Jane Weaver - Flock

Fire / Cargo
VÖ: 05.03.2021
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Ausgeflogen
Libanesische Torch Songs, Musik aus sowjetischen Aerobic-Videos und australischer Punk. Wenn man einer Person diese selbstgenannten Einflüsse für ihr neuestes Werk abkauft, dann Jane Weaver. Die Liverpoolerin begann ihre bereits drei Jahrzehnte umspannende Karriere Anfang der Neunziger mit der vergessenen Britpop-Band Kill Laura, ehe diverse folkige und elektronische Sinnsuchen in den 2010er-Jahren auf eine Reihe von Alben hinausliefen, die im Gravitationsfeld psychedelischen Synth- und Dream-Pops eine Heimat gefunden zu haben schienen. Weavers letzte Releases – die abstrakte Ambient-Remix-Platte "Loops in the secret society" sowie das experimentelle Soundtrack-Projekt Fenella – vernebelten die Sicht jedoch wieder, und so ließ sich auch von ihrem sechsten regulären Solo-Album "Flock" nichts anderes erwarten, als dass alle Erwartungen irgendwo zwischen den bunten Vogelkästen des Covermotivs verschwinden würden. Das Ergebnis überrascht tatsächlich, allerdings auf eine andere Weise als gedacht. War Weavers bisher größte Mainstream-Annäherung, für ein Sample auf Coldplays "Ghost stories" herhalten zu müssen, öffnet sie sich hier zugänglichen Hooks und Rhythmen so unverblümt wie noch nie.
Banalitäten sind dieser Pop-Definition aber selbstredend fremd, dafür überführt die 49-Jährige ihre eklektischen Einflüsse viel zu versiert und stilsicher in eine eigenwillige Nummernrevue meisterhafter wie vielschichtiger Tanzmusik. Der famose Opener "Heartlow" baut auf einem Zwei-Ton-Gitarrenriff, verzerrten Synth-Bläsern und einer wuchtigen Rock-Ästhetik auf, um spätestens im wild getrommelten Finale für offene Münder zu sorgen. "I thought the bells would be ringing when I walked home", beklagt Weaver hier, bevor sie die Leute einfach selbst auf die Straße holt. "Do you look at yourself and find nothing?" fragt das politisch motivierte "The revolution of super visions" und nutzt einen Talking-Heads-Groove samt himmelsstürmendem Refrain und windschiefem Solo zur Agitation. Kurz darauf leitet das ätherische Interlude "Lux" in "Modern reputation" über, einen sechsminütigen Strudel aus Krautrock-Puls, elektronischen Loops und Vocals, die sich in Aussicht auf den gesellschaftlichen Umbruch überschlagen. Athletische Realitätsturnereien und esoterische Fantasien gehen auf "Flock" auch musikalisch Hand in Hand. Aus den initialen Orgel-Wolken von "Stages of phases" erhebt sich schnell ein Glitzer-Stampfer im Goldfrapp-Stil, der im Chorus das Dach für die vorbeiziehenden Sternenschauer öffnet.
"Anything could happen", heißt es da passenderweise und auch die zweite Albumhälfte folgt diesem Motto. Auf den pastoralen Titeltrack, zwischen dessen Piano-Verästelungen, Flöten und Shuffle-Drums man die Waldluft schmecken kann, folgt nur wenig später die ohrenscheinlich auf einer Raumstation aufgenommene Laptop-Ballade "All the things you do". Das Afrobeat-beeinflusste "Pyramid schemes" schöpft seinen Funk irgendwo zwischen Lagos und Minneapolis ab und erzeugt eine unheimliche kinetische Energie, obwohl es sich strukturell kaum von der Stelle rührt. Neben diesen immer gelingenden Ausflügen zeigt "Flock" im Schlussdrittel auch seine größten Pop-Gesten. "Sunset dreams" klingt wie einer der größten Hits im Indie-Sommer-Radio, auch wenn in den meisten davon die Gitarren weniger tief ins Tequila-Sunrise-Glas geschaut haben und keine "Hammer horror"-Referenzen darin vorkommen. Der geschmackvoll pumpende Closer "Solarised" krönt mit schlicht göttlicher Melodie dann endgültig eine neue Disco-Regentin. In einer besseren Parallelwelt ist Weavers gleichzeitig so intelligente wie infektiöse Musik sicher bereits jeder Nische entwachsen und führt alle erdenklichen Charts an. Aber wir sind hier ja nicht im Multiversum, Dirk.
Highlights
- Heartlow
- The revolution of super visions
- Flock
- Solarised
Tracklist
- Heartlow
- The revolution of super visions
- Stages of phases
- Lux
- Modern reputation
- Flock
- Sunset dreams
- All the things you do
- Pyramid schemes
- Solarised
Gesamtspielzeit: 44:23 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Max der Musikliebhaber Postings: 124 Registriert seit 13.07.2018 |
2022-04-11 16:18:46 Uhr
Ja, das stimmt, damit hat Jane Weaver ja schon mal was mit ihrer Musik erreicht. Ich würde ja auch wohl Vogelhäuschen kreieren; aber ich habe leider zwei linke Hände. |
myx Postings: 5511 Registriert seit 16.10.2016 |
2022-01-14 13:06:37 Uhr
Das ist ja schon mal was. |
VELVET UNDERGROUND Postings: 131 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-01-14 12:20:46 Uhr
hat mich motiviert ein vogelhäuschen zu bauen *bastel* |
myx Postings: 5511 Registriert seit 16.10.2016 |
2022-01-04 21:00:06 Uhr
Die Rezension motiviert mich zu einem erneuten Durchlauf. Meine Worte! Musste mir umgehend den Opener nochmals anhören, den Rest des toll beschriebenen Albums hole ich morgen nach. Und ja, schön für Jane Weaver, hier als vergessene Perle funkeln zu dürfen. |
Max der Musikliebhaber Postings: 124 Registriert seit 13.07.2018 |
2022-01-04 20:30:28 Uhr
Eine informative und unterhaltsame Rezension. Schön, dass Frau Weavers Werk hier als vergessene Perle des Jahres 2021 gewürdigt wird. Habe mir das Album vergangenen November angehört und fand mehrere Songs auf Anhieb gut. Die Rezension motiviert mich zu einem erneuten Durchlauf. |
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Referenzen
LoneLady; St. Vincent; Cate Le Bon; Goldfrapp; Stereolab; Laetitia Sadier; Broadcast; Saint Etienne; Tame Impala; Death And Vanilla; Gwenno; Nadine Shah; Gruff Rhys; Talking Heads; Prince; Gorillaz; Fat White Family; Animal Collective; Daft Punk; Giorgio Moroder; Roxy Music; Tangerine Dream; Dungen; Field Music; John Grant; Hen Ogledd; Neu!; Can; Miley Cyrus; Dua Lipa; Carly Rae Jepsen; Kylie Minogue; Funkadelic; Parliament; Deerhunter
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