The Toten Crackhuren Im Kofferraum - Gefühle

Bakraufarfita / Broken Silence
VÖ: 15.10.2021
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Sonderzug nach Punk, oh
"Ich will kein Bier, Alkohol verbiet' ich mir." Die Opening Lines ihres größten Hits "Ich und mein Pony" waren ja schon damals das Gegenteil von dem, wofür The Toten Crackhuren Im Kofferraum standen (oder lagen). Die inhärente Asozialität ihrer Musik quetschte sich hier und da wie eine Pickelauswölbung in einen Hit, erst mit "Bitchlifecrisis" schaffte die Berliner Chaostruppe ein kohärentes Album, welches Tiefgang jenseits der Vulgarität bieten konnte. Ihre vierte Platte "Gefühle" gibt sich auf dem Cover überraschend kuschelig und weich, nach zehn Berliner Luft intus sieht der Schriftzug jedoch nicht ohne Grund aus wie "Gegröle". Die Songs flackern wie eine dreckige Neonröhre und strahlen müde auf Szenerien aus Müll, leeren Bierflaschen, halb getrockneter Kotze und halb fickenden Pärchen im desolaten Zustand. Oder wie es der Kerntrack formuliert: "I'm living the dream in Ost-Berlin."
Jenes "Living the dream" ist einer dieser Songs, die die Truppe sofort auf eine Best-Of packen müsste, welche vermutlich nie erscheinen wird. "Hier kann man alles sein, interessiert alles nicht / Hier kann man glücklich sein, muss man aber nicht." Dem Stil zwischen Synthpop, Electroclash und schlampigem Punk bleiben die Crackhuren treu, auf "Gefühle" setzt sich der Weg von "Bitchlifecrisis" zwar fort, so tief in menschliche Abgründe geht es jedoch nur selten. Allen voran passiert das noch bei "1000 kleine Ameisen", das seinen wahren Horrortrip erst nach und nach entblößt. Der Suff-Party-Stuff, der die Frühwerke noch mehr bevölkerte, steht etwas mehr im Fokus, kommt aber nach wie vor geschliffener daher. "Wir fahren unsere Ziele lachend an die Wand / Alles zu verkacken, ist nun wirklich keine Kunst." Daher tun sie es auch nicht.
Der soeben erwähnte Opener "Alles verkacken" lässt Keyboard-Gewitter blitzen und donnern, dagegen bedient sich "Ich will Dich heulen sehn" sogar bei Dua Lipas "Physical", das in einem guten Jahr wohl schon mehr ungefragt kopiert wurde als der 50-Euro-Schein. "Ich hab' noch nen Pfandbon und 'nen Fünfer in meinem Portemonnaie", proklamiert Luise Fuckface im programmatischen "Zurück in der Gosse". Denn auch der liebliche Synthlauf weiß: "Die Leute sind hier okay." Für verdrehte Geschlechterrollen ist das Quartett aber dennoch zu haben. Die Y-Chromosom-Träger wird in "Bau mir nen Schrank" zur Muskelschau und Spermalieferung verdammt, "Bewerte mich" dankt zudem gleich allen Links-, Rechts- und Wohinauchimmer-Wischern zu hektischem Elektro und einem großartigen Breakdown: "Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst / Und mir sagst, ob ich fickbar bin."
Das alles klingt nun sehr vulgär. Und das ist es ja auch – alles, wofür sich Deichkind mittlerweile zu wenig asi sind. Trotzdem haben die Crackhuren auch auf "Gefühle" meist eine Ebene hinter der Fassade. Da enttäuscht es umso mehr, wenn "Punkrock hat mir mein Herz gebrochen" zum Abschluss eine recht platte Genre-Abreibung ohne doppelten Boden ist. Dann sich lieber einmal vom durchtrainierten "Officer Sexy" und pumpendem Beat das Tränengas in die Augen sprühen lassen: "An die Wand gedrückt, den Knüppel gezückt / Wenn Du mich nach meinen Personalien fragst." Oder zu "Herz" die eigenen Verletzungen herauszurocken oder die Vornamen auf dem Gesäß noch um das Bekenntnis "Ich bin eine Schlampe" erweitern zu lassen. "Ich bin eine Schlampe / Du bist ein normaler Mensch." Ab was ist schon normal? In Ost-Berlin sicher nichts und demnach irgendwie alles.
Highlights
- Living the dream
- Bewerte mich
- 1000 kleine Ameisen
- Herz
Tracklist
- Alles verkacken
- Zurück in der Gosse
- Living the dream
- Bewerte mich
- 1000 kleine Ameisen
- Ich will Dich heulen sehn
- Du könntest gehn
- Bau mir nen Schrank (feat. Taby Pilgrim & Blond)
- Herz
- Officer Sexy (feat. Babsi Tollwut)
- Ich bin eine Schlampe
- Woher soll ich wissen was ich will?
- Punkrock hat mir mein Herz gebrochen
Gesamtspielzeit: 41:47 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10368 Registriert seit 26.02.2016 |
2021-10-30 16:07:33 Uhr
Muss man sich nicht "guilty" fühlen für. Hinter denen steckt viel mehr hinter der Fassade, vor allem seit "Bitchlifecrisis". |
Randwer Postings: 3477 Registriert seit 14.05.2014 |
2021-10-30 15:27:31 Uhr
ja, die Band ist schon so ein guilty pleasure |
kingbritt Postings: 5183 Registriert seit 31.08.2016 |
2021-10-30 15:15:18 Uhr
. . . sympathische beherzte Mädels aus Berlin. |
All Crips are Bloods Postings: 296 Registriert seit 05.06.2020 |
2021-10-30 12:14:08 Uhr
Ich feier die Platte ziemlich. "Herz" ist eine Bombe von einem Song. "Living the Dream" der offensichtliche Hit, wunder mich dass er bisher nicht ausgekoppelt wurde. Auch "Punkrock hat mir mein Herz gebrochen" würde ich zu den Highlights zählen. Ich kenne durchaus einige Musikerinnen im Punkrock, die auch Lied von dem beschriebenen Problem singen könnten. Um so so schöner finde ich, dass die Band nicht mit Agitation arbeitet, sondern mit Humor und eben Gefühl. Tolle Attitüde, starkes Album. 8/10 |
S.v.K. Postings: 231 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-10-07 13:52:24 Uhr
"Nach zehn Berliner Luft intus sieht der Schriftzug jedoch nicht ohne Grund aus wie 'Gegröle'."Das ist genial. |
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Referenzen
Lulu & Die Einhornfarm; SXTN; Jenna + Ron; Spillsbury; Grossstadtgeflüster; Frittenbude; Planetakis; AK4711; 200 Sachen; Cobra Killer; Robots In Disguise; Deichkind; Egotronic; Supershirt; Die Atzen; Guaia Guaia; Malaria; Chicks On Speed; Bärchen Und Die Milchbubis; Neonbabies; HGich.T; Die Antwoord; Bratze; Schnipo Schranke; Captain Capa; Saalschutz; Ya-Ha!; Deine Jugend; Jennifer Rostock; K.I.Z.; Tic Tac Toe; Kraftklub; Mediengruppe Telekommander; Caracho
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