Rosalía - Motomami
Epic / Sony
VÖ: 18.03.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Avantgarde mit Flügeln
"Una mariposa, yo me transformo." Immer wieder glitcht die Stimme im letzten Wort und unterstreicht: Hier ist vor allem der Wandel beständig. Die Suche nach einer adäquaten Analogie für ihre ästhetischen Erkundungen führt Rosalía im Opener "Saoko" zum Schmetterling, Symbol einer fortwährenden Metamorphose. Als Kind habe habe sie gleichermaßen Faszination und Angst verspürt beim Anblick ihres Flatterns und damit die enge Liaison von Unbehagen und Kreativität kennengelernt, so die 28-jährige Katalanin, die inzwischen längst auch in allen spanischsprachigen Ländern beheimatet zu sein scheint. Denn seit ihrem 2017er-Debüt "Los ángeles", das mit intensiven und exzentrischen Songs dem traditionellen Flamenco eine eigene Note aufprägte, ist Rosalía Stufe um Stufe zum vielleicht größten Popstar ihrer Sprache geklettert, ohne ihre Zwischenetappen einfach zu vergessen. Vielmehr scheint Rosalía die Vielfalt künstlerischen Ausdrucks wie ein Schwamm aufzusaugen und zu einem ganz eigenen Sound zu verdichten. "Motomami" bildet in seiner Zerrissenheit den bisherigen Kulminationspunkt dieser Bewegung: erotisch und abstrakt, intim und entrückt, so genresprengend, dass einem fast schwindlig wird.
Besagter Opener "Saoko" empfängt dann auch gleich mit aggressiv-verzerrten Synthies, die auf einem Haftbefehl-Album nicht deplatziert wären und der aufgeheizten Rhythmik des Neoperreo, einer wilden, progressiven Spielart des Reggaeton. Zwischendurch wird so beiläufig elegant ein zehnsekündiges Jazz-Interlude eingeflochten, als hätte es die ganze Zeit hinter Rosalías hektischem Sprechgesang auf seinen Ausbruch gewartet. Der Flamenco-Pop des bezaubernden "Candy" steckt das andere Ende der Skala ab, doch auch hier lauert Unerwartetes, wenn in der melancholischen Hook die Melodie von Burials 2-Step-Hymne "Archangel" zitiert wird. Statt zugiger Großstadtschluchten evoziert Rosalía den intimen Wunsch nach Geborgenheit – was bleibt, ist die Einsamkeit trotz aller Versicherungen, nicht vergessen worden zu sein: "Sé que tú no me has olvida'o."
In der Folge springt "Motomami" von einer Emotion zur nächsten, ist von einer bipolaren Kurzweiligkeit angetrieben, die staunend zurücklässt. Auf den romantischen Tanz mit The Weeknd – einer logischen, wenn auch vielleicht etwas auf Nummer sicher setzenden ersten Single ("La fama") – folgen die leidenschaftlichen Gesangseskapaden von "Bulerías", das gänzlich ohne Melodieinstrumente auskommt. "Hentai" entblößt entgegen seinem Titel eine dramatische Ballade, während "Chicken Teriyaki" voll auf den polternden Reggaeton karibischer Prägung zielt, ohne die schweißnasse Ekstase aneinandergepresster Körper aber etwas stumpf gerät. Wer erwartet, dass sich die zweite Hälfte des Albums zahmer verhält, liegt nur bedingt richtig. Zwar versammelt "Motomami" hier vermehrt ruhige Momente, der Experimentierfreude tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Beinahe jedes Wagnis zahlt sich aus.
Zwischen den cyberpunkigen Verfremdungen in "Diablo", in dem Soundtüftler James Blake sich am Pitch-Regler für Rosalías Stimme austobt, und der glitzernden Autotune-Ballade "Como un G" warten zwei Songs, die nochmal das gewaltige Potenzial des Rosalía-Sounds in sich vereinen. "Delirio de grandeza" macht seinen Namen als Big-Band-Nummer ironisch zum Programm, indem es brasilianischen Bossa Nova mit obskuren Rap-Samples verwebt, beide als Teil eines kulturellen Gedächtnisses ausweist. Und "Cuuuuuuuute" irritiert nicht nur durch seine Schreibweise: Industrial-Beats erinnern an Maschinengewehrsalven, Rosalías Stimme ist zur Unkenntlichkeit verzerrt. Dann öffnen sich weite Klavierakkorde und klarer, weicher Gesang zum paradiesischen Zentrum des Songs, das selbstverständlich ebenfalls wieder torpediert wird. Wohl nirgendwo sonst auf "Motomami" wird die Dichotomie aus Gewalt und Zärtlichkeit so radikal inszeniert, eines der Leitmotive des Albums. Denn auch wenn der Closer "Sakura" noch einmal eindrucksvoll unterstreicht, wie Rosalías Gesang mühelos und virtuos einen Saal zu füllen vermag, ohne manipuliert worden zu sein: Es sind die Risse, die mutigen Experimente, die "Motomami" zu weit mehr werden lassen als einem gelungenen Pop-Album. Schillernd und widersprüchlich präsentiert sich Rosalías eklektizistische Vision, die dennoch nicht in ihre Einzelteile zerfällt. Dieser Schmetterling ist längst geschlüpft.
Highlights
- Saoko
- Candy
- Delirio de grandeza
- Cuuuuuuuute
- Como un G
Tracklist
- Saoko
- Candy
- La fama (feat. The Weeknd)
- Bulerías
- Chicken Teriyaki
- Hentai
- Bizcochito
- G3 N15
- Motomami
- Diablo
- Delirio de grandeza
- Cuuuuuuuute
- Como un G
- Abcdefg
- La combi Versace (feat. Tokischa)
- Sakura
Gesamtspielzeit: 42:17 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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nörtz User und News-Scout Postings: 14637 Registriert seit 13.06.2013 |
2023-11-20 20:48:26 Uhr
Finds ja immer befremdlich, wenn schon die Tänzer bei Liveuaftritten erwähnt werden. Gehts da auch um Musik? |
Affengitarre User und News-Scout Postings: 11087 Registriert seit 23.07.2014 |
2023-11-20 20:39:10 Uhr
Super faszinierendes Album. Wie sich Banger und wunderschöne Balladen abwechseln, immer wieder so skizzenhafte Stücke dazwischenkommen und es trotzdem einfach wunderbar flowt. Und diese Stimme! |
kenny23 Postings: 615 Registriert seit 07.11.2013 |
2023-03-24 06:35:51 Uhr
Neue EP "RR" von Rosalía und Rauw Alejandro, heute erschienen. Gefällt sehr gut |
matixcs Postings: 48 Registriert seit 17.07.2021 |
2023-03-23 23:27:49 Uhr
https://www.youtube.com/watch?v=W3H-HUlB_tcAufnahme von Rosalias Konzert beim Loopalooza Chile letztes Wochenende. Schon sehr geil alles, mit den Tänzern, der Videoproduktion und Rosalia als unglaublich wandlungsfähige Künstlerin. |
kenny23 Postings: 615 Registriert seit 07.11.2013 |
2023-01-01 00:59:54 Uhr
Feliz año nuevo,Hier eine Liste der besten Features von Rosalía: 1. Bad Bunny feat. Rosalía: La noche de anoche 2. C. Tangana feat. Rosalía: Antes de morirme 3. Sech, Daddy Yankee, J. Balvin, Rosalía: Relación Remix 4. Wisin & Yandel feat. Rosalía: Besos Moja2 5. Romeo Santos, Rosalía: El pañuelo 6. Rosalía feat. The Weeknd: La fama 7. Rosalía, J Balvin, El Guincho: Con Altura 8. J Balvin, Rosalía: Brillo 9. Rosalía, Travis Scott: TKN 10. Billie Eilish, Rosalía: Lo vas a olvidar 11. James Blake feat. Rosalía: Barefoot in the Park |
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Referenzen
Mala Rodriguez; Billie Eilish; Caroline Polachek; Arca; James Blake; Björk; FKA Twigs; M.I.A.; Stromae; Madonna; Tokischa; Luna Ki; Bad Bunny; Rigoberta Bandini; Lin Cortés; Malú; Paloma Mami; Bad Gyal; Daddy Yankee; Aventura; Slowthai; Frank Ocean; Nina Simone; Beastie Boys; Kate Bush; Sufjan Stevens; Silvana Estrada; Nacho Vegas; Paco de Lucía; Camarón; Joan Manuel Serrat; Shakira; Marina; Dua Lipa
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