Zeal & Ardor - Zeal & Ardor
MVKA / Rough Trade
VÖ: 11.02.2022
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Dämonische Irritation
Nein, Zeal & Ardor waren noch nie eine Gimmick-Band. Wer schwarze Spirituals und Black Metal miteinander kollidieren lässt, muss sich der Tragweite dieses gerade auch gesellschaftlich disparaten Genre-Mischmaschs bewusst sein – und dass Manuel Gagneux politisch unterwegs ist, weiß man bereits nach einem Blick auf so vielsagende Album- respektive EP-Titel wie "Stranger fruit" und "Wake of a nation". Doch der Schweizer mit afroamerikanischen Wurzeln lässt sich ungern in die Karten schauen. Für seine dritte Platte wollte er bewusst abstrakter texten, eher eine Vielfalt an Bedeutungen zulassen, als klare Botschaften zu diktieren. Zugegebenermaßen klappt das bei der ersten Single "Run", die trotz Bezugsoffenheit recht eindeutige Assoziationen vermittelt, nur bedingt: "Run while you still can / Stay a living man / Fly at any cost / For the lives you lost." Obwohl sich Zeal & Ardor gemäß der Selbstbetitelung des Albums stärker mit sich als der Außenwelt beschäftigen, fällt es schwer, sie komplett von letzterer zu lösen.
Dennoch lohnt es sich, hier in erster Linie die Musik zu fokussieren, weil Gagneux seinem penibel eingezäunten Sound ein paar neue Facetten abringt. Auf besagten, unaufhaltsam galoppierenden Wutbrocken folgt "Death of the holy", das in bekannter Manier Soul-Gesang, Handclaps und ominöse Piano-Töne mit dämonischen Schreien und Riff-Walzen kombiniert. Doch wenn "Emersion" wie das Intro zu einem Handywerbungs-tauglichen Elektropop-Song beginnt, fragt man sich kurz, ob noch die richtige Platte im Player rotiert – da schafft auch das kurz darauf hineinbrechende, an Deafheaven erinnernde Shoegaze-Geknüppel keine Abhilfe, das am Ende sowieso in ähnlich ansatzlosen Klavier-Kontemplationen verglüht. "Golden liar" will vom Metal dann gar nichts mehr wissen, singt lieber einen atmosphärischen Sumpf-Blues über vernebelten Saiten und hegt selbst im wuchtigen Finale keinerlei zerstörerische Absichten.
Dieses abwechslungsreiche erste Albumdrittel kulminiert im genialen "Erase": Gagneux säuselt eine Finte, nur um zu einem progressiven Malm-Ritt anzusetzen, der mit Tempo- und Stimmungswechseln diverse Haken schlägt. Leider hält "Zeal & Ardor" als Ganzes eine solche Dynamik in seiner zweiten Hälfte nicht aufrecht, weswegen es seinem meisterhaften Vorgänger ein wenig nachsteht. Während "Stranger fruit" einer konkreten Dramaturgie folgte, in deren Verlauf es immer tiefer in die Hölle abstieg, spachtelt das Basler Bandprojekt seine Versatzstücke hier etwas routinierter und, so scheint es zumindest, willkürlicher zusammen. Was freilich immer noch auf sehr hohem Niveau geschieht, zumal die Aggro-Regler inzwischen auf Anschlag stehen und gerade ein Backpfeifen-Mörser wie das martialische "I caught you" einen ungemein teuflischen Spaß bereitet.
Im Schlussspurt der Platte demonstrieren Gagneux und Co. allerdings wieder, wie sie über den für sie charakteristischen Dualismus der Gegensätze hinausweisen, sich nicht auf das Erwartbare festnageln lassen wollen. "Hold your head low" zelebriert ein in seiner Intensität eigentlich perfektes Finish, doch folgen darauf noch die rätselhaft betitelten und ebenso tönenden "J-M-B" und "A-H-I-L". In ersterem erzeugen stellenweise in den Surf-Rock schielende Gitarren samt hoppelnden Tasten einen luftigen Post-Punk-Vibe in den Strophen, der an plötzlichen Screamo-Ausbrüchen zerschellt – letzteres Stück zeigt mit verzerrten Klangflächen, dass in Gagneux' künstlerischer Brust mehr als nur zwei Herzen schlagen. Da muss sich selbst Baphomet, dessen Hände das Coverbild zieren und der zuvor schon als eine Art Schutzpatron der Band aufgetreten ist, am Ziegenkopf kratzen: Zeal & Ardor passen nicht einmal mehr in die Schubladen, die sie selbst aufgesprengt haben.
Highlights
- Golden liar
- Erase
- I caught you
- Hold your head low
Tracklist
- Zeal & Ardor
- Run
- Death to the holy
- Emersion
- Golden liar
- Erase
- Bow
- Feed the machine
- I caught you
- Church burns
- Götterdämmerung
- Hold your head low
- J-M-B-
- A-H-I-L
Gesamtspielzeit: 44:11 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 5094 Registriert seit 16.10.2016 |
2023-03-02 08:54:29 Uhr
@Deaf: Danke für die Info! |
Fiep Postings: 1204 Registriert seit 29.04.2014 |
2023-03-01 20:39:52 Uhr
Hab das album bisher noch nicht gehört, nur tracks... (death to the holy and hold your head low)der neue da (firewake) ist schon mal sehr nett. death to the holy ist etwas cringe, aber doch unterhaltsam, hold your head low mag ich aber sehr. Sollt vielleicht wirklich mehr in die band reinhören. |
Gomes21 Postings: 5158 Registriert seit 20.06.2013 |
2023-03-01 16:53:22 Uhr
Ich hab's tatsächlich bis jetzt nicht ein mal geschafft das Album durchzuhören und muss vielleicht eingestehen: Mir gefällt eigentlich mehr die Idee als die Musik.Konzert hab ich allerdings ziemlich gut in Erinnerung, mächtig Power, aber dieser Hybrid aus was weiß ich für Genres will mich irgendwie nicht mehr so richtig packen. |
Deaf Postings: 2930 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-03-01 16:50:19 Uhr
Am 16.03.2023 erscheint übrigens ein Dokumentarfilm über die Band, läuft zumindest in ein paar Schweizer Kinos.https://playwiththedevil.ch/ |
Ralph mit F Postings: 608 Registriert seit 10.03.2021 |
2022-12-09 11:20:37 Uhr
https://ffm.to/zeal-and-ardor_firewakeHaben eine neue Single auf Sub Pop (!) veröffentlicht. Gutes Ding. |
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Referenzen
Algiers; Oathbreaker; Amenra; Wiegedood; Winterfylleth; Der Weg Einer Freiheit; Benjamin Booker; Fantastic Negrito; Deafheaven; Alcest; Botanist; Panopticon; Wolves In The Throne Room; Behemoth; Immortal; Anaal Nakhrakh; Sigh; Oranssi Pazuzu; Thy Catafalque; Obsequiae; Ihsahn; Mastodon; Liturgy; Myrkur; Leprous; Robert Johnson; Sam Cooke; Sly & The Family Stone; Me And That Man; Blues Pills; Kvelertak; Manes; Igorrr; Death Grips; Birdmask
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