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St. Paul & The Broken Bones - The alien coast

St. Paul & The Broken Bones- The alien coast

PIAS / ATO / Rough Trade
VÖ: 28.01.2022

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Liebestaumel am Abgrund

Paul Janeway wollte als Kind immer Priester werden. Das ist eine der bekanntesten Anekdoten über den charismatischen, mit einer ganz besonderen Stimme gesegneten Frontmann von St. Paul & The Broken Bones, doch müssen wir sie uns wieder in Erinnerung rufen. Zu Beginn der vierten Platte der Band hält Janeway nämlich eine "3000AD mass" und erfüllt sich damit seinen Berufswunsch – wenn auch vermutlich in einem ganz anderen Kontext als ursprünglich gedacht. "Lord, sink your teeth so I can feel it in my spine / The fire and brimstone", singt, nein, keift er da als Endzeitprediger mit Schmerzsehnsucht, während fast schon Stoner-Rock-artige Riffs das initiale Orgel-Bett plattwalzen. In nicht einmal 90 Sekunden pointiert das im klassischen Stax-Soul gestartete Oktett den vorläufigen Gipfel seiner ambitionierten Entwicklung. "The alien coast" ist sein forderndstes Werk bislang, ein loses Konzeptalbum um Mythologie, Apokalypse und Albträume in einem Hotelzimmer, das sich auch musikalisch als Fieberwahn psychedelischer Stilwechsel und freiförmiger Strukturen versteht. Wenn uns Musik in aufwühlenden Zeiten eigentlich Halt und Trost spenden soll, haben St. Paul & The Broken Bones offenbar das Memo nicht bekommen.

Stattdessen hauen sie uns ein Bündel kultureller Verweise vor den Latz, die selten länger als je einen Song überdauern. "Bermejo and the devil" bezieht sich auf ein Gemälde des spanischen Renaissance-Malers Bartolomé Bermejo, in dem das Gute eigentlich über das Böse triumphieren soll – doch ein dunkler Beat und bedrohliche Flüster-Vocals verwandeln den Track in ein Stück nicht gerade gottesdiensttauglichen Dämonen-Funks. "Minotaur" nutzt im Anschluss den antiken Stiermenschen als Metapher für die innere Bestie, kommt als fettbassiger Groover allerdings merklich zugänglicher daher. Einen ähnlich intensiven Eindruck hinterlässt das dramatische Quasi-Titelstück "Alien coast", das sich zwischen wabernden Synths europäischen Kolonialismus vor die Brust nimmt. Man merkt: Gerade inhaltlich gestaltet sich die Platte unheimlich dicht, weswegen die wortlosen Samples und die jazzige Percussion von "Atlas" fast einer Massage gleichkommen. Weil Janeway und Co. aber selbst keinen Bock haben, sich immer nur den Kopf zu zerbrechen, gönnen sie uns schließlich doch den ersehnten Eskapismus. "The last dance" eröffnet die Siebziger-Disco am Abgrund der Welt und schießt sofort in jedes bewegliche Körperteil: "Lose yourself in a song that doesn't want to make you want to cry / God knows we need it right now."

Das Lokalkolorit von "The alien coast" – zum ersten Mal blieb die Band für die Aufnahmen in ihrer Heimatstadt Birmingham, Alabama – äußert sich dementsprechend sicher nicht im Konservieren von Traditionen. Stattdessen trug der ebenfalls dort ansässige HipHopper Randall Turner zur Platte bei, indem er unter anderem "Ghost in smoke" und "Tin man love" einen modernen, elektronischeren R'n'B-Anzug schneiderte. Dazwischen hinterlassen die mächtigen Drums und ominösen Piano-Akkorde von "Hunter and his hounds" nur verbrannte Erde, bevor unter dem sanften, verhallt gezupften "Popcorn ceiling" jede Wut wieder verraucht ist. Die konstante Reibung der Gegensätze fasziniert und bereitet bei aller Inkohärenz viel Spaß, auch wenn durchaus ein paar Fragezeichen aufpoppen – vor allem ob der Beschäftigung der sonst so präsenten Bläserfraktion, die hoffentlich noch nicht beim US-amerikanischen Arbeitsamt anrufen musste. Den einen oder anderen Fan haben St. Paul & The Broken Bones im Laufe dieser guten halben Stunde womöglich verloren, doch am Ende sollten sie eigentlich alle wiederkommen. Der klassischer verankerte Closer "Love letter from a red roof inn" entfaltet eine wundervolle Melodie und zeigt Janeway ganz versunken in seinem liebestaumelnden Falsett: "I'm just a fool who fell for you." Zu zweit lässt sich der Weltuntergang eben immer noch am besten ertragen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Minotaur
  • Alien coast
  • Love letter from a red roof inn

Tracklist

  1. 3000AD mass
  2. Bermejo and the devil
  3. Minotaur
  4. Atlas
  5. The last dance
  6. Ghost in smoke
  7. Alien coast
  8. Hunter and his hounds
  9. Tin man love
  10. Popcorn ceiling
  11. Love letter from a red roof inn

Gesamtspielzeit: 35:06 min.

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User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27849

Registriert seit 08.01.2012

2022-02-16 21:41:40 Uhr


Das ist sooo ein Hit, Leute!

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27849

Registriert seit 08.01.2012

2022-02-16 21:04:51 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Ituri

Postings: 436

Registriert seit 13.06.2013

2022-01-08 12:29:20 Uhr
Erscheint schon Ende Januar, also sehr bald.

https://youtu.be/2ApBhA5eqkI

Großartige Single. Soulmusik im neuen Gewand.
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