Charli XCX - Crash

Atlantic / Warner
VÖ: 18.03.2022
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Der Lack ist ab
"I'm high voltage, self-destructive / End it all so legendary." Auf "Crash", ihrem fünften Studioalbum, ist Charli XCX voll auf Kollisionskurs. Die Platte markiert das Ende eines Major-Label-Vertrags, den Charlotte Aitchison abschloss, als sie gerade einmal 16 war. Für eine so früh schon in den Industrie-Apparat eingespannte Pop-Musikerin verlief ihre bisherige Karriere beachtlich: Als Galionsfigur des Hyper-Pop und Kollaborateurin seiner innovativsten Köpfe wie Sophie oder A.G. Cook bewahrte sie sich stets Experimentierfreude, Vorwärtsdrang und Eigenständigkeit. Doch weil sie damit trotz aller Anerkennung keine kommerziellen Mega-Erfolge abseits ihrer Mitwirkungen bei Icona Pop oder Iggy Azalea erzielen konnte, will sie sich nun mit einem Knall von ihrem Label verabschieden. Das von Charli selbst als "sell-out" bezeichnete "Crash" soll mit Haut und Haaren all das zelebrieren, was ein Produkt der Mainstream-Pop-Maschinerie ausmacht. Klar, dass dieser Ansatz bei ihrer geradezu kultischen Fanbase auf wenig Gegenliebe stieß und die beleidigten Leberwürste ihren Unmut über die Vorab-Singles mit so einer Vehemenz ausspien, dass sie ihre einstige Göttin zwischenzeitlich aus den sozialen Medien vertrieben. Viel Drama um eine gute halbe Stunde kompetenter Spaßmusik, die weder konzeptionelle Überhöhung noch tollwütige Verurteilung verdient hat.
Der Unterschied zu den Vorgängern zeigt sich gleich in der Soundästhetik. Die futuristischen Chrom-Konstrukte weichen wärmeren Retro-Synth-Pop-, Funk- und Disco-Anleihen, wie sie zuletzt etwa Dua Lipa oder Carly Rae Jepsen bedienten. Der hochenergetische Titeltrack fällt gleich mit der Cabrio-Tür ins Haus, lässt einen Beat im Stil von New Jack Swing auf zackige Saiten krachen, die sich gen Ende zu einem kleinen Solo aufschwingen. Die meisten unerwarteten Wendungen nimmt "Lightning", das eine Power-Ballade antäuscht und auf New-Order-mäßigem Asphalt über seinen Mitsing-Refrain rast, ehe eine Flamenco-Gitarre und Verrenkungen in Autotune die Reifen endgültig zum Glühen bringen. Das per Disco-Streicher eingeleitete "Baby" stampft derweil die Einflüsse von Janet Jackson am pointiertesten auf die Tanzfläche. "Imma fuck you up", heißt es da, bevor sich "Yuck" angewidert über die romantische Hingabe eines Lovers zeigt: "Yuck! That boy's so mushy / Sending me flowers, I'm just tryna get lucky." Es sind Songs, in denen Charli nicht nur verspielt mit der organischeren Instrumentierung umgeht, sondern auch den Rotzgören-Gestus von "Sucker" geschmeidig in die Gegenwart hievt.
In diesem Sinne ist "Crash" ein Album, das ausnahmsweise eher zurück als nach vorn blickt. Die 29-Jährige hat sich sicher viel dabei gedacht, wenn sie diesen Vergangenheitsfetisch auch noch mit konkreten Pop-Zitaten anreichert. Das fette Synth-Riff von "New shapes" enthält Spuren von Van Halens "Jump", während der nächtliche Puls der mitreißenden Lead-Single "Good ones" an "Sweet dreams" von Eurythmics erinnert. Noch expliziter macht's "Beg for you", im Grunde ein Cover von Septembers Über-Hit "Cry for you", das dem Original trotz Harfenklängen und leichtem UK-Garage-Vibe allerdings nichts hinzufügt, was über den Mehrwert einer TikTok-Interpretation hinausgeht – zumal "Used to know me" das Spiel nochmal auf kaum substanzvollere Weise mit Robin S' House-Klassiker "Show me love" wiederholt. Selbst die auf dem Papier spannenden Feature-Gäste Christine And The Queens, Caroline Polachek und Rina Sawayama, die ähnlich wie Charli eigentlich für charakterstarken Auteurinnen-Pop stehen, gehen inmitten dieser generischen Kantenglättungen ziemlich unter. Es ist keineswegs schlecht, in der Regel immer noch überdurchschnittlich bis gut, was auf "Crash" passiert, doch der offenbar bewusste Distinktionsverlust der Britin bleibt ein Witz ohne Pointe. Dass die Gesichtslosigkeit von Nummern wie "Constant repeat" oder den Balladen "Every rule" und "Move me" gewollt ist, macht sie nicht spannender.
Die Auto-Metaphorik im letztgenannten Track offenbart zudem noch ein anderes Problem. Eigentlich sollte die Platte eine Hommage an den gleichnamigen David-Cronenberg-Film bzw. dessen Romanvorlage von JG Ballard sein, die auf provokante Weise sexuelle Erregung mit Autounfällen verknüpfen. Auf dem Cover sehen wir Charli im Bikini auf einer Windschutzscheibe, mit ausdrucksloser Mimik und blutender Wunde an der Schläfe – ein möglicher Kommentar auf das Menschenopfer, das weibliche Popstars in ihrer auch körperlichen industriellen Ausbeutung bringen müssen. Von dieser angedeuteten Subversion ist auf dem eigentlichen Werk wenig zu spüren. Weder als Mainstream-Pop-Parodie noch als leidenschaftlicher Mittelfinger in Richtung der Fan-Erwartungen ist "Crash" konsequent genug und wirkt so am ehesten wie eine halbherzige Vertragserfüllung. Doch wenn ganz zum Schluss "Twice" mit tropischer Schlagseite und ausfransendem Outro wieder inspirierter daherkommt, weist das auf eine Zukunft, in der dieser sowieso schon durchsetzungsfähigen Künstlerin ohne Major-Label im Nacken alle Türen offenstehen. "Always crashing in the same car", sollte zumindest ein Vorwurf bleiben, den sich Charli XCX niemals anhören muss.
Highlights
- Crash
- Good ones
- Lightning
Tracklist
- Crash
- New shapes (feat. Christine And The Queens & Caroline Polachek)
- Good ones
- Constant repeat
- Beg for you (feat. Rina Sawayama)
- Move me
- Baby
- Lightning
- Every rule
- Yuck
- Used to know me
- Twice
Gesamtspielzeit: 33:51 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10350 Registriert seit 26.02.2016 |
2024-12-03 19:54:03 Uhr
"Good Ones" mag ich auch sehr. Ich hsb auch kein Problem mit der Poppigkeit des Albums, ein paar Songs sind nur eher so egal. Aber höre es schon ganz gerne. |
Arne L. Postings: 1545 Registriert seit 27.09.2021 |
2024-12-03 19:51:08 Uhr
"Good ones" immer noch mein Lieblingssong von mir, so simpel der auch daherkommt. Absoluter Partybanger und perfekt zum Vorbereiten, wenn man abends ausgeht. :D |
vinylium_senfterum Postings: 17 Registriert seit 08.03.2023 |
2023-03-18 20:48:43 Uhr
Ein Jahr ist das Ding jetzt alt und ich find es immer noch gelungen. Sicher nicht ihr bestes Album, aber trotzdem eine sehr schöne Ära von ihr mMn. |
Arne L. Postings: 1545 Registriert seit 27.09.2021 |
2022-05-12 12:35:54 Uhr
Songs von Charli XCX sind für mich immer eine Wundertüte und von 2/10 bis 9/10 kann da alles dabei sein. Bin froh, dass sie dieses Jahr mit "Good ones" für mich einen großartigen Pop-Song am oberen Ende der Skala dabei hatte. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27979 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-03-30 21:36:38 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
Dua Lipa; Carly Rae Jepsen; Jessie Ware; Lady Gaga; Kylie Minogue; The Weeknd; Christine And The Queens; Janet Jackson; Madonna; Cyndi Lauper; Prince; Britney Spears; Camila Cabello; Lily Allen; Allie X; Foxes; Tove Lo; Broods; Zara Larsson; Icona Pop; Ellie Goulding; Robyn; Troye Sivan; Hayley Kiyoko; Years & Years; September; Robin S; Cameo; Erika De Casier; FKA Twigs; Rosalía; Arca; Sophie; A.G. Cook; The 1975
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