Alien Boy - Don't know what I am

Get Better / Bertus
VÖ: 21.08.2021
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Herzrasenschach
Dass man Gefühle nicht versteht, oder bloß irgendwann im Nachhinein ansatzweise, liegt in der Natur der Sache, ähm, des Menschen. Emotionen koppeln sich immer wieder von rationalem Verstand und Handeln ab, ob wir das möchten oder nicht. In jenen Momenten, wenn der Kopf rast, das Herz hüpft, der Brustkorb pocht oder alles in Dir drin Dich herunterzuziehen scheint, nützt wenig Gelerntes oder Erlebtes. Es passiert und es ist intensiv. Beim Verarbeiten dieser Achterbahnfahrten greifen sie dann zum Glück, die Mechanismen des Erlebten und Gelernten, wenn man wieder nach vorne blickt. Weil alles andere eben auch nichts bringt.
Musik, ob als Rezipient*in oder kreative*r Künstler*in, ist häufig ein gutes Ventil, solche Emotionen kundzutun und sie nachhaltig zu verarbeiten. Dies passiert in Art und Weise des Ausdrucks je nach Genre höchst unterschiedlich. Alien Boy aus Portland, Oregon, gelingt dies auf ihrer zweiten Platte "Don't know what I am" besonders gut, weil die Band um Songwriterin Sonia Weber es vermag, viele Gefühlsebenen in knarzigen, hochdramatischen Indierock zu packen. In Songs, die rein musikalisch oft schrammelig, manchmal fuzzy und dabei immer ein wenig zurück zu den Granden der Neunziger schielen. Die sich aber auch im Surf- und Punkrock-Shirt wohlfühlen. Heraus kommen kleine, lärmige Kleinode zum (sich) Liebhaben wie "Nothing's enough" oder hymnisch-janglige Umarmungen wie "TV will always make me cry".
Wer nach dem hinreißend verzweifelten Opener "The way I feel" nicht mit aufs Leidens-Karussell kommt, scheint die selbstschützenden Mauern gerade hochgezogen zu haben. Da können das feine Gitarrensolo und der leidenschaftliche Refrain noch so sehr zum Herzchen-Emoji verleiten, Zeilen wie "The way you love me hurts too much / The way you make me feel won’t come around again" könnten klarer nicht sein: Manchmal ist es ausweglos doof. Zum Glück sind solch emotionale Täler in den meisten Fällen endlich, und so lassen Weber und ihre Bandmates uns im lebensbejahenden, fuzz-getränkten Rocker "Dear Nora" an der aufregenden Anziehungskraft der ersten Begegnung, der sexuellen Spannung und den ersten euphorischen Schüben einer neuen Liaison teilhaben. Mit feinem The-Cure-Gitarrenlauf bewaffnet, braucht "Something better" in der ersten Hälfte nicht einmal Webers Gesang, um in purer Indierock-Schönheit zu erblühen.
"Seventeen" taucht seine Riffs in Moll-Glasur, die Gitarren schneiden absichtlich schiefe Kanten in das Rund, wie man es in Portland und Umgebung bestens beherrscht. Und doch liefert der Vierer erneut einen stilechten Schrammel-Hit und legt den lärmigen Post-Punker "How do I think when yr asleep?" gleich nach. Auch wegen der kreativen Szene an der nördlichen Westküste der Staaten war es nur eine Frage eine der Zeit, bis die Welt von Alien Boy hört. "Don't know what I am" befeuert den Buschfunk garantiert. Und all diejenigen, deren Herzschmerz-Blues auch nach dem Winter noch nicht verschwunden ist, erfreuen sich einfach in Dauerschleife an schüchtern-shoegazigen Zweieinhalbminütern wie "Ache #2". Und blicken irgendwann den ersten warmen Frühlingstagen entgegen. Denn egal, wie scheiße alles ist – am Ende bleibt zum Glück noch immer die Musik.
Highlights
- The way I feel
- Nothing's enough
- Ache #2
- Something's better
Tracklist
- The way I feel
- Nothing's enough
- Dear Nora
- Heartburn
- Ache #2
- Something's better
- Seventeen
- How do I think when yr asleep?
- Memory's vault
- TV will always make me cry
- The way I disappoint you
Gesamtspielzeit: 38:11 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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saihttam Postings: 2629 Registriert seit 15.06.2013 |
2022-01-14 00:04:37 Uhr
Mag das Album auch ganz gerne. |
wilson Postings: 236 Registriert seit 10.08.2015 |
2022-01-06 11:29:52 Uhr
gefällt mir ebenfalls sehr, aber eine band die sich mit ihrem namen und auch dem albumtitel ganz offensichtlich vor den ebenfalls aus portland stammenden, großartigen wipers verbeugt, hat bei mir ohnehin direkt einen stein im brett.https://www.youtube.com/watch?v=Vnk93OwhpVQ https://www.youtube.com/watch?v=hrTEZ7XzTUM |
Yndi Postings: 399 Registriert seit 23.01.2017 |
2022-01-04 21:19:11 Uhr
Sehr schön, dass das eine Rezension bekommen hat. Wirklich tolle Songs. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28639 Registriert seit 08.01.2012 |
2022-01-04 19:53:26 Uhr - Newsbeitrag
Frisch verspätet rezensiert. Als "Vergessene Perle 2021".Meinungen? |
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Referenzen
Teenage Fanclub; Martha; The Pains Of Being Pure At Heart; Yuck; Press Club; Nada Surf; Cocteau Twins; The Mary Onettes; Crystal Stilts; The Cure; Wipers; The Magnetic Fields; Dinosaur Jr.; New Pagans; Hüsker Dü; The Get Up Kids; My Bloody Valentine; The Radio Dept.; The Go-Betweens; Acid House Kings; DIIV; The Thermals; Pure Bathing Culture; Wild Nothing; Slowdive; The Temper Trap; Lower Dens; Craft Spells; Porcelain Raft; Sonic Youth; Frightened Rabbit; School Of Seven Bells; Gurr; The Big Pink; Saturday Looks Good To Me; Beach House; God Help The Girl; The Pastels; The School; The Jesus And Mary Chain; Ride; Weezer; Lush
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