Proper - The great American novel
Big Scary Monsters / The Orchard
VÖ: 25.03.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
America-nah
Oh mein Gott, sind das Brand New? In einwandfreier Jesse-Lacey-Intonation legt Proper-Sänger Erik Garlington los: "I've been sleeping with men old enough to be my dad." Und doch registriert der geneigte Emo-Fan nur "Was losing all my friends" und wartet auf das "Yeah". Der Noise, der folgt, passt dann aber eher zu Brand News "Daisy"-Album. Nur wenig später klingt der ätherische Einstieg von "Jean", als wäre er direkt "A weekend in the city" entnommen, bevor der Song doch die Ausfahrt Richtung Emo-Epos nimmt. Was zum Teufel ist hier los? Proper sind zu dritt, kommen aus Brooklyn und navigieren als queere People of Color durch ein Genre, das allzu oft auf seine weißen, cis-männlichen und heterosexuellen Helden reduziert wird (zumindest sofern diese nicht wie Lacey in Ungnade fallen). Nun sagt das noch nicht viel aus über die Musik, ist aber allein seiner Einzigartigkeit wegen erwähnenswert. Ebenfalls erwähnenswert: die schlichte Großartigkeit von "The great American novel". Welches man auch gut und gerne "The great Anti-American manifest" nennen könnte.
Die Texte von Proper tun weh, sind in ihrem introvertierten Tagebuch-Charakter herzzerreißend ehrlich und gehören doch alle mit Edding an die Wände oder mit Farbe auf Unterarme. "There's nothing I'd love less than to work myself to death", mosert Garlington in "Shuck & jive". Kennen wir alle. Im Fokus stehen soll aber das Aufwachsen als nicht weißer, nicht heterosexueller junger Mensch im evangelikalen Süden der Staaten, das Proper zum Konzept auserkoren haben. "My parents wonder why I won't have children" – man will Garlington nicht nur hier in den Arm nehmen. Er und seine Mitmusiker verstehen sich als Sprachrohr der Betroffenen und wollen mindestens in ihrer musikalischen Nische für Awareness und gegen Othering und Rassismus eintreten. Politischer und konkreter auf eine spezielle Problematik zugeschnitten war Emo in letzter Zeit selten. Und auch in Sachen Melodie und Dringlichkeit kämpfen sich Proper an die Spitze ihrer Szene.
"In the van somewhere outside of Birmingham" schielt kurz in Richtung lethargische Sorority Noise, zerbricht dann aber auch in ein angefressenes Finale. Die leeren Seiten des Schwulendaseins mit tausend Grindr-Sexdates, aber wenig echtem menschlichen Kontakt thematisiert "The routine". Im brillanten "Huerta" setzt Garlington sich mit seiner Familienbiographie und deren multikulturellem Erbe auseinander: "I could have been a farmer in the grasslands", auch wenn sein Spanisch ausbaufähig ist – Hauptsache, irgendetwas sein außer bloß "another dull American". "McConnell" mixt gar Sprechgesang, progressive Gesangslinien und eine Idee von Black Metal zu einer ziemlich abgedrehten Melange. "How does it even feel to know that people would cheer if you go?" Proper lassen absolut nichts anbrennen, vor allem nicht, sobald sägende Bläser und weibliche Gaststimme ein wunderschönes Stück wie "Milk & honey" veredeln. Hier sind Könner am Werk, die ihr tragisches, bitteres Meisterwerk vorlegen. Inmitten der Hölle aber gibt es immer noch Hoffnung: "My body might actually belong to me, and not some palm oil monopoly."
Im Songwriting sind Proper nicht durchgehend so kunstvoll unterwegs wie besagte Brand New, die Kollegen von Foxing oder Biffy Clyro in ihrer Emo-Frühphase, mit der sich "The great American novel" durchaus vergleichen lässt. Zwischendurch gibt es zwar auch mal Math- und gar Blackgaze-artige Gitarrenspielereien, aber in erster Linie dient die Musik als Transportmedium für die Texte, die man sich in der Tat gerne gedruckt zu Gemüte führen würde. Wenn sie nicht, wie in "Done talking", sowieso schon beinahe gerappt werden. Allein der Bandname wird ironisch gebrochen, liest man Proper als "angemessen" – den Erwartungshaltungen entsprechend – oder gar "angepasst". Das Trio jedoch seziert sein Land mit dem Fleischermesser und setzt sich an die Speerspitze einer kulturellen Revolution, die nichts Gutes an alteingesessenem, gottesfürchtigem und kanonenschwingendem Amerikanersein findet. Nicht nur auf die Südstaaten begrenzt, stehen Proper damit im Sinne, Worte zu ihren Waffen zu machen, tatsächlich in der Tradition der großen Schriftsteller, die sie sich zum Vorbild genommen haben. "I'm the God of silent rage, I bite my tongue and cut my breath": William Faulkner, Truman Capote, J. D. Salinger – und jetzt auch Proper.
Highlights
- Shuck & jive
- Red, white, & blue
- The routine
- Huerta
- Milk & honey
- Americana
Tracklist
- You good?
- Shuck & jive
- Red, white, & blue
- Jean
- McConnell
- Ganymede
- Barbershop interlude
- In the van somewhere outside of Birmingham
- Juvie
- The routine
- Huerta
- Milk & honey
- Done talking
- Americana
- Yeah... I'm good (Epilogue)
Gesamtspielzeit: 50:33 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Ralph mit F Postings: 608 Registriert seit 10.03.2021 |
2022-04-25 22:18:47 Uhr
Haben vorhin einen sehr sympathischen Akustik-Gig in Köln gespielt! Find die Band jetzt nur noch toller. |
u.x.o. Postings: 527 Registriert seit 29.08.2019 |
2022-04-08 21:41:30 Uhr
So unterschiedlich können Wahrnehmungen sein. Die Vocals sind für mich z.B. genau das, was mich an diese Platte gefesselt hat. |
Kai User und News-Scout Postings: 2950 Registriert seit 25.02.2014 |
2022-04-08 19:36:11 Uhr
@Ralph ich hab die ganze Foxing Discographie hier rumstehen.Ich finde auch in dem Debüt viele Momente, die eher "poppig" daher kommen. Ich werd es nochmal mit diesem Album hier versuchen aber da sind so einige Sachen die ich einfach als störend empfinde. Z.B. schon im Opener dieser merkwürdige Effekt auf die Vocals. Ich glaub die Vocals sind auch das, was mich am meisten abschreckt... |
Ralph mit F Postings: 608 Registriert seit 10.03.2021 |
2022-04-08 16:17:14 Uhr
@Kai: Kennst du das Foxing-Debüt? Das ging z. B. noch nicht so stark auf fluffigen Pop und hat definitiv so manche Ähnlichkeit mit dem, was Proper machen. Klare Empfehlung! |
Ralph mit F Postings: 608 Registriert seit 10.03.2021 |
2022-03-30 20:36:43 Uhr
@u.x.o.: <3 |
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Referenzen
Brand New; Foxing; Citizen; Sorority Noise; Into It. Over It.; The Weakerthans; Beach Slang; Origami Angel; Say Anything; Tiny Moving Parts; Modern Baseball; Apologies, I Have None; Teenage Wrist; Mineral; Graduating Life; The Promise Ring; Bloc Party; Jimmy Eat World; Old Gray; Biffy Clyro; Far; Glitterer; Dogleg; Cleopatrick; Taking Back Sunday; Pity Sex; Cap'n Jazz; Jawbreaker; Alkaline Trio; Tigers Jaw; Piebald; Pinegrove; The Wonder Years; The Deadnotes; Joyce Manor; Dashboard Confessional; Turnover; Mikrokosmos23; Can't Swim; Prawn; The Hotelier; Car Seat Headrest; Moose Blood; Heisskalt; Braid; Kali Masi; I Feel Fine; Home Is Where; Jeff Rosenstock; The Get Up Kids; Samiam; Knapsack; Thursday; Thrice; At The Drive-In
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