Suicide - Surrender: A collection
Mute / BMG / Warner
VÖ: 25.03.2022
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Parasiten der Ohnmacht
"Try Suicide." Es war eine sorglose und irgendwie auch liebenswerte Zeit, als man mit Slogans wie diesem für eine Band werben konnte, ohne einen Shitstorm zu riskieren – wenn es das Wort bereits gegeben hätte. Doch der Name der New Yorker bot sich 1977 für derartige Aufforderungen förmlich an, zumal die Musik von Alan Vega und Martin Rev in der Tat kommerziellem Selbstmord gleichkam. Das Publikum war seinerzeit von Suicides kreuzmonotonem, ausschließlich elektronisch erzeugtem Punk mit Vega als stöhnendem und japsendem Elvis-Impersonator von der dunklen Seite nämlich so überfordert, dass Auftritte oft in Tumulten endeten – lange bevor The Jesus And Mary Chain wegen kreischenden Feedback-Lärms erboste Konzertbesucher mit dem Mikroständer vertrimmten. Art is nun mal hard – und wenn man sich dafür prügeln muss.
45 Jahre später gelten Suicide längst als Säulenheilige und Wegbereiter. Einerseits steckten in ihrem schmalen Œuvre Doo-Wop und Rock'n'Roll, der Proto-Punk von The Stooges und The Velvet Underground sowie das Kosmische früher Kraftwerk oder Can, andererseits nahmen hier Genres wie Post-Punk, Shoegaze oder EBM ihren Anfang. Nun erfährt Suicides Gesamtwerk seine gebührende Endlagerung – auf der ersten Compilation der Bandgeschichte, ausgerechnet benannt nach "Surrender", einem untypisch croonigen Schmachtfetzen samt jubilierendem weiblichem Background-Chor, der Roy Orbisons "In dreams" näher steht als allem, was je aus einem Synthie kroch. Schon repräsentativer: der Opener "Dominic Christ", der sich zu Vegas verhalltem Zürnen um eine funky-schiefe Basslinie wickelt und die folgenden 80 Minuten knackig einleitet.
Beide Songs stammen aus dem von The Cars' Ric Ocasek vergleichsweise geradlinig produzierten 1988er-Comeback "A way of life" und sind aller Ehren wert – das Herzstück von "Surrender: A collection" bildet jedoch die Anfangsphase des Duos. Genauer gesagt der Zweitling "Suicide: Alan Vega and Martin Rev" und vor allem das selbstbetitelte Debüt, ein zischender und fiepender Katarakt aus persönlichen und globalen Höllen. Das über zehnminütige "Frankie Teardrop" brodelt bedrohlich, während Vega von einem traumatisierten Vietnam-Veteranen erzählt, der zum Mörder der eigenen Familie wird, "Rocket USA" blickt bang auf das Wettrüsten im Kalten Krieg und grollt und orgelt so ruinös wie The Doors unter Starkstrom. Großartig furchterregende Klassiker, in denen sich Suicide als zähnefletschende Parasiten menschlicher Ohnmacht inszenierten.
Und dennoch war am 2016 verstorbenen Vega genauso ein glamouröser Herzensbrecher verlorengegangen. In "Cheree" raunt er ein "black leather baby" ähnlich lüstern an wie Lou Reed einst die "Venus in furs", und die 1979er-Single "Dream baby dream" findet sich zwar auf keinem Album, gehört aber zu den wunderbarsten Suicide-Momenten und lässt einen ramponierten Talking Blues auf krautigen Flächen entschweben. Geschenkt, dass der finale Longplayer "American supreme" den Attacken des 11. September neben dem Throbbing-Gristle-gefärbten "Dachau. Disney, disco" nicht mehr viel Schockierendes entgegenzusetzen hatte und "Why be blue" 1992 fast handelsüblicher Elektro-Pop war – zumindest der Titeltrack bleibt ein Banger vor dem Herrn. Und "Surrender: A collection" ein eindrucksvolles Vermächtnis. Aber passt auf, dass Ihr Euch nicht wehtut, ja?
Highlights
- Dominic Christ
- Rocket USA
- Dream baby dream
- Why be blue
- Frankie Teardrop (First version)
Tracklist
- Dominic Christ
- Diamonds, fur coat, champagne
- Harlem
- Rocket USA
- Cheree
- Dream baby dream
- Touch me
- Ghost rider
- Mr. Ray
- Surrender
- Why be blue
- Wrong decisions
- Dachau, Disney, disco
- Radiation
- Girl (Unreleased version)
- Frankie Teardrop (First version)
Gesamtspielzeit: 82:06 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fuzzmyass Postings: 16644 Registriert seit 21.08.2019 |
2022-03-16 23:08:32 Uhr
Das Debut ist unglaublich |
Ulli Postings: 289 Registriert seit 11.02.2022 |
2022-03-16 22:33:54 Uhr
Diese Gruppe kann man gar nicht genug würdigen. Ich halte "Diamonds, Fur coat, Champagne" immer noch für eines der besten Synthie/Sequenzer-Lieder überhaupt. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27227 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-03-16 20:22:30 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
Alan Vega; Martin Rev; Cabaret Voltaire; A.R.E. Weapons; The Vacant Lots; Escape-Ism; Deutsch Amerikanische Freundschaft; Von Südenfed; Fad Gadget; Devo; impLOG; James Chance And The Contortions; Teenage Jesus And The Jerks; Blurt; Monte Cazazza; Throbbing Gristle; The Residents; Add N To (X); Liars; Clinic; Suuns; Joy Division; Pere Ubu; The Stooges; Wipers; The Velvet Underground; Richard Hell And The Voidoids; Talking Heads; Television; Rocket From The Tombs; Silver Apples; Tuxedomoon; Chrome; Gary Numan; Soft Cell; John Maus; The Normal; Kraftwerk; Colder; Wrangler; Cold Cave; Black Marble; The Faint; Pop. 1280; Motor; Crystal Castles; Automatic; Sneaks; Prinzhorn Dance School; Sleaford Mods; Wire; A Place To Bury Strangers; My Bloody Valentine; The Jesus And Mary Chain; Spacemen 3; Loop; Can; Moon Duo; Frustration; Sudden Infant; The Jon Spencer Blues Explosion; The Doors; New York Dolls; The Cars; Roy Orbison; Dion And The Belmonts; Eddie Cochran; Elvis Presley
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