Van Holzen - Aus der Ferne

OMN / Believe / Rough Trade
VÖ: 12.11.2021
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Teilnehmende Beobachter
Die drei Burschen von Van Holzen altern entweder gar nicht oder irgendwie seitwärts. Der Hype, den "Anomalie" 2017 auslöste, ist verklungen – das ist stolze vier Jahre her, die Musiker sind aber immer noch nicht älter als Anfang zwanzig. "Aus der Ferne" arbeitet sich nun weiterhin an gewohnten, durchaus Emo-inspirierten Themen und ähnlichen Sounds ab und wirkt mehr denn je wie eine niedlichere Variante von Fjørt oder Die Nerven. Das zumindest auf den ersten Blick. Aber: Haben Van Holzen früher tatsächlich auch schon Großartigkeiten wie den quasi refrainlosen Noise-Brocken "Gini" ihren Langspielern vorangestellt? Haben die Drei mittlerweile ihre Formel, am bluesigen Stoner geschulten Auf-die-Zwölf-Rock und Indie-affinen Post-Punk zusammenzubringen, perfektioniert?
Ein anständiges neues Kapitel fügen sie ihrem Schaffen jedenfalls hinzu. Florian Kieslings Gesang ist dabei wieder eine ganze Ecke monotoner und weltentrückter geworden. Wie ein außerirdischer Besucher beobachtet das lyrische Ich das geschäftige Treiben der Menschlein, rümpft die Nase und wendet sich angewidert wieder ab – "Aus der Ferne" eben, von außerhalb, von weit weg. Dieser Planet ist nicht einmal die Eroberung wert, und zerstören werden die Idioten ihn eh bald selbst, also wen kümmert's. Zu solcherlei Beobachtungen liefert der Bass die Riffs, die Lead-Gitarre schnörkelt an vorderster Front; dann wieder fusionieren beide zu saftigem Geschredder – alles wie gehabt und durchweg gut.
Allzu simpel-eingängige Verse-Chorus-Strukturen haben Van Holzen verglichen mit ihrem Frühwerk weitestgehend über den Haufen geworfen. "Gras" als absichtlich auf Indie-Radio-Playlist gebürsteter Fremdkörper spielt mit diesem Kontrast, langweilt dann aber tatsächlich eher, anstatt pointierte Akzente zu setzen. Catchy muss ein brodelnd-nihilistischer Sound wie der Van Holzens natürlich zu allerletzt sein, von origineller Melodieführung profitierten aber auch die schrägeren Stücke. "Regen" hat das noch wunderbar umgesetzt; "Aus der Ferne" zeigt sich in dieser Hinsicht grundsätzlich eher uninspiriert, wenn man sich Stücke wie das witzigerweise an "Noir désir" von Vive La Fête erinnernde "Nagel" oder "Deiner Meinung" zu Gemüte führt.
Es sei Van Holzen jedoch nicht abgesprochen, dass sie nicht mutig zu neuen Ufern aufbrechen wollten, sei es mit mehr Krach oder ausufernderen Kompositionen: "Mars", in dem der sterbende Planet Erde schlussendlich zurückgelassen wird, ist mit seinen peitschenden Rhythmen und der sphärisch-flirrenden Gitarre maximal ungewöhnlich und dabei auch nur ein bisschen verkrampft. "Arche" will seinen Senf zu Querdenkern im Privatleben abgeben – ein fiktiver Die-Ärzte-Song namens "Meine Freundin trägt 'nen Aluhut" wäre bestimmt lustiger. Das schleppende "Computer" ist erneut aus Alien-Perspektive inkognito auf Telegram unterwegs und entlarvt die Gatekeeper-Mechanismen der überzeugten Wahrheitsfinder. Alles keine schlechten Songs, die aber auch nicht ganz zu Ende gedacht scheinen und musikalisch leicht unbefriedigt zurücklassen.
Dabei liefert das knackige Meisterstück "Schlafen" doch die besten Erklärungen aus erster Hand: "Ich zweifle an Freiheit, an Frieden, an Gleichheit, an Dir / Am Wettkampf, den schlussendlich jeder verliert / Ich träume vom Leben, das keiner regiert." Treffer, versenkt! Bockstarker Anfang also, strammes und interessantes Ende, dazwischen ein wenig Leerlauf: "Aus der Ferne" ist ein recht ordentliches Unterfangen, ein "Übergangsalbum", wenn man so will. Um das ausgelutschte Buzzword des "Erwachsenwerdens" zu bemühen, ist es vielleicht immer noch zu früh – und es bedürfte der Voraussetzung, dass das Konzept des Alterns auf Van Holzens Heimatplaneten überhaupt nach menschlichen Maßstäben funktioniert.
Highlights
- Gini
- Schlafen
- Biss
Tracklist
- Gini
- Schlafen
- Gras
- Nagel
- Dauerhaft
- Deiner Meinung
- Arche
- Biss
- Computer
- Hirn
- Mars
- Letztes Jahr
Gesamtspielzeit: 39:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Glufke Postings: 1001 Registriert seit 15.08.2017 |
2023-06-06 21:52:07 Uhr
"Mars" ist so ein unfassbar geiler Song. So simple musikalische Mittel, aber wie sich das am Ende steigert... "Die Erde liegt in Trümmern/ Ich wünschte, dass wir daraus lernen" - das fängt einfach so meine Stimmung ein, obwohl ich ja eigentlich grundsätzlich Optimist bin. |
Ralph mit F Postings: 704 Registriert seit 10.03.2021 |
2022-01-14 16:23:33 Uhr
Ist auch der beste der ganzen Platte und eines der Glanzstücke der Band. Gerade dagegen fallen viele andere auf "Aus der Ferne" leider ab. |
Autotomate Postings: 6174 Registriert seit 25.10.2014 |
2022-01-14 15:31:06 Uhr
Schlafen könnte ich gerade den ganzen Tag hören |
r_drums Postings: 2 Registriert seit 23.10.2021 |
2022-01-13 23:12:13 Uhr
ich kann die rezension teilweise nachvollziehen, aber wenn ich mir vorstelle wie sie die neuen songs auf der tour spielen werden, krieg ich einfach nur bock. ich bin fan von der entwicklung der band. inhaltlich hat das album mehr bezug zur äußeren welt, anstatt wie bisher zur inneren welt. und rein klanglich finde ich es irgendwie giftiger und kälter als die ersten beiden platten. wer weiß, wo das noch hin geht. ich werde auf jeden Fall dabei sein :) |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28296 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-11-03 21:36:40 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
Die Nerven; Heisskalt; Fjørt; Royal Blood; Kyuss; Thrice; Queens Of The Stone Age; All Diese Gewalt; Scumbucket; Future Of The Left; Band Of Skulls; Isolation Berlin; Shellac; Brand New; Sparta; Friends Of Gas; Abay; Adolar; Trümmer; Samavayo; Messer; Vögel Die Erde Essen; The Hirsch Effekt; Surrogat; Blackmail; Tigercub; Beware Of Darkness; Pabst; Smile And Burn; Pulled Apart By Horses; The Black Keys; Blood Red Shoes; Biffy Clyro; Protomartyr; Death From Above 1979; Rival Sons; Demob Happy; Black Rebel Motorcycle Club; Billy Talent
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