Walt Disco - Unlearning
Lucky Number / Rough Trade
VÖ: 01.04.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Liebesbriefe von früher
"I fear I was far too late to the party" ist das Erste, was man von Walt-Disco-Frontperson James Potter (heißt wirklich so) auf "Unlearning" zu hören bekommt. Zumindest hinsichtlich ihres Musikgeschmacks sind die sechs Schotten auf jeden Fall so einige Jahrzehnte zu spät geboren: Irgendwo zwischen kostümiertem Glam-Rock in unwiderstehlicher New-Romantics-Ästhetik, Musical-Grandeur und bollernden Synths, die den Eurovision Song Contest im Alleingang für sich entscheiden könnten, ist die Band aus Glasgow das nächste Symptom des unaufhaltbaren Spätsiebziger- beziehungsweise Achtziger-Revivals – und bislang dessen wahrscheinlich queerste Vertreter. Das Sextett sieht manchmal aus, als wären die Droogs aus "Uhrwerk Orange" in einen Visual-Kei-Klamottenladen eingebrochen, manchmal wie eine metrosexuelle Version von aktuellen Brit-Punks wie Shame. Ihr Debütalbum ist ein riesengroßes, dabei aber völlig ernstgemeintes Overstatement zwischen Zuckerwatte, Stadion und Herzschmerz.
Immer ein bisschen drüber, aber trotzdem Pop aus dem Lehrbuch: "Selfish lover" ist nur einer dieser schmierig-schönen Gassenhauer, von denen man den Eindruck hat, sie würden schon seit Ewigkeiten im Radio gespielt werden. So etwas ist in dem Genre eigentlich die Krönung – nämlich genau das, was die Band bezwecken will, hört man ihnen das Epigonentum doch nur dann an, wenn man darum weiß. Der gut geölte Ohrwurm bleibt tagelang in den Hirnwindungen stecken, und auch der Wummer-Techno von "Weightless" punktet mit prägnanter Hook und mitreißendem Drive. Verglichen mit den letzten Releases anderer zeitgenössischer Acts, die sich einst den New-Romantics-Style angeeignet hatten – looking at you, Hurts – sind Walt Disco ein nie versiegender Quell an Melodien, die zwar selten besonders clever wirken, aber schlichtweg funktionieren. Zum Beweis führe man sich nur einmal die Dark-Wave-Hymne "My dear" zu Gemüte. Verschrobenes wie das Elektro-Instrumental "The costume change" oder das kunstvolle "Those kept close" zeigen aber auch, dass die Schotten sich nicht nur mit Instant-Publikumslieblingen zufriedengeben wollen.
Wenn Walt Disco sich nicht komplett auf antike Synthesizer verlassen, die sie von meterdicken Staubschichten befreit haben, lassen sie die Gitarren fluffig perlen und den Bass aufgeregt tanzen, was dann schon eher kontemporärem Indie-Rock anheimfällt. Das große, zügellose Drama, das seine Vorbilder ebenso auszeichnet wie die schrägen Dancefloor-Nummern, zitiert das Sextett in lärmenden Fast-Balladen wie "Macilent", sodass Johnny Borrell vor Schreck sein Streichholz ausgeht. Noch sitzt nicht jede Geste, findet nicht jeder geflügelte Pfeil direkt sein Ziel, aber Walt Disco sind auf einem guten Weg. Ihr bisheriger Höhepunkt "How cool are you?" verrenkt sich wie einst Brett Anderson bei Suede, lässt eine Schar geisteskranker Grundschüler "La la la la" schmettern und ist in seiner Zappeligkeit einfach hochgradig ansteckend. Mit Duran Duran durften Walt Disco sich die Bretter, die die Welt bedeuten, schon teilen – man darf gespannt sein, von welchen der noch aktiven Achtziger-Legacy-Acts die Jungspunde als nächstes auserwählt werden, um deren Erbe anzutreten.
Highlights
- Selfish lover
- How cool are you?
- Those kept close
- Macilent
Tracklist
- Weightless
- Selfish lover
- How cool are you?
- Cut your hair
- Timeline
- Be an actor
- The costume change
- Those kept close
- Hold yourself as high as her
- My dear
- Macilent
- If I had a perfect life
Gesamtspielzeit: 44:31 min.
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Referenzen
Tears For Fears; Duran Duran; Culture Club; The Cure; Scissor Sisters; Bauhaus; Gang Of Four; Spandau Ballet; Suede; The Smiths; New Order; T. Rex; Marc Bolan; David Bowie; Cocteau Twins; Editors; Talking Heads; Joy Division; Siouxsie & The Banshees; Depeche Mode; The Sisters Of Mercy; She Wants Revenge; Japan; Echo & The Bunnymen; IAMX; Drangsal; Erasure; Public Image Ltd.; Pet Shop Boys; Electric Six; The Jesus And Mary Chain; Hurts; Talk Talk; Simple Minds; Carbaret Voltaire; The Human League; New York Dolls; The Fall; Placebo; A-ha; Lou Reed; Iggy Pop; Frankie Goes To Hollywood; Scott Walker; The xx; Nine Inch Nails; White Lies; Queen; The Killers; Elton John; The Darkness; Måneskin; Cinema Bizarre
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