Sam Fender - Seventeen going under

Polydor / Universal
VÖ: 08.10.2021
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Realitätssucht
Sam Fender hat wenig bis gar keinen Bock, um den heißen Brei herumzureden. Erst recht nicht, wenn es um seine eigene Lebensrealität geht. Glücklicherweise, denn sein 2019er Debüt "Hypersonic missiles" wimmelte nur so von strahlkräftigen Hits, bittersüßen Hooks und vor allem auch messerscharfen Alltagsbeobachtungen, die ihn wenig überraschend vom Formatradio bis in die Indie-Disco in schwindelerregende Erfolgshöhen katapultierten. Für Fender selbst war das Album letztendlich neben dem Karriere-Senkrechtstart aber vor allem auch auch ein Rückblick auf die Ereignisse und musikalischen Erzeugnisse seines bisherigen Lebensweges – datierten doch Tracks wie "Play God" teils bis ins Jahr 2017 zurück. Die Agenda für Album Nummer zwei war klar: Ein noch kompakteres und in sich geschlosseneres Werk sollte es werden. Den Wegweiser und Gradmesser stellte dabei das famose "The borders" vom Debüt dar, Fenders erklärter Lieblingstrack. Eine Ambition, die sich auf "Seventeen going under" nun in vielerlei Hinsicht bewahrheitet – wäre ja auch untypisch gewesen, wenn der Gute hier Quatsch prophezeit hätte.
Um ein paar Dinge direkt vorwegzunehmen: Ja, "Seventeen going under" wirkt als Gesamtwerk tatsächlich homogener und in sich geschlossener als sein Vorgänger. Und ja, auch auf "Seventeen going under" geht der mittlerweile 27-Jährige wieder offen mit seinen musikalischen Inspirationen um. So wirkt beispielsweise das Arrangement von "Last to make it home" phasenweise wie eine Hommage an "Strangest thing" vom 2017er-The-War-On-Drugs-Meisterwerk "A deeper understanding", während Fender gleichzeitig in bester Springsteen-Manier über die verflossene Liebe sinniert. "And the love I have is never enough / It bores me and leaves me frustrated." Wie auch schon auf "Hypersonic missiles" stört das hier aber nicht im Geringsten, denn: Der Brite fabriziert meisterhafte Hymnen wie am Fließband. "Getting started" beispielsweise kontrastiert die bittere britische Lebensrealität mit einem fiesen Ohrwurm-Refrain. "Eighteen, failed dream / Attracted to a bad scene / Cataclysmic age to be when you're out of luck and your mother's in need" ist die bittere Momentaufnahme zum Einstieg im ansonsten fluffig nach vorne groovenden Song, der einfach nur loslassen will. "But tonight you gotta let me let go." Wenn das Leben gerade beschissen ist, kann man sich auch mal einen Abend der Freude und Unbekümmertheit gönnen. Fuck it. Wie clever und effektvoll Fenders Songwriting ist, zeigt sich auch im Titeltrack, der selbst ohne ausgewiesenen Refrain eine Hymne in Reinkultur darstellt und den musikalischen Kreis zur selbsterklärten Blaupause "The borders" schließt. Dass es unter der händereckenden Oberfläche voller Frustration brodelt, zeigt sich hier jedoch deutlich. "See I spent my teens enraged / Spiralling in silence / And armed myself with a grin / 'Cos I was always the fuckin' joker."
Eine subtile Wut, die für die besten Momente auf "Seventeen going under" sorgt – nämlich genau dann, wenn der Brite mal zum verbalen Auf-die-Kacke-Hauen ansetzt. "Long way off" ist der beste Song des Albums und verdankt seine Klasse nicht nur dem perfekt akzentuierten Arrangement mit knarzenden Drums und elektronischen Spielereien, sondern vor allem auch der herrlich beißenden Systemkritik Fenders. "Bleeding out for a caricature of a fifties salesman, hare checklist, ticking every box / Dead for what?" ist so ziemlich der Inbegriff des Corporate Burnouts knallhart auf den Punkt gebracht. Die Suche nach Sinn im politischen Spektrum wird dabei zum Ohnmachtsspiel. "I heard a hundred million voices sound the same both left and right / We're still a long way off." Im wummernden "The leveller" fasst der 27-Jährige den gesellschaftlichen Generationsclash auf bizarre, aber zutreffende Weise zusammen: "Buried my grandma along with her world." Es sind Momentaufnahmen wie diese, die Sam Fender auch auf seinem musikalischen Zweitling so besonders machen. Mit "Seventeen going under" hat er nicht nur abgeliefert, sondern auch Wort gehalten. Sam Fender ist nicht nur passiver Beobachter; er gibt den Dingen einen Namen und steckt trotz Hype-Maschinerie keineswegs vor klaren Worten zurück. Und er will, verdammt nochmal, dass sich die düstere Realität bessert. "The night is so impossible / It haunts the few who dare to look."
Highlights
- Seventeen going under
- Long way off
- The leveller
- The dying light
Tracklist
- Seventeen going under
- Getting started
- Aye
- Get you down
- Long way off
- Spit of you
- Last to make it home
- The leveller
- Mantra
- Paradigms
- The dying light
Gesamtspielzeit: 45:15 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Edrol Postings: 545 Registriert seit 19.10.2018 |
2022-10-25 22:56:17 Uhr
Der macht eigentlich auch nur super Musik. Toller neuer Song. |
Grizzly Adams Postings: 5721 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-10-25 22:54:47 Uhr
Gefällt mir. Aber das Saxofon hebt den Song jetzt über den Durchschnitt. Ohne bzw. Mit einem anderen Solo wäre das Stück nicht sehr außergewöhnlich. Das hat er schon besser gemacht. Dennoch: Sam Fender ist stets worth listening und seine Stimme hat das gewisse Etwas. Blicke der VÖ daher durchaus mit Vorfreude und Erwartung entgegen. |
OMalley Postings: 916 Registriert seit 16.01.2022 |
2022-10-25 22:41:39 Uhr
Klasse Lied mit 1a Saxophon |
Yersinia Postings: 664 Registriert seit 27.06.2013 |
2022-10-25 19:59:47 Uhr
Geiler Song! |
köttbullar Postings: 187 Registriert seit 03.10.2019 |
2022-10-25 19:32:36 Uhr
Genial. Das Konzert war Knaller. |
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Referenzen
Bruce Springsteen; The War On Drugs; Sting; U2; Simple Minds; INXS; The Waterboys; Brandon Flowers; The Killers; Kurt Vile; The Gaslight Anthem; Brian Fallon; Tom Grennan; Blossoms; The Pale White; The Night Café; The Glorious Sons; Manic Street Preachers; Alex Cameron; R.E.M.; Sea Girls; The Amazons; The Revelries; Ten Fé; The Police; Neil Young; Ron Gallo; Craig Finn; Spoon; Peter Gabriel; Augustines; Dire Straits; Declan McKenna; Arcade Fire; Frank Turner; Jeff Buckley
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