Mattiel - Georgia gothic

Heavenly / PIAS / Rough Trade
VÖ: 18.03.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

The number of the Feierbiest
"Party in the USA", deklarierte 2009 eine damals noch vornehmlich unter ihrer fiktiven Zweitidentität Hannah Montana bekannte Miley Cyrus, als sie nicht einmal legal ein Alkopop bestellen durfte. "Party in the USA", singt 13 Jahre später auch Mattiel Brown auf ihrem dritten Album "Georgia gothic" und wirkt dabei kaum glaubwürdiger. Zugegeben: So, wie sie und Kreativpartner Jonah Swilley – hat Billy Corgan eigentlich einen Kunst studierenden Bruder? – auf dem Cover posieren, platziert in irgendeiner Südstaaten-Einöde mit Mistgabeln und Teufelskostümen in knallrotem Lack, müssen vorher ein paar härtere Substanzen geflossen sein. Und ja: Tatsächlich agieren Mattiel – die sich inzwischen offiziell als Duo bezeichnen, daher der Plural – hier merklich beschwingter als auf den Vorgängern. Zum ersten Mal haben Brown und Swilley nicht einfach Audiospuren hin- und hergeschickt, sondern sich gemeinsam in eine abgelegene Hütte nahe ihrer Heimat Atlanta verkrochen, nur um den inneren Folk-Waldschrat dabei noch tiefer in sein Wurzelreich zu drücken. Dennoch wahrt sich dieser eigentümlich eingängige Mix aus staubigem Sechziger-Pop, fetten, teils HipHop-orientierten Grooves und Noughties-Garagenrock eine zu makabre Note, um Events beschallen zu können, in die sich die 17-jährige Cyrus gerne eingeschlichen hätte.
In erster Linie liegt das an Browns dunkel einnehmendem Organ, dessen Referenzen eine Linie von Grace Slick über Siouxsie Sioux bis zu Karen O ziehen und das doch ganz und gar ihr eigenes bleibt. Im Einklang mit den Arrangements ihres Kompagnons beeindruckt ihre unprätentiöse Flexibilität. Brown hat einen Crush auf Jeff Goldblum (wer nicht??) und widmet dem gschupften Schauspieler den Opener: ein Stück Fuzz-getränkten Indie-Pop mit tanzbarem Beat und Synth-Finale, in dem sich die mehrstimmigen Vocals der kristallklaren Politur unterordnen. Im direkten Kontrast hat die Country-Vignette "On the run" knisternden Wüstendreck zwischen den Saiten, während die Mattiel-Frontfrau mit deutlich nackterem Vortrag ein Beziehungsende verkündet: "Today's the day I couldn't stay." Im halbelektronischen Kopfnicker-Blues "Wheels fall off" brilliert sie dann mit Sprechgesang im Stile Jack Whites, ehe "Blood in the yolk" zum großen, cineastischen Drama ausholt. Dazwischen zitiert "Subterranean shut-in blues" Bob Dylan mit seinem Johnny und der "medicine", schlängelt sich in einer einzigen Bewegung vom beiläufigen Swagger der Strophen zum souligen, Bläser-gestützten Refrain und zurück.
In diesem Sinne vereint "Georgia gothic" Optimismus und Zynismus, als wären sie Engelchen und Teufelchen auf den Schultern derselben vernebelten Seele. "Lighthouse" heißt passenderweise der hellste und poppigste Track der Platte, unter dessen Posaunen und konzentrierter Euphorie der Leuchtturm zur etwas plumpen, aber wirkungsvollen Metapher für Halt und Zuversicht wird. "You can have it all" bildet dazu Kontrast wie Komplement. Der Vorwärtsdrang samt Stadion-Schlagseite ist der gleiche, doch psychedelische Schatten und ein verzerrtes Solo umrahmen einen faulen Kern beißender Ironie: "What's a fair share? / Nobody cares / Run the whole thing dry / Free for all / In free fall." Nur in den seltensten Fällen wirkt das alles etwas zerfahren, wenn etwa das Tamburin-motorisierte "Other plans" statt Hook einen französischsprachigen Megafon-Part auffährt. Meistens jedoch beweisen Mattiel ein ausgezeichnetes Händchen dafür, ihren Wust an Stimmungen und Einflüssen in nie überfordernde, leicht zu verinnerlichende Dreiminüter zu gießen. Catchiness bleibt die oberste Maxime bis ganz zum Schluss, wenn "How it ends" mit Funk-Gitarre und Browns angriffslustigem Rap zum letzten Mal den Dreizack ins Schwarze wirft. Wie konnte man die Party-Laune dieser zwei Feierbiester eigentlich je in Frage stellen?
Highlights
- Jeff Goldblum
- Lighthouse
- You can have it all
Tracklist
- Jeff Goldblum
- On the run
- Lighthouse
- Wheels fall off
- Subterranean shut-in blues
- Blood in the yolk
- Cultural criminal
- You can have it all
- Other plans
- Boomerang
- How it ends
Gesamtspielzeit: 33:50 min.
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 25628 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-03-30 21:37:22 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
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