Midnight Oil - Resist
Sony
VÖ: 25.02.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Und ab
Es ist ja immer schön, wenn man mit seinen Lieblingsbands gemeinsam altert. Songs, die den Soundtrack zur eigenen Jugendzeit bildeten, sind nun einmal unsterblich – zumindest für einen selbst. Kompliziert wird es dann, wenn die Urheber dieser unsterblichen Songs schon lange nicht mehr da sind. Plötzlich ist kaum noch jemand da, der diese Euphorie teilt, und wenn solche Legenden dann tatsächlich zurück kommen, ist die Verwunderung oft groß. Denn einmal Hand aufs Herz: Wer kennt heute überhaupt noch Midnight Oil, und wenn überhaupt, wer kennt mehr als die auf ewig ins Radio implantierte Single "Beds are burning" oder vielleicht noch "Dead heart"? Nun, das dazugehörige Album "Diesel and dust" ist schlappe 35 Jahre alt, doch die Lyrics voller Wut auf Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit sind nach wie vor dermaßen aktuell, dass sie problemlos zu "Fridays for future"-Demos passen würden.
Ganz offensichtlich hat sich allerdings bei den Australiern über die letzten Jahre eine Menge Zorn angesammelt. "Resist", schreit es vom Cover des ersten regulären Studioalbums seit 2002 entgegen, und insbesondere Sänger Peter Garrett scheint dermaßen wütend zu sein, dass er wie zur Blütezeit der Band seine Texte nicht nur singt, sondern geradezu beschwört, sie bisweilen wie Gift und Galle herausspuckt. "Every child put down your toys / And come inside to sleep / We have to look you in the eye / And say we sold you cheap", singt Garrett zu Beginn des Openers "Rising seas", und die Band kanalisiert den Zorn wie eh und je in packende Hooks, um diesen Zorn noch intensiver ins Hirn zu hämmern. Welche Ironie, dass ausgerechnet der kahlköpfige Frontmann in seiner Zeit als australischer Umweltminister einige der umstrittensten Projekte wie den Bau einer Uranmine genehmigen musste – nicht ohne dafür knallharte Auflagen zu verhängen, das nur am Rande. Es ist jedoch diese Ambivalenz, die Garrett umso glaubwürdiger macht, wenn er bei "The Barka-Darling river" zu knallharten Riffs die Zerstörung des Ökosystems am Fluss Darling anprangert oder bei "At the time of writing" sich selbst nicht von der Mitschuld an der Klimakatastrophe ausnimmt.
So verrückt es klingt – dieser Zorn ist das Beste, was Midnight Oil passieren konnte. Denn aus diesem Zorn generieren die Aussies Hunger, einen Antrieb, der über weite Strecken das Album klingen lässt, als seien sie nie weg gewesen. "Nobody's child" zeigt einmal mehr einen entfesselten Garrett, während sich "Reef" ganz tief aus dem Bandfundus bedient und auch auf "Blue sky mining" locker Platz gefunden hätte. Insofern ist es kaum zu glauben, dass "Resist" nicht nur ein Neubeginn, sondern auch das Ende der Band sein soll – zu einschneidend war der Tod des langjährigen Bassisten Dwayne "Bones" Hillman im November 2020. Wenn dem tatsächlich so ist, dann treten die Australier mit einem gewaltigen Ausrufezeichen ab. Mag sein, dass die Zeiten der großen Hits lange vorbei sind. Doch "Resist" versprüht nicht etwa das Gemüffel alternder Umweltaktivisten, sondern zeigt eine Band, die ihrer Glaubwürdigkeit, mit ihrer authentischen Rockmusik so relevant ist wie noch vor Jahrzehnten – niveauvoller und wuchtiger kann man seinen eigenen Schwanengesang nicht gestalten.
Highlights
- Rising seas
- Nobody's child
- We resist
Tracklist
- Rising seas
- The Barka-Darling river
- Tarkine
- At the time of writing
- Nobody's child
- To the ends of the Earth
- Reef
- We resist
- Lost at sea
- Undercover
- We are not afraid
- Last frontier
Gesamtspielzeit: 60:04 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
afromme Postings: 549 Registriert seit 17.06.2013 |
2022-03-03 20:17:28 Uhr
Ach, da war was - war ja schon eine Weile angekündigt (und ist ja auch schon eine Weile fertig aufgenommen), aber dass es jetzt endlich rauskommt, war komplett an mir vorbeigelaufen.Eins meiner letzten prä-Covid-Konzerte war Midnight Oil im Stadtpark in Hamburg - hatte lange überlegt, ob das nicht zu viel Nostalgie war, weil die Oils mal sehr wichtig für mich waren, dann aber etwas... an Glanz verloren (und sich obendrein aufgelöst) haben. War aber sehr froh, hingegangen zu sein, insbesondere, weil es im Nachhinein wohl die letzte Möglichkeit war - die Abschiedstour hat ja nur zwei Stops in Deutschland, zu denen ich es nicht schaffen werde. Freue mich aber, ohne auch nur ein Lied gehört zu haben, über die gute Rezension und Berwertung, zumal es ja wohl das definitive Abschiedswerk bleiben wird. "Rising Seas: Ich nenne dies Mahnfinger-Pop, wie wir ihn zuweilen auch von Manic Street Preachers oder Barbara Streisand serviert bekommen." Wie Hogi schon schrieb: Das ist bei den Oils wirklich nicht neu. Muss man nicht mögen, ist aber immer schon deren Ding gewesen. |
Hogi Postings: 531 Registriert seit 17.06.2013 |
2022-03-03 12:46:35 Uhr
naja, solche Songs hatten sie doch schon immer...eigentlich sogar ihr Markenzeichen. Kann da keine plötzliche, neue Anbiederung erkennen.Das man das kreativer verpacken kann, mag sicherlich sein. Aber auch diese eindimensionale, manchmal naiv wirkende Direktheit ist nicht wirklich neu bei denen. Muss man auch nicht mögen. Ich frag mich nur schon länger, wo die ganzen jungen Bands heutzutage diesbezüglich sind, ob nun solche Themen kreativ oder direkt verarbeitend. Warum muss das eine kurz vor der Rente stehende Band "richten"? Oder hab ich da Lücken? Gerne Tipps. |
Menikmati Postings: 467 Registriert seit 25.10.2013 |
2022-03-03 12:24:57 Uhr
Rising Seas: Ich nenne dies Mahnfinger-Pop, wie wir ihn zuweilen auch von Manic Street Preachers oder Barbara Streisand serviert bekommen. Ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann man ihnen schlecht Absprechen, dass sie damit ein wohlbekanntes Problem und wichtiges Thema aufgreifen. Für mich trägt das aber auch den Beigeschmack von Anbiederei und Marketing. Song ist nicht schlecht, doch der Text könnte 1:1 von einer Greta-Thunberg-Rede entnommen sein. Von einem Künstler erwarte ich etwas weniger Unberechenbarkeit und eine kreativere Abhandlung dieses uns allen betreffenden Disasters.. |
Hogi Postings: 531 Registriert seit 17.06.2013 |
2022-03-03 10:40:12 Uhr
nur die Aussage, dass Sie gar keiner mehr auf dem Schirm hatte, stimmt so nicht. Auf der Comeback-Tour 2020 spielten Sie hier trotz der sehr langen Pause in 3000-4000-Zuschauer-venues (zB Stadtpark HH) und nicht in kleinen Clubs. Viel mehr, als die allermeisten Bands hier schaffen. Und die 7/10 wundert mich bei dieser wirklich sehr guten Rezi dann doch etwas. Schiebe ich mal auf den fehlenden coolness-Faktor... |
Herr Postings: 2612 Registriert seit 17.08.2013 |
2022-03-03 09:58:16 Uhr
Top Album für den Classic Rock Liebhaber.Die Rezi transportiert den Tenor und Background famos. Alles zusammen bestens gelungen! |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
w Model Army; Killing Joke; The Alarm; U2; Australian Crawl; Cold Chisel; Hunters & Collectors; INXS; The Tragically Hip; Radio Birdman; Refused; Icehouse; Hoodoo Gurus; Divinyls; Jimmy Barnes; Fury In The Slaughterhouse; Levellers; Urge Overkill; The Screaming Jets; Mental As Anything; Noiseworks; Men At Work; Little River Band; The Cult; Big Country; The Go-Betweens; Pop Will Eat Itself; Red Lorry Yellow Lorry; Echo & The Bunnymen
Bestellen bei Amazon
Threads im Plattentests.de-Forum
- Midnight Oil - Resist (7 Beiträge / Letzter am 03.03.2022 - 20:17 Uhr)
- Midnight Oil - Rising seas (7 Beiträge / Letzter am 27.02.2022 - 09:32 Uhr)
- Australische Kultband Midnight Oil getrennt (29 Beiträge / Letzter am 08.11.2020 - 12:26 Uhr)