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Fluppe - Blüte

Fluppe- Blüte

Chateau Lala / Broken Silence
VÖ: 17.09.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Romantik in hässlich

Jenseits des Hamburger Hauptbahnhofs ist Schluss mit den ausgenudelten Postkartenmotiven. Weit abseits von den seit gefühlten Jahrzehnten popkulturell ausgeschlachteten Szenevierteln und Sehenswürdigkeiten eröffnet sich im Osten der Stadt eine etwas andere Welt: die vermeintlich unliebsamen Stadtteile, die nicht so pittoresken Ecken. Dort, wo sich das Leben mit all seinen unschönen, aber eben oft auch herzlichen Fratzen abspielt. Vielleicht nicht die malerischste Umgebung, aber eine mit reichem Nährboden für berührende Geschichten. Solche, die auch das Debütalbum "Blüte" der Indie-Rock Band Fluppe vereinnahmen und prägen. Bereits die 2020er EP "Billstedt" widmete sich dem namensgebenden Stadtteil, der nicht zuletzt den Proberaum des Vierers beheimatet. Ein Motiv, das sich auch auf "Blüte" nahtlos fortsetzt – ein Album, das die Liebe zum Leben auf den zweiten Blick zelebriert. Ungefähr so wie eine dieser schummrigen Ecken in der Stadt, die so lange trügerisch erscheint, bis man sich einmal drauf eingelassen hat.

Denn: Unter der kühlen, eher schroff wirkenden Fassade bestechen Fluppe auf "Blüte" vor allem durch zahlreiche zuckersüße Melodien und einem feinen Gespür für effektvolles, behutsames Songwriting. "Aals" beispielsweise fasst kryptische, nicht immer greifbare Textpassagen in einem herrlich verträumten Klanggewand zusammen, das im Refrain ausbricht und Bilder von einem grauen und nebligen hanseatischen Herbsttag voller wirrer Gedanken malt. "Wir gehen baden / Wie die Aale, immer tiefer / Bis wir den Grund nicht mehr erahnen" proklamiert Sänger und Gitarrist Josef Endicott und überlässt – wie auch an anderen Stellen – die finale Interpretation den Hörer*innen. Aktives Hinhören wird hier durch verschiedenste narrative Haken belohnt. Ähnlich gibt sich auch der Opener "Williams Christ Superstar", dessen Refrain schon beinahe in Richtung einer waschechten Hymne schielt. Schwirrende und drückende Gitarrenwände bauen sich hier nach und nach immer weiter auf und spielen sich zunehmend in den Vordergrund – will man einen Vergleich bemühen, würde man vermutlich am ehesten bei Herrenmagazin, Schrottgrenze oder den poppigeren Momenten auf "Nichts ist neu" von Love A landen.

Vergleiche, die allerdings nur bedingt zielführend sind, da Fluppe etwaige Vorwürfe wegen allzu offensichtlicher stilistischer Analogien mit geschickt gesetzten Umwegen zu unterwandern wissen – beispielsweise im stampfend-hymnischen "Nikki Swango" und besonders im grandiosen "Kompjuter". Letzteres verabschiedet sich für eine kurze Zeit in poppige, träumerische Weltraumfantasien: "Im Weltall sind Computer auch nur Menschen / In der Unendlichkeit kommen sie an ihre Grenzen" singt Endicott mit roboterhaften Stimmeffekten. Zum Verzweifeln schöne Realitätsflucht in ferne Welten. Von unendlichen Weiten direkt auf den harten Boden der Tatsachen kracht die Platte jedoch an vielen anderen Stellen, wie etwa im herzzerreißenden "Schwert / Messer / Butter", das die Chronik einer Sucht als Stream of consciousness inszeniert. "Hallo Tod / Hallo Angst / Magische Nadel in der Hand" ist das ambivalente Motiv, das im Songverlauf in verzweifeltes Loslassen übergeht. "Volle Dröhnung / Ich bin raus / Denn gegen den Schmerz und jegliches Leid / Bin ich geimpft, bin ich gefeit." Es ist dieses Wechselspiel aus ansteckenden Melodien und üblen Schlägen in die Magengrube, das "Blüte" zu einem solch spannenden Hörerlebnis macht. Unter dem dreckigen Asphalt lauern eben meistens die interessantesten Geschichten.

(Hendrik Müller)

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Highlights

  • Nikki Swango
  • Kompjuter
  • Aals

Tracklist

  1. Williams Christ Superstar
  2. Zange
  3. Nikki Swango
  4. Kompjuter
  5. Schwert / Messer / Butter
  6. Scotland Yard
  7. Murmeln
  8. Aals
  9. Zwei Schüsse alte Kanzlei
  10. Schwarzer Bus
  11. Karl-Heinz

Gesamtspielzeit: 39:00 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Fredo

Postings: 1

Registriert seit 08.10.2021

2021-10-08 15:37:18 Uhr
Bin neulich über Casper auf die Band aufmerksam geworden, der die Gruppe über Social Media featured und Ergebnis - geile Entdeckung, starkes Debut! EP aus 2020 war schon gut aber das hier ist wirklich groß.

Anspieltipps sind unbedingt Murmeln und Scotland Yard.

Weiterer dicker Pluspunkt: Endlich mal eine Band, die abseits der gängigen Hamburger Szenemusiker funktioniert und ihr (eigenes) Ding macht. Erfrischend!

Cayit

Postings: 217

Registriert seit 05.05.2014

2021-09-24 10:31:53 Uhr
Schöne Indie-Rock platte hat was von Tocotronic...

Kai

User und News-Scout

Postings: 2767

Registriert seit 25.02.2014

2021-09-23 20:11:06 Uhr
Also statt an Turbostaat und Love A denk ich da eher an Schrottgrenze, Ostzonensuppenwürfel oder Kante...

Alles keine schlechten Namen aber deutlich poppiger als es die Referenzen vermuten lassen würde.

Die einzige Überschneidung zwischen dem Album und EA80, Slime oder The Hirsch Effekt ist die Sprache, die Instrumente und die politische Ausrichtung.

Da hätte man auch Puhdys, Echt und ZSK hinschreiben können.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26286

Registriert seit 08.01.2012

2021-09-23 19:58:14 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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