das Debüt von Rosa Walton und Jenny Hollingworth, klang so, als hätten zwei Anime-Schulmädchen ein Psychedelic-Indie-Album in der Black Lodge aufgenommen. Kaum hatte man die Schönheit hinter diesem Fiebertraum in Schwarzpink erfasst, konfrontierte uns der Nachfolger "I'm all ears" mit stromlinienförmigeren Mainstream-Annäherungen. Anstatt die Fans der frühen Wirrnisse nun wieder ins Boot zu holen, setzt "Two ribbons" den eingeschlagenen Weg auf noch konsequentere Weise fort. Wo einst der Pop zum Sterben hinging und ein Kolibrischwarm von Ideen in bunten Kontrastkollisionen aufeinanderprallte, regiert nun der geschlossene, makellose Reinklang.

Das ist deshalb interessant, weil sich die eigentlichen Besties im Vorfeld ein wenig voneinander entfremdet hatten. Walton zog von Norwich nach London und zum ersten Mal entstanden die Songs in einem getrennten Schreibprozess. Den Opener "Happy new year" hält das nicht davon ab, sich als kompromisslose Freundschaftsode zu entfalten, die Carly Rae Jepsen nicht greller hätte zelebrieren können. Ja, Jepsen. Im Angesicht dieser wolkenkratzerhohen Glitzer-Synths erscheint die kanadische Queen des Euphorie-Pop als erste Referenz, auch wenn sie vermutlich nicht die Eierstöcke gehabt hätte, nach der Bridge ein tatsächliches Feuerwerk zu zünden. "Levitation" knüpft nahtlos daran an, stellt mit seiner Mörder-Hook die Max Martins dieser Welt verschämt in die Ecke, während das Duo im Rausch seiner distanzierten Nähe davon schwebt. "Everything feels so amazing."

Angespannt wartet man auf den Haken an der Sache, sucht nach den Falltüren im Glaspalast, doch es passiert nichts in dieser Richtung. Erst über die Kenntnis des Kontexts offenbaren sich zumindest textlich tiefere Schichten. Mit dem Wissen, dass Hollingworth dort den Krebstod ihres nur 22 Jahre alt gewordenen Partners verarbeitet, wird der so erwartungsvoll pulsierende Beat von "Watching you go" zum Trauermarsch. Plötzlich nimmt man sie wahr, diese diffuse Melancholie, die sich durch das ganze Album selbst in seinen oberflächlich sorgenfreiesten Konfetti-Momenten zieht. Die Kunst des "sad bangers" haben die nimmersatten Let's Eat Grandma mit Haut und Haaren verschlungen.

Die Direktheit von "Two ribbons" ist dabei keineswegs mit Stillstand zu verwechseln. Im Gegenteil schreitet die Platte ungemein zielstrebig voran, indem sie sich nach dem breit gepinselten Beginn nach und nach entblättert. "Hall of mirrors" gestaltet sich etwas verschlungener, treibt die beiden Stimmen durch einen Strudel aus endlosem Tasten-Hall und Saxofon-Nebelhörnern. Das grandios sehnsüchtige "Insect loop" führt die Gitarre als dominantes Instrument der zweiten Albumhälfte ein und wirbelt in seinem Galopp Dünen von verzerrtem Indie-Rock auf, die sich zu einem gleißenden Solo formen. Wie Geister kehren die zwei jungen Frauen hier zu den Küsten Norfolks zurück und fließen erst im finalen Titeltrack wieder vollständig in ihre Körper, einer aufs Allernötigste reduzierten Akustikballade.

Zuvor tollten sie auf einer countryesken Waldlichtung namens "Sunday" herum und verloren sich in der schmerzhaft-schönen Traumfantasie von "Strange conversations". "I'm at the altar / And I awake in pools of light", heißt es da und es sticht trotz, nein, wegen dieses so entwaffnend aufrichtigen, Streicher-umschmeichelten Pathos auf unvorstellbare Weise ins Herz. Vielleicht muss man sich selbst schon mal zu Lordes "Green light" alle dunklen Gedanken von der Seele getanzt haben, um zu verstehen, dass die tiefsten Wahrheiten nicht am Boden eines im 12/8-Takt verknoteten Prog-Epos versteckt liegen. Let's Eat Grandma mögen einen Teil ihrer faszinierenden Aura am Schrein der Simplizität geopfert haben, doch emotional sind sie uns so nah wie nie.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Happy new year
  • Levitation
  • Insect loop
  • Strange conversations

Tracklist

  1. Happy new year
  2. Levitation
  3. Watching you go
  4. Hall of mirrors
  5. Insect loop
  6. Half light
  7. Sunday
  8. In the cementery
  9. Strange conversations
  10. Two ribbons

Gesamtspielzeit: 38:59 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Saschek

Postings: 683

Registriert seit 23.07.2018

2023-01-04 12:32:31 Uhr
Ziemlich cool. Angenehm euphorisch, ohne doof zu klingen. Gute Ideen und aufrichtiger Vortrag. Die glauben an sich und das, was sie machen. Gefällt mir sehr.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27676

Registriert seit 08.01.2012

2022-04-20 21:02:25 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?


myx

Postings: 5210

Registriert seit 16.10.2016

2022-01-03 18:38:35 Uhr
Just heute Nachmittag herausgekommen ist "Happy New Year":

https://youtu.be/9R9qLldd7_U

Dem schliesse ich mich doch gerne an und wünsche dem gesamten aktiven und passiven Forum nachträglich ... ok, allen, die den Weg in diesen Thread gewählt haben, nachträglich ein frohes und gesundes neues Jahr!

myx

Postings: 5210

Registriert seit 16.10.2016

2022-01-03 10:56:28 Uhr
Ihr drittes Album "Two Ribbons" erscheint am 8. April bei Transgressive Records.

Der Titelsong und Closer ist eine waschechte Ballade, die zu Herzen geht:

https://youtu.be/kh8breFdFZI

Und hier noch die Tracklist:

01 Happy New Year
02 Levitation
03 Watching You Go
04 Hall of Mirrors
05 Insect Loop
06 Half Light
07 Sunday
08 In the Cemetery
09 Strange Conversations
10 Two Ribbons
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