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Kevin Devine - Nothing's real, so nothing's wrong

Kevin Devine- Nothing's real, so nothing's wrong

Triple Crown / Membran
VÖ: 25.03.2022

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Er ist dann mal weg

Auch ohne eigene Albumveröffentlichung hatte Kevin Devine die letzten Jahre alle Hände voll zu tun. Zum Beispiel aus der Quarantäne seinem Idol Elliott Smith die Ehre erweisen oder das Neunziger-Konsensalbum "Nevermind" von oben bis unten durchcovern. Und wenn man noch dazu seine zahlreichen Demos, Re-Releases, Live-Alben, Bootlegs und das Nebenprojekt Bad Books mit Manchester-Orchestra-Anführer Andy Hull mitzählt, ist der Output des New Yorkers schlichtweg enorm. Dass es nun doch fünf Jahre gedauert hat, bis "Instigator" einen Nachfolger erhält, kommt da fast ein wenig überraschend. Aber "Nothing's real, so nothing's wrong" platzt herein in eine aufgewühlte Zeit. Vor allem, wenn man dessen Schöpfer selbst befragt: Konzepte wie Kapitalismus und Männlichkeit seien ruiniert, so Devine, die Realität an Bizarrheit kaum noch zu überbieten. Wo Tocotronic ob des Zustands der Welt einst "Kapitulation" forderten, ruft der 42-Jährige nun zum Rückzug auf. Und zwar dem ins Innere: Realitätsverlust als Chance.

Garagiger Powerpop oder splitternackte Songwriter-Übungen sind auf "Nothing's real, so nothing's wrong" nicht mehr anzutreffen. Stattdessen balanciert Devine spürbar mehr Tonspuren als je zuvor auf seinen schmalen Schultern, legt sich richtig hinein in die weiträumig ausgetüftelten und detailliert orchestrierten Stücke. "Override" oder "Someone else's dream" klingen entsprechend, als hätte man rohen Elliott-Smith-Skizzen eine Pomp-Behandlung spendiert, so wie auch dieser seinen todtraurigen Songs auf "XO" und insbesondere "Figure 8" ein gewisses Mehr an Gewicht genehmigt hat. Schon das Eröffnungsstück "Laurel Leaf (Anhedonia)" schichtet hibbelige Streicher und verrauschte Schlagzeugeffekte über eine Beatles-eske Pop-Melodie, die mit den Symptomen einer Depression konterkariert wird. "All the nights I cut myself and I felt nothing / Murder every messenger, but they keep coming" – Auswege zu finden, ist unerträglich schwer. Manchmal bleibt nur, sich mit dem schwarzen Hund zu versöhnen.

Galoppierende Stampf-Drums und flirrende Elektro-Sprengsel regnen in "How can I help you?" herab, das nicht direkt ins Ohr will, seine Qualitäten aber nach und nach offenbart. In anderen Songs experimentiert Devine mit Tempowechseln, weiteren Synthie-Backings und immer wieder mit traumwandlerischen, gar psychedelischen Harmonien, die in große Gesten umschlagen. Auch wenn er feststellt: "Someone's after me", bleibt er doch entspannt. Um nicht zu sagen: ein bisschen zugedröhnt. Was nicht heißt, dass Kompositionen wie "It's a trap!" nicht auch – im positiven Sinne – ein wenig chaotisch werden dürfen, wenn sich noch klarinettenähnliche Töne und krumme Rhythmen zu dem bunten Reigen dazugesellen. Und wer es schafft, die kleine Ähnlichkeit zu Mikas "Happy ending" auszublenden, bekommt mit "Albatross" sowieso nichts weniger als einen Anwärter auf den Song des Jahres geboten. "I think my brain is broken", fürchtet Devine in der formvollendeten Stadion-Pop-Hymne, aber dann gilt auch hier: "Nothing matters anyway." Es ist vielleicht was dran an seiner Feststellung.

Devines zehntes Album fährt schwere Geschütze auf, erstickt aber nicht an der eigenen Theatralik. Auch lyrisch wagt sich der Brooklyner noch stärker als ohnehin schon ins Literarische vor, erzählt hochintrospektive, jedoch mit allerlei textlichen Verrenkungen ausgeschmückte Anekdoten eines zwar wachen, aber hochgradig an sich selbst zweifelnden Geistes, der sich vor der Welt da draußen in sich selbst zurückzuziehen sucht. Das alles ist schwer und sperrig, mitunter esoterisch anmutend, und von der Unbekümmertheit eines jungen Emo-Devine von vor einem Jahrzehnt, der nur Stimme, Gitarre und ein bisschen Grunge benötigte, meilenweit entfernt. Aber auch eine konsequente Weiterentwicklung – zumindest musikalisch. Denn wenn Kevin Devine seine Andeutungen wahrmachen und sich fortan als Einsiedler im eigenen Kopf gegen den Rest der Welt abschotten wird: War's das dann?

(Ralf Hoff)

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Highlights

  • How can I help you?
  • Albatross
  • Hell is an impression of myself
  • It's a trap!

Tracklist

  1. Laurel Leaf (Anhedonia)
  2. Override
  3. How can I help you?
  4. Swan dive
  5. Albatross
  6. If I'm gonna die here
  7. Someone else's dream
  8. Hell is an impression of myself
  9. It's a trap!
  10. Tried to fall in love (My head got in the way)
  11. Stitching up the suture

Gesamtspielzeit: 45:16 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Garmadon

Postings: 489

Registriert seit 29.08.2019

2022-06-22 22:11:34 Uhr
Ok, danke für den Tipp!

"Albatross" hatte ich mir vorab schon mal angehört und finde ihn (ohne Vergleich) eigentlich schon ziemlich gut.

Rasmussen

Postings: 20

Registriert seit 26.06.2013

2022-06-21 20:01:03 Uhr
Ich würde Brother's Blood empfehlen, dass hier nie rezensiert wurde. Besser war er meiner Meinung nach nie.

Mit dem Aktuellen tue ich mich noch schwer, bis auf Albatross (einer seiner stärksten Songs seit Langem) ist bislang nicht viel hängen geblieben. Ok, Override noch, aber auch nur, weil es mir beim ersten Hören schon zu penetrant war.

Garmadon

Postings: 489

Registriert seit 29.08.2019

2022-06-21 13:52:29 Uhr
Habe gerade gelesen, dass er gegen Ende des Jahres im Vorprogramm von Nada Surf spielt und werde mich mal näher mit ihm beschäftigen.

Ist das hier ein guter Einstieg? Oder mit welchem Album würdet ihr anfangen?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 25189

Registriert seit 08.01.2012

2022-03-16 20:20:24 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Ralph mit F

Postings: 420

Registriert seit 10.03.2021

2022-01-13 07:56:49 Uhr
Woah, grandioser Song!
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