Parquet Courts - Sympathy for life
Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 22.10.2021
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Acht Beine zappeln in der Kunsthalle
"There's spiders in your room / But there always will be", sang Tom Smith 2007 in einem Editors-Song. Den arachnophoben Rezensenten lassen diese Zeilen immer noch erschaudern, weil sie halt leider wahr sind. Klar, dass das prominente Spinnennetz auf dem Cover von Parquet Courts' "Sympathy for life" hier nicht gerade auf Begeisterung stößt – doch weil die New Yorker inzwischen aus dem Edgelord-Alter raus sind, belassen sie es bei dem schrulligen Comic-Artwork und ersparen uns echte Bilder ekliger Achtbeiner. Ja, Parquet Courts sind erwachsen geworden. Schon auf "Wide awake!" entwuchsen die einstigen Indie-Schrammler ihrer Garage endgültig und entpuppten sich als von Danger Mouse produzierte Art-Punk-Band. Jetzt, auf ihrem siebten Album, darf unter anderem PJ-Harvey-Hausmeister John Parish an die Regler, während die Jungs selbst so ernsthafte Kenner-Lieblinge wie Talking Heads und Can als ihre Haupteinflüsse nennen. Haben Andrew Savage, Austin Brown und Co. ihren Biss verloren?
Ehrliche Antwort: ja, schon ein wenig. Aber das ist überhaupt nicht schlimm. Der famose Opener "Walking at a downtown pace" zieht mit scheppernder Percussion, gockelndem Bass und Sirenen-Riffs auch so die Blicke auf sich, ohne sich dafür im Dreck wälzen zu müssen. Die zweite Single "Black widow spider" (iiih) bearbeitet ihren Rumpel-Rock im Geiste von The Velvet Underground und den Stooges mit dem gleichen Selbstbewusstsein wie immer, auch wenn Parquet Courts inzwischen ihr Werkzeug geschliffen haben. Dass es im Folgenden fast nie offensiver als in diesen ersten zwei Tracks zugeht, sollte man der Band nicht fälschlicherweise als Mainstream-Zugeständnis oder Midtempo-Faulenzerei auslegen. Wenn in "Marathon of anger" zum ersten Mal David Byrnes Erbe hörbar wird und der Song in seinem psychedelisch verschleppten Kunsthallen-Groove zerfließt, ist eher das Gegenteil der Fall. Kein Anti-alles-für-Immer mehr, aber "Sympathy for life"? Auch nicht so wirklich.
Mit Sympathien macht's einem die Welt aber auch schwer. Parquet Courts haben weiterhin die großen Gesellschaftskrisen im kritischen Blick, auch wenn sie diesen ihrem neuen, akademischeren Gestus folgend nicht in konkrete Protestmusik verpacken. Stattdessen wirbelt das Herzstück "Plant life" ein paar kryptische, antikapitalistisch auslegbare Naturbilder auf, die sich mit Vocal-Samples und vom Wind zerzausten Orgeln in der krautigen Hypnose verlieren. Das ähnlich motorische "Application/Apparatus" verknüpft Digitalisierungsphänomene mit metaphorischer und echter Verarmung, zieht seine Singsang-Melodie abrupt an und biegt kurz bei einem brennenden Stahlwerk ab, das Trent Reznor auch im Navi gespeichert haben könnte. Erst der primitive Slacker-Blues von "Homo Sapien" brettert geradlinig nach vorn und erinnert daran, dass der in Texas gegründete Vierer seine ersten Auftritte vermutlich nicht nur vor Student*innen mit der Tom-Tom-Club-Diskografie im Plattenschrank hatte.
"Sympathy for life" könnte also so manche alten Fans vor Herausforderungen stellen. Ideen hat die Band immer noch zuhauf – man höre etwa die Sitar-Klänge in "Trullo" oder das Stimmenwirrwarr in "Zoom out" –, aber sie ordnet sie stets den geschmeidig drängelnden Rhythmen mit verschrobener Disco- und Funk-Schlagseite unter. Weniger kratzbürstig war noch kein Album von Parquet Courts, tanzbarer allerdings auch nicht. Wer die anfängliche Irritation überwindet, hört eine weitere faszinierende Ergänzung für das Schaffen dieser so flexiblen Truppe, die mit dem siebenminütigen, überraschend unaufgeregten Closer "Pulcinella" ihrer Unvorhersehbarkeit ein letztes Denkmal setzt. Das Live-Stream-Event am 20. Oktober, bei dem alle elf Songs der Platte mit Videos unterschiedlicher Künstler*innen vorgestellt werden sollen, wird sich der Rezensent aber trotzdem sparen. Könnten ja Spinnen drin vorkommen.
Highlights
- Walking at a downtown pace
- Plant life
- Pulcinella
Tracklist
- Walking at a downtown pace
- Black widow spider
- Marathon of anger
- Just shadows
- Plant life
- Application/Apparatus
- Homo Sapien
- A sympathy for life
- Zoom out
- Trullo
- Pulcinella
Gesamtspielzeit: 45:17 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Z4 Postings: 8861 Registriert seit 28.10.2021 |
2022-05-26 11:28:17 Uhr
Danke für den Bericht, so muss ich es nicht bereuen nicht in Köln dabei gewesen zu sein, das Konzert war quasi vor meiner Haustür. |
Unangemeldeter Postings: 1521 Registriert seit 15.06.2014 |
2022-05-26 11:13:03 Uhr
Gestern Konzert im schönen Heimathafen Neukölln. Was das neue Album angeht unterschreibe ich Frelands Fazit oben zu 100%, nachdem das letzte Konzert zur Wide Awake-Tour aber so extrem geil war, dachte ich dass man da live schon nix falsch machen kann. Leider haben sie aber tatsächlich quasi alle Gurken vom neuen Album gespielt und die sind einfach auch live nicht gut. Es kam überhaupt kein Fluss in die Show, immer bei älteren, schnelleren Songs war sofort mega Stimmung in der Bude, die sie sofort wieder mit einem der neuen Midtempo-Schleicher gekillt haben. Gefühlt haben sie die alle auch noch auf 10 ereignislose Minuten gestreckt und irgendwann ist dann auch gut mit Rückkopplung als einziger musikalischer Idee. Extrem schade, das ist ja eigentlich ne fantastische Liveband (und streckenweise war das auch wieder toll), aber so richtig empfehlen kann ich die Konzerte grade nicht. |
Freland Postings: 19 Registriert seit 15.06.2013 |
2021-10-23 21:47:32 Uhr
Walking at a Downtown PaceBlack Widow Spider Just Shadows Homo Sapien Pulcinella Wenn diese 5 Songs eine EP wären, dann wäre das ne runde Sache. Die restlichen 6 Songs dümpeln langatmig, emotionslos und höhepunktfrei vor sich hin. Anscheinend trauen sie ihrer neuen Richtung selbst nicht so richtig über den Weg (siehe Singleauswahl). Schade aber so ist das für mich nur ne 5/10. |
eric Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 2859 Registriert seit 14.06.2013 |
2021-10-23 11:30:07 Uhr
"Just shadows" ist super. Der Opener auch. Leider nicht soo viel rundherum. "Homo Sapien" mag ein wenig rumpeln, aber solche Stücke hatten sie doch schon in viel besser. |
MM13 Postings: 2441 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-10-22 19:31:53 Uhr
vorgänger kenn ich nicht, das hier geht bei mir auf die 8/10 zu. |
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Referenzen
A. Savage; Parkay Quarts; The Clash; Goat Girl; Talking Heads; LCD Soundsystem; Ty Segall; Ty Segall & White Fence; Ty Segall Band; King Gizzard And The Lizard Wizard; Fat White Family; Snapped Ankles; Shopping; Gang Of Four; The Modern Lovers; Television; The Fall; The Velvet Underground; The Stooges; Iggy Pop; MC5; The Sonics; Pavement; Stephen Malkmus & The Jicks; Omni; Primitive Parts; Ought; Shame; Squid; Can; Spoon; Foals; The Go-Betweens; Rolling Blackouts Coastal Fever; St. Vincent
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